Erstellt am: 5. 8. 2014 - 15:23 Uhr
Griechenland wird unerträglich für Papierlose
Von Anfang 2012 bis heute wurden an der griechisch-türkischen Seegrenze 21.627 Menschen aufgrund ihrer "illegale Einreise" verhaftet, an der griechisch-türkischen Landgrenze 32.112 und an der griechisch-bulgarischen Grenze 1.101.
Griechenland verfügt über sechs große Abschiebelager: Amygdaleza/ in Attika (seit April 2012) genommen wurde, Komotini (seit August 2012), Xanthi (seit August 2012), Paranesti/Drama (seit September 2012), Korinth (seit August 2012) und Fylakio/Orestiada das schon seit April 2007 in Betrieb ist.
In diesen Haftlagern waren im Juni dieses Jahres insgesamt 6.429 Menschen inhaftiert. Untern den inhaftierten Flüchtlingen befinden sich nach offiziellen Angaben 113 Minderjährige, die vorläufig dort eingesperrt sind, bis sie in geeignete Unterkünfte gebracht werden.
Die Dunkelziffer - so Menschenrechts-organisationen - liegt jedoch weitaus höher, da viele Minderjährige fälschlicherweise als Erwachsene registriert werden und auch mit diesen in den gleichen Zellen eingesperrt sind.
Entgegen der Europäischen Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG), die besagt das die Abschiebe-haftdauer sechs Monate betragen soll und nur im Ausnahmefall bis zu 18 Monaten erweitert werden kann, waren im Juni 2014 in Griechenland 422 papierlose Migranten und Flüchtlinge schon länger als 18 Monate eingesperrt.
"Wir sollten ihnen das Leben unerträglich machen" - dies hört man einen höheren Beamten der griechischen Polizei in einem Audioausschnitt sagen, der Ende Dezember 2013 an die Öffentlichkeit gelangte. Die Rede ist von papierlosen Migranten und Flüchtlingen.
Seit August 2012 forciert Griechenland mit tatkräftiger Unterstützung der EU, die 75 Prozent mitfinanziert hat, den Bau großer Haftlager für die systematische Inhaftierung von Migranten und Asylsuchenden. Durch die gleichzeitig anlaufende Polizeioperation "Xenios Zeus" erhöhte sich die Anzahl der Menschen hinter Gittern rasant. Hunderte von Asylsuchenden und Migranten, die keine Papiere haben, befinden sich in Griechenland in administrativer Haft - unter ihnen Minderjährige, Folteropfer, Kranke, aber auch Migranten, die zuvor eine Aufenthaltserlaubnis hatten, aber diese aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit nicht erneuen konnten, außerdem Flüchtlinge aus Kriegsregionen wie Somalia, Eritrea oder Syrien, die de facto nicht abgeschoben werden dürfen.
Offiziell liegt die Kapazität der sechs großen Abschiebelager bei mehr als 5.000 Menschen. Dazu muss man noch all jene Migranten und Flüchtlinge rechnen, die in den Zellen der Polizeiwachen im ganzen Land inhaftiert sind. Wie viele das genau sind, weiß man nicht.
Ärzte ohne Grenzen MSF
Wie lange die Menschen in den Haftlagern bleiben müssen, ist auch nicht klar: Die Inhaftierung war bisher auf 18 Monate beschränkt, im Frühjahr 2014 hat eine Entscheidung des zuständigen Bürgerschutz-Ministers, die Inhaftierung Papierloser auf einen undefinierten Zeitraum von über 18 Monaten ermöglicht. Auch wenn ein Gericht in einem Einspruchsverfahren eines Afghanen gegen die Haftdauer die Verlängerung als illegal erklärt hat, wird sie angewendet.
Internationale sowie griechische Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt die unmenschlichen Bedingungen in den Lagern kritisiert. Griechenland ist in den letzten fünf Jahren mehrmals vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Flüchtlingen und Migranten verurteilt worden.
Zafar (Νame von der Redaktion geändert) hat die Zustände in den Lagern am eigenen Leib erfahren müssen. Er ist zusammen mit anderen Flüchtlingen in das "Netzwerk für die soziale Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten" im Athener Stadtteil Exarchia gekommen, um sich über seine Rechte zu informieren. Der junge Iraner war insgesamt 18 Monate lang eingesperrt - das gesetzmäßige Maximum an Haftdauer. Er zeigt auf eine riesige Wunde an seinem Bein. Er erzählt, dass er bei einem Protest gegen die ungenügende Essensversorgung verletzt worden ist: "Irgendwann hat der Direktor angeordnet, die Türen der Zellen zu öffnen, damit die Spezialeinheiten der Polizei reinkommen können. Sie haben mehrere Menschen geschlagen. Mich haben sie sehr schwer verletzt. Und als wir den Polizisten sagten, sie sollen uns ins Krankenhaus bringen, antworteten sie, sie würden das nur unter der Bedingung machen, dass wir nicht sagen, was und wie es passiert sei", so der Iraner. Auf seinem Handy hat er Fotos vom Lager in Korinth: längliche Räume mit Etagenbetten, die sehr eng beieinander stehen, die Wände voller Feuchtigkeit; mit Decken über den Bettrahmen versuchen die Häftlinge ein wenig Privatsphäre herzustellen.
Zafar
Der Zutritt zu den Lagern ist Journalisten nicht erlaubt. Aus Sicherheitsgründen und zum Schutz der persönlichen Daten der Insassen - so die Begründung des zuständigen Ministeriums auf unsere Anfrage. Die sechs großen Abschiebehaftlager entsprächen den notwendigen Standards für Hygiene und sichere Unterkunft, wird auf die Frage über die Bedingungen in den Lagern geantwortet. Dabei klagen Menschenrechtsorganisationen sogar über Folter mit Elektroschockgeräten in den Lagern, um die Insassen zu einer "freiwilligen" Rückkehr in ihre Heimat zu zwingen.
Der junge Iraner beschreibt, wie er die Situation erlebt hat: "Es gab kein warmes Wasser und keine Heizung. Es ist ein Knast im Knast mit einem faschistischen Polizeisystem. Man versucht, die Insassen so oft wie möglich zu demütigen, damit diese sich schlecht fühlen und schließlich die Rückkehr wollen. Und dies, obwohl die Behörden wissen, dass diese Menschen Probleme haben werden, wenn man sie zurückschickt. Trotzdem bevorzugen es viele zurückzukehren, anstatt dort zu bleiben". Zafar wird versuchen, in einem anderen europäischen Land Schutz zu finden. Er wurde im Iran aus politischen Gründen verfolgt und hat dort zwei Monate in einer Isolationszelle verbracht. Das, was er in den Lagern in Griechenland erlebt hat, sei viel schlimmer, sagt er.
Zafar
Neben Zafar sitzt ein Afghane. Er wurde im Dezember aus einem Flüchtlingslager entlassen. Mubarak (Name von der Redaktion geändert) ist jetzt 18 Jahre alt. Voriges Jahr wurde er, als er versuchte, über Patras in ein anderes europäisches Land zu gelangen, festgenommen und für 14 Monate in einem der Lager festgehalten, obwohl er minderjährig war. Er erzählt, dass er Selbstmordversuche von Mithäftlingen erlebt habe, aber auch Proteste: Zugenähte Münder oder - wie er selbst auch - Hungerstreik, um die Menschen draußen auf die Haftbedingungen aufmerksam zu machen. Das Schlimmste aber sei, dass er mit ansehen musste, wie ein Freund von ihm gestorben ist.: "Er war ein Flüchtling wie ich. Er ist nach Europa gekommen, um Schutz zu suchen, wurde hier aber gefangen und eingesperrt. Er hatte bereits bevor er inhaftiert wurde ein ernstes Nierenproblem. Danach ging es ihm schlechter. Es gab keine medizinische Versorgung, keinen Arzt, der ihn untersuchen konnte, und dies war auch der Grund, warum er gestorben ist", erzählt der 18-jährige Afghane.
"Ärzte ohne Grenzen" veröffentlichten im April dieses Jahres einen Bericht mit dem Titel "Der unsichtbare Schmerz in den Haftzentren für Migranten", der die Probleme aufzeigt, die aus der unzureichenden medizinischen Versorgung entstehen und betont, dass die Inhaftierung sehr schädlich für die psychische Gesundheit von Migranten und Flüchtlingen sei. Wiederholt müssten Gefangene wegen der Probleme, die aus der langanhaltenden Haft resultieren, in psychiatrischen Kliniken behandelt werden. Nach Angaben der Organisation berichteten 37,5 Prozent ihrer Patienten aus den Haftzentren davon, vor ihrer Inhaftierung Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. Davon haben mehr als 30 Prozent angegeben, dass sie während ihres Aufenthalts in Griechenland Opfer von Gewalt geworden sind, sowohl durch die Polizei als auch durch faschistische Gruppen.
Ärzte ohne Grenzen MSF
Die Tatsache, dass sie jetzt mehr als 18 Monate lang eingesperrt bleiben können, erschwert die Situation für Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere zusätzlich, sagt Apostolos Veizis, Arzt und Leiter der Mission von MSF in Griechenland. "Wir sahen, wie die Beamten in Begleitung von Spezialeinheiten den Menschen die Verlängerung der Haft verkündeten. Die Reaktionen waren sehr heftig, die Menschen waren schockiert. Die Polizei musste intervenieren, um Ordnung zu schaffen." Dazu wird die Präsenz von Ärzten in den überfüllten Abschiebelagern immer problematischer. Laut Informationen aus NGOs gibt es (Stand Juli) nur in den Lagern in der Region Attika, in Korinth und in Komotini Ärzte des Nationalen Zentrums für Gesundheitsaktionen EKEPY. In den Lagern in Evros, Drama und Xanthi gibt es keine. Dazu arbeiten die Ärzte von EKEPY ohne Dolmetscher, so die Informationen aus den NGOs.
Geradezu ironisch ist, dass einer der drei Ärzte im Lager von Amygdaleza ein Frauenarzt ist, obwohl es dort nur männliche Insassen gibt. Frauen werden vorwiegend in der Direktion der Ausländerpolizei in Athen und im Haftlager Fylakio in Nordgriechenland eingesperrt. Die Insassen in Amygdaleza klagen über den Mangel an Seife, Shampoo, Kleidung und Schuhen.
"Warum sind wir hier drinnen? Wir sind keine Mörder, Terroristen, Räuber oder Kriminelle. Sie zerstören unser Leben in diesen Gefängnissen", schreibt ein junger Pakistani, der mehr als 18 Monate im Lager von Korinth eingesperrt war. Der Präsident der Panhellenischen Vereinigung der Polizeibeamten (POASY), Christos Fotopoulos betont, dass die Gewerkschaft wiederholt auf die entsetzlichen Bedingungen in den Haftanstalten und Polizeistationen hingewiesen haben, ohne dass inhaltliche Verbesserungen folgten. Diese Haltung des Staates hat Auswirkung auf das Verhalten der Polizeibeamten gegenüber den inhaftierten Flüchtlingen und Migranten, meint er. "Das Wichtigste ist, dass der Staat schamlos die Rechte unserer Mitmenschen verletzt. Wenn ein Polizeibeamter diese Situation betrachtet und sieht, dass vom Staat selbst die Rechte dieser Menschen so verletzt werden, glaubt er - vielleicht unbewusst -, dass er selbst auch unbestraft bleibt, falls er ähnlich agiert." Seit 2011 wird die Dublin-Verordnung, die besagt, dass das EU-Land, in das man als erstes eingereist ist, für einen zuständig ist, im Falle Griechenlands nicht umgesetzt. Es wird aufgrund wiederholter Menschenrechtsverletzungen und mangelnden Schutzes nicht mehr nach Griechenland abgeschoben.
Ärzte ohne Grenzen MSF
Wie unerträglich Griechenland für manche Schutzsuchende ist, zeigt der Fall des Guineers Mamadou Bah, der zwar Asyl bekommen hatte, aber Opfer rechtsextremer und polizeilicher Gewalt wurde. Er hat Griechenland verlassen, um in Belgien Schutz zu finden. Es ist das erste Mal, dass ein europäisches Land einem Flüchtling Asyl gewährt, obwohl dieser schon in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt worden war. Nach dem Urteil Belgiens ist Griechenland kein sicheres Land für den Betroffenen. So hat ein Boot mit 65 Flüchtlingen, das Ende Juli in den internationalen Gewässern in der Nähe von Kefalonia in Westgriechenland auf dem Weg nach Italien ohne Treibstoff liegen geblieben ist, die Hilfe der griechischen Küstenwache abgelehnt, aus Angst, in Griechenland bleiben zu müssen.
Wie negativ die Stimmung gegenüber Einwanderer ist, zeigen zwei aktuelle Entscheidungen der Justiz: Ende Juli hat der zuständige Staatsanwalt einen brisanten Fall zu den Akten gelegt: Im Januar waren vor der griechischen Insel Farmakonisi elf afghanische Flüchtlinge ertrunken, nachdem ihr Boot gekentert war. Überlebende berichteten, dazu sei es erst gekommen, als ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache das Boot in die Türkei zurückschleppen wollte. Und Ende Juli ist der Prozess gegen den Eigentümer und drei Angestellte einer Erdbeerplantage in der Region Manolada (Peloponnes) mit Freisprüchen und extrem milden Strafen zu Ende gegangen. Im April 2013 hatten etwa 200 ausländische Erdbeerpflücker ihren seit sechs Monaten zurückgehaltenen Lohn eingefordert, die Vorarbeiter feuerten mit Jagdgewehren auf sie. 28 Menschen wurden dabei verletzt.
Griechenland ist derweil europäischer Spitzenreiter in Sachen Abschiebung und auch die Zahlen "freiwilliger Rückkehrer" steigen. Zwischen 2011 und 2013 wurden mehr als 65.000 Personen in ihre Herkunftsländer zurückgewiesen. Bis Ende 2014 sollen es sogar 100.000 werden.
Ärzte ohne Grenzen MSF