Erstellt am: 4. 8. 2014 - 16:44 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 04-08-14.
The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Mit Items aus diesen Themenfeldern. Im August wegen Väterteilzeit und Urlaubstagen leider höchst unregelmäßig.
Plötzlich waren sie da die zwei Zeilen, die noch dazu halblaut gesungen werden wollen; und ich habe keine Ahnung wieso. Die vordergründigen Assoziationen (Alkohol, Hippietum...) scheiden aus, vielleicht hat es mit einem kürzlichen Mikro-Sidestep zu britischen Folk zu tun, am ehesten aber damit, dass ich gerade angehalten bin beim Singen von Kinderlieder-Texten herum zu improvisieren. Und Folk und Kinderlieder sind ja homies.
Warum mir aber mein Unterbewusstsein diese Zeilen ausspuckt weiß ich nicht: "and little Sir John and the nut brown bowl and his brandy in the glass - and little Sir John and the nut brown bowl proved the strongest man at last".
Das ist ein Ausschnitt aus John Barleycorn von Traffic, einer der sogenannten Supergroups aus den Pop-Übergangsjahren und ihrem Album John Barleycorn Must Die, einer schrecklich prätentiösen Fudel-Jazz-Platte (Progressive Rock und Jazz Fusion als zeitgenössische Stichworte des Grauens) von 1970.
There were three men came out of the west, their fortunes for to try
And these three men made a solemn vow - John Barleycorn must die
They've ploughed, they've sown, they've harrowed him in - threw clods upon his head
And these three men made a solemn vow - John Barleycorn was dead
They've let him lie for a very long time, 'til the rains from heaven did fall
And little Sir John sprung up his head and so amazed them all
They've let him stand 'til Midsummer's Day 'til he looked both pale and wan
And little Sir John's grown a long long beard and so become a man
They've hired men with their scythes so sharp to cut him off at the knee
They've rolled him and tied him by the waist serving him most barbarously
They've hired men with their sharp pitchforks who've pricked him to the heart
And the loader he has served him worse than that for he's bound him to the cart
They've wheeled him around and around a field 'til they came unto a barn
And there they made a solemn oath on poor John Barleycorn
They've hired men with their crabtree sticks to cut him skin from bone
And the miller he has served him worse than that for he's ground him between two stones
And little Sir John and the nut brown bowl and his brandy in the glass
And little Sir John and the nut brown bowl proved the strongest man at last
The huntsman he can't hunt the fox nor so loudly to blow his horn
And the tinker he can't mend kettle or pots without a little barleycorn
Deshalb sticht die kleine Folk-Perle auch besonders heraus. Sänger Steve Winwood, der den traditional vor allem textlich stark umgestaltet hat, spielt eine zarte Akustik-Gitarre. Jim Capaldi schlägt das Tamburin und singt die zweite Stimme und Chris Wood flötet.
Das Original stammt vom schottischen National-Dichter Robert Burns Rebell und Romantiker, und thematisiert eine ewige Geschichte: die des Saufens. John Barleycorn ist ein klassisches Synonym für Alkohol.
Ob Steve Winwood, das Wunderkind der Spencer Davis Group, der Sänger von Blind Faith und spätere Solo-Artist, das Stück als implizite Mahnung an Kollegen Wood, den der Alkohol schließlich tötete, gerichtet hat, das weiß ich nicht. Mich hat an John Barleycorn immer die Ambivalenz zwischen zarter Tonalität und der textlichen Brutalität fasziniert - eh etwas ganz typisch volksliedhaftes, das hier bei Traffic dann aber auch noch in die großen Popsongs innewohnende Artifizialität trat.
Zu Traffic habe ich trotzdem keinen rechten Zugang gefunden, nicht in der späteren Phase (hier eine Barleycorn-Version daraus), auch nicht in der frühen Hippie-Zeit.
Sich heute anzuschauen, wie das damals ausgeschaut hat, macht natürlich trotzdem Spaß: hier eine Live-Version aus 1972: Waffenschein-Bärte, Lockenpracht bis zum Arsch.
Das Auffälligste an dieser Performance ist natürlich ist das bucklige Geflöte. Nicht vorstellbar dass das einmal nicht lächerlich war. Meine heutige Assoziation zur Flöte ist der Kollege Haipl der mit seinen omnipräsenten Blockflötenauftritten die Rock’n’Roll-Posen trefflich persifliert.
Anfang der 70er fand die Flöte durchaus Anerkennung; und wenn man nur den Sound berücksichtigt auch zurecht. Populärster Vertreter der Gattung Flötenrock waren Jethro Tull, deren Leadsänger Ian Anderson sich perfekt als flötender Derwisch inszenierte. Ihre (textlich ganz andere) Version von John Barleycorn ist nicht so gelungen – hier in ihrem Klassiker Locomotive Breath kommt die Flöte deutlich besser zum Einsatz.
Durchaus noch mehr als die schmockige Solier-Pose von Anderson kann die Flöte auf dem besten Album aller Zeiten. Van Morrisson hatte sich für Slim Slow Slider, seinen von Hoffnungslosigkeit angenagten Abgesang auf einen Freund, der demnächst am Junk sterben würde, auf eine ganz zarte musikalische Dosierung geeinigt: Stimme, Akustik-Gitarre, der dominante tragende Stehbass und die die Seele des Sliders wie der Wind wegtragende Flöte von John Payne.
Vielleicht wächst sich das (Plötzlich aus dem Nichts auftauchende Textfetzen oder Musikstücke; und wohin sie mich führen) zu einer unregelmäßigen Serie aus. Kommt auf die Qualität der Erscheinungen an…
Wer jetzt immer noch verächtlich von Art-Pop redet, der sei daran erinnert, dass es die Flöte war, die die elektronische Musik erfunden hat. Quasi. Denn ohne Florian Schneiders Querflöte hätte es die frühen Kraftwerk nicht gegeben. Das gesamte Frühwerk der Düsseldorfer Pioniere ist maßgeblich vom Flötensound geprägt, Flöte und computergenerierte Sounds singen da ganz wunderbar im Duett – das zeigt dieser schöne Konzertmitschnitt aus 1970 vortrefflich. Oder auch der WDR-Mitschnitt von Ruckzuck aus demselben Jahr.
Zeitgenössisches Flöten (abseits von orchestralen Hintergründen) fallen mir spontan gar keine ein. Euch sicher. Little Sir John würde es gefallen.