Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Diese Welt hier ist es nicht"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

5. 8. 2014 - 18:30

Diese Welt hier ist es nicht

Die britische TV-Show "Utopia" macht krank. Eine gestelzte, hoch überzüchtete, mit gelben Pfauenfedern geschmückte Show für einen kranken Planeten.

Utopia ist noch nicht da, wir müssen uns die ideale Welt, in der Milch, Honig und Wein für alle fließen, erst selbst zurechtgestalten. Dafür müssen schlimme Opfer gebracht werden und vielleicht muss so einiges von dieser schlechten, furchtbaren, vergifteten Welt, auf der wir jetzt gerade blindwütig fuhrwerken, zurückgelassen werden. Damit in einer nahen Zukunft alles besser wird - und es dann auch noch ein bisschen so bleiben kann.

Die britische Show "Utopia" fährt gerade rasant wie eh und je dem Ende ihrer zweiten Staffel entgegen und handelt noch immer von der Verbesserung der Erde. Anscheinend und/oder scheinbar? Stecken hinter den in "Utopia" ausgebreiteten Regulierungs-Phantasien doch bloß wieder ausschließlich finanzielle Absichten und Machthunger?

Utopia

Utopia

Ein ungleiches Killer-Duo, Arby und Lee, komplett entkoppelt von Mitgefühl und dem Schmerz, den es anrichtet, sucht nach einer Frau: "Where is Jessica Hyde?" - unerbittlich wird diese Frage gestellt, ohne nähere Erläuterung. Wer die Antwort nicht kennt, ist bald tot. Davor wird gefoltert. Lee, der stets in einen adretten, einen Tick zu kleinen Anzug gekleidete Sadist, bevorzugt die Augen seines Verhörobjekts als Einsatzgebiet: Chilis, Sand, Waschpulver, einen Löffel hat Lee in seinem unübersehbar in Szene gesetzten knallgelben Kunststofftäschchen mitgebracht. "Do you know what I do with the spoon?" fragt er lächelnd.

"Utopia" ist extrem unterhaltsam und widerlich. Die Show dreht sich um die unbegreiflichen Geheimnisse, die in einer mysteriösen Graphic Novel verborgen liegen mögen: Gezeichnet hat die so genannten "The Utopia Experiments" ein durchgeknallter, einst genialer Wissenschaftler. Ein Teil der Manuskripte gilt als verschollen und soll versteckte Hinweise bezüglich brandgefährlicher Viren, einer Weltverschwörung oder der Genforschung beinhalten. Ein zusammengewürfelter Haufen von Comic-Nerds, Computerspezialisten, Verschwörungstheoretikern und eventuell auch durch Privat-Motive Getriebener sieht sich schnell in Intrigen zwischen Politik, Pharmaindustrie und Schattenorganisationen verwickelt, mit denen nicht gut Kirschen essen ist. Ein Leben auf der Flucht, zu trauen ist niemandem.

Utopia

Utopia

Auf der Flucht: Ein merkwürdiges Team

Die Show macht jede Sekunde klar, dass sie sich auch selbst als Cartoon verstanden wissen will. Als quietschbunter Eskapismus - oder bisweilen gar als kribbelig machender Schundroman. Hochreizung der Signale: die überzogene Gewalt, entweder im Off durch Schreie oder hässliche Geräusche erfahrbar oder durch den nicht kleinlichen Einsatz von Blut, durch unmotiviert durchgeschnittene Kehlen und platzende Schädel direkt zur erleben.

Die schrillen Farben, die hier eine Welt zeichnen, die beinahe die unsere sein könnte, aber doch immer ein wenig off scheint. "Utopia" ist von einem lack-haften, schreienden Gelb durchsetzt, dem man so im echten Leben nicht gar so oft begegnet. Türen, Möbel, ein Anzug: Gelb. Gefängnisgitter: Gelb. Bier: manchmal eher gelb als bierfarben. Hellbraunes Haar, pralle Wiesen im Sonnenlicht - auch dort schimmert immer wieder der Gelbstich.

Utopia

Utopia

Es ist eine hyperartifizielle Welt: Die pedantisch kunstvoll eingerichteten Frames, die Wes-Anderson-haften Ausstattungseinfällchen und der kindische Stolz auf sie. Der linkische awkward Humor, der durch Wortkargheit, lange Pausen, Zaudern und Zögern und Dialoge entsteht, die sich oft nicht um Realismus scheren. Der herrliche Score, der wahlweise in Gestalt von bedrohlicher Plickerplacker-Elektronika in Andenken an Boards of Canada, mit Soundschichtungen aus dem Hauntology-Regal oder stimmungstechnisch ostentativ dem Geschehen auf dem Bildschirm entgegenarbeitenden, bestens gelaunten Jahrmarkt-, Spieluhr-, Clown- und Dub/Reggea-Musiken daherkommt.

Ein Mensch, der im Hasenkostüm in Zeitlupe durchs Bild tanzt. Die Tatsache, dass "Utopia" selbst der Name eines Fonts ist, die Show in ihrer Title Card jedoch die Schriftart Futura (Wes Anderson) verwendet. Dies hier ist nicht die Realität, so sagt uns "Utopia" ständig. "Utopia" ist immer too much und weiß das freilich, verkommt aber nie zu bloßem, blödem Augenzwinkern und Gähn-Trash.

Utopia

Utopia

Die zweite Staffel leistet da in ihrer ersten Episode hinsichtlich gewiefter, vielleicht gerade mal nur einen Touch zu frech-smarter Selbstbespiegelung Beeindruckendes: Hier springt "Utopia" für die gesamte Episode zurück ins Italien der 70er-Jahre, um einige erschütternde Hintergründe des Plots aufzudecken. Nicht nur durch den Rahmen von Zeit und Raum, sondern auch hinsichtlich psychedelisch-verspukter Atmosphäre erweist "Utopia" hier den vor allem in den 70ern hochpopulären italienischen "Giallo"-Grusel- und Krimi-Heftchen (sowie den durch sie inspirierten, unter demselben Sammelnamen gefassten Filmen) ausdrücklich Reverenz. Benannt sind diese Heftchen nach ihrer Umschlagfarbe: "Giallo" bedeutet im Italienischen, Vorsicht, Gelb.

Danach spiegelt Season 2 in Folge mit ihren Verfolgungsjagden über Land, dem Hasten durch immer neue Schlupfwinkel, Verstecke und alte Häuser, dem Aufsuchen vielleicht hilfreicher Kontaktpersonen die Dramaturgie der ersten Staffel. Bloß eben mit geringfügig ausgetauschtem Personal. Manch einer hat in diesem Verwirrspiel die Seiten gewechselt. Hat erkannt, dass die Machenschaften der vermeintlich Bösen einem guten Zwecke zuarbeiten? Oder umgekehrt? Ideologien und Werte verschieben sich, tanzen und eiern.

Die Show wird - abgesehen von einem Schul-Massaker in Staffel 1, das hinsichtlich Kälte in der Fernsehgeschichte kaum zu toppen ist - zunehmend gewalttätiger, tut das mit einem Grinser. "Utopia" wandelt hier auf schmalem Grad.

Die Show stellt den Konsum von Gewalt als Unterhaltung in Frage und geilt sich selbst daran auf. Die Entscheidung zwischen der guten Absicht und dem, was wir "Terrorismus" nennen, ist eventuell nur eine Frage der Perspektive, so "Utopia". Die Show fordert Auseinandersetzung, mit dem Fernsehen, der Ironie, der Moral: Wer hat das Recht zu richten? Wie weit würden Sie, verehrter Zuseher, für das Gute gehen?