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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

4. 8. 2014 - 12:22

Von bösen Menschen und guten Affen

"The Purge: Anarchy" und "Dawn Of The Planet Of The Apes" wagen die Gratwanderung zwischen Endzeit-Action und Gesellschaftskritik.

Selten ist der Schreiber dieser Zeilen bei einem Film so quer zum allgemeinen Konsens gestanden wie im Vorjahr beim Low-Budget-Horrorfilm "The Purge". Ziemlich enthusiastisch aus der Pressevorführung kommend, blickte ich rundum in verärgerte Kollegengesichter.

Dermaßen geschlossen geiferte letztlich beinahe die gesamte Filmkritik gegen den Streifen von James DeMonaco, dass ich irgendwann dachte, nur der Regisseur selbst und meine Wenigkeit würden den Billigschocker schätzen. Abgesehen von ein paar Millionen Kinobesuchern, die den Film in den USA sogar an die Spitze der Box-Office-Charts hievten und ein Sequel unvermeidlich machten.

Dabei war es retrospektiv wohl hauptsächlich die Prämisse, die mich nachhaltig faszinierte und weniger die Umsetzung. Ich hatte einen schlichten, aber effektiven Home-Invasion-Thriller erwartet. "The Purge" spitzt allerdings die Diskussionen über den amerikanischen Waffenwahn zu einem dystopischen Szenario in der nahen Zukunft zu.

Einmal im Jahr dürfen die Bürger ihren inneren Schweinehund rauslassen und plündern, vergewaltigen und morden, ohne dass die Polizei einen Finger krümmt. Der sanktionierte Purge Day und seine Entfesselung der Triebe sorgt für den sozialen Frieden an allen anderen Tagen, wird aus sämtlichen Medienkanälen verkündet. Die historisch niedrige Kriminalitätsrate gibt den regierenden Vätern der Nation recht.

The Purge

UPI

The Purge

Mit Blutspritzern besprühte Grauzone

Während andere Regisseure die Story nur als oberflächlichen Vorwand für ein actionreiches Blutbad verwendet hätten, gibt sich "The Purge" überdeutlich als soziale Groteske zu erkennen.

Regisseur und Autor James DeMonaco stellt sich in eine essentielle Tradition. Großmeister wie George Romero, Paul Verhoeven oder John Carpenter benutzten in Meilensteinen wie "Dawn Of The Dead", "Robocop" oder "Escape From New York" das HorrorSciFiActionkino, um Faustwatschen gegen restriktiven Rechtskonservatismus auszuteilen.

Gleichzeitig blendeten die genannten Filme keineswegs menschliche Gespaltenheiten und ideologische Ambivalenzen aus. Keiner der Charaktere darin lässt sich in simple Schemata einteilen, die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in einer mit Blutspritzern besprühten Grauzone.

James DeMonaco erreicht zwar nie annähernd das Genie der erwähnten Genregrößen, aber er lässt zumindest Ambition aufblitzen. Ethan Hawke und "Game Of Thrones"-Star Lena Headey versuchen, sich als Gutverdiener-Ehepaar mit den Kindern durch die Killer-Nacht zu retten, nachdem der kleine Sohn einen verfolgten Afroamerikaner ins geschützte Heim lässt. Die moralischen Positionen verschieben sich dabei im Minutentakt, der amerikanische Traum wird vom Sockel gestürzt.

The Purge: Anarchy

Universal

The Purge: Anarchy

Beklemmende Bilder, schwache Schauspieler

"The Purge: Anarchy", die in kurzer Zeit von DeMonaco gedrehte Fortsetzung, erzählt nun eine brandneue Geschichte vor dem gleichen gespenstischen Hintergrund. Diesmal geht es nicht um eine wohlhabende Familie, die sich in der Purge-Nacht einbunkert, sondern um das Geschehen draußen auf den Straßen. Eine Gruppe von Working-Class-Typen landet aus verschiedensten Gründen unfreiwillig mitten im Schrecken. Ein bitterer Kampf ums Überleben beginnt.

Dass vorab auch viele Gegner des Originalfilms das Sequel lobten, steigerte meine Erwartungshaltung gewaltig. Tatsächlich ist der zynische Blickwinkel auf den Knarren-Fetischismus und die Entsolidarisierung der amerikanischen Gesellschaft gleich geblieben. Fast erfrischend im Sommer-Multiplex-Kontext ist zudem die verstärkte politische Angriffslust des Films, die den rabenschwarzen Peter der reichen Oberklasse zuspielt, gegen Wallstreet-Banker agitiert und, wie auch das Big-Budget-Konkurrenzspektakel "The Hunger Games", Ansätze von Menschlichkeit höchstens im Ghetto ortet.

Es hat aber auch Nachteile, dass aus dem kleinen Horror-Kammerspiel ein relativ aufwändig aussehender Actionstreifen wurde. Im Non-Stop-Sperrfeuer auf den Straßen, wo verschiedenste Parteien mitmischen, lässt "The Purge: Anarchy" die klaustrophobische Dichtheit des Vorgängers vermissen.

Eindeutig will das Drehbuch diesmal auch zu viel, bringt revolutionäre Bewegungen im Geist der Black Panther ebenso ins Spiel wie CIA-Verschwörungen. Dass mit Ausnahme des formidablen Actionroutiniers Frank Grillo eher unterdurchschnittliche Schauspieler mit ihren Rollen ringen, sabotiert die Spannung zusätzlich. Einige hochgradig beklemmende Bilder des Grauens bleiben aber zurück. Und die Grundidee erzeugt immer noch Gänsehaut.

The Purge: Anarchy

Universal

The Purge: Anarchy

Affen-Apokalypse Now!

Dass Sequels aber auch in einer ganz anderen Liga spielen können, beweist ein zweiter aktueller Film, der ebenfalls bissige Gesellschaftskritik und brachiale Endzeit-Action vermischt. Mit "Rise Of The Planet Of The Apes" war Rupert Wyatt 2011 nur ein etwas müder Affenzirkus gelungen, der an die von Fans fast schon religiös verehrte Sci-Fi-Saga aus den späten Sixties anzuknüpfen versuchte.

In "Dawn Of The Planet Of The Apes" schließt dessen Regienachfolger Matt Reeves nun wirklich an die legendäre Filmreihe an. Und transportiert deren Spirit stellenweise atemberaubend in die filmische Gegenwart.

Hatte im Reboot ein junger Wissenschaftler, gespielt von Hipsterdarling James Franco, einige Affen auf der Suche nach einem Alzheimer-Heilmittel mit einem Virus infiziert, zeigt die Fortsetzung nun zehn Jahre später die Folgen dieser Experimente. "Rise Of The Planet Of The Apes" eröffnet mit Szenen einer postapokalyptischen Welt.

Während die aus dem Labor entkommenen, hochintelligenten Tiere mit gewöhnlichen Affen eine eigene Zivilisation aufbauten, sorgte die von ihnen übertragene Grippe für die Auslöschung von Milliarden Menschen. Die wenigen Überlebenden der globalen Pandemie haben sich in versteckten Kolonien zusammengerottet, in den Ruinen von San Francisco etwa.

Dawn Of The Planet Of The Apes (Planet der Affen: Revolution)

Centfox

Dawn Of The Planet Of The Apes (Planet der Affen: Revolution)

Ape shall not kill Ape

Mit "Planet Of The Apes", basierend auf dem gleichnamigen Roman von Pierre Boulle, reagierte das Hollywood-Genrekino anno 1968 auf Rassenunruhen und atomare Ängste zugleich. Die Parabel von der zerstörten Erde, wo denkende Affen die archaisch-animalischen Menschen versklavten, spielte augenscheinlich auf diskriminierte Minderheiten und Kalter-Kriegs-Ängste an.

Standen damals mit Stars wie Charlton Heston allerdings die Menschen noch immer im Mittelpunkt, verschiebt sich in der neuen Affenserie konsequent die Perspektive: Es sind die mutierten Primaten, die guttural den Ton angeben. Schon in "Rise of the Planet of the Apes" schlüpfte Ausnahmeakteur Andy Serkis mittels Performance-Capture-Magie in den Schimpansen Caesar, der die Führungsrolle übernimmt. Mittlerweile hat die CGI-Technologie aber sichtbar Quantensprünge absolviert.

Mit "Dawn Of The Planet Of The Apes" dämmert tatsächlich eine Ära heran, in der Kreaturen von der Festplatte so glaubwürdig und emotional mitreißend anmuten, dass ihre menschlichen Gegenüber verblassen. Sogar eine Ikone wie Gary Oldman, als fanatisches Sprachrohr der Menschen-Kolonie, tut sich da nicht leicht. Regisseur Matt Reeves, ein hochsympathischer Handwerker aus der JJ-Abrams-Schule, der auf Herz wie Hirn gleichermaßen zielt, lässt aber die Effekte nie zum Selbstzweck verkommen.

Dawn Of The Planet Of The Apes (Planet der Affen: Revolution)

Centfox

Dawn Of The Planet Of The Apes (Planet der Affen: Revolution)

Mit heiligem Ernst setzt sich der Film von der trashigen Sixties-Ironie ab, mit großen Breitwand-Gesten vom eher dahinplätschernden Vorgänger. Matt Reeves geht es, ohne Angst vor Pathos oder Naivität, um die Grundbedingungen des Zusammenlebens von Konfliktparteien, ob im Gazastreifen, in der Ukraine oder in der fiktiven Post-Virus-Hölle.

"Dawn Of The Planet Of The Apes" wagt es, moralische, ethische, kriegerische Szenarien durchzuspielen, ohne sich hinter Zeigefingerparolen zu verschanzen, simpelste Lösungen anzubieten oder gar in Happy Ends zu flüchten. Das ist schon verdammt viel für einen Sommerblockbuster.