Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ein Ausflug zum Off Festival nach Polen"

Susi Ondrušová

Preview / Review

3. 8. 2014 - 14:06

Ein Ausflug zum Off Festival nach Polen

Wenn ein Festival ein Gefühl wär, dann ist das hier wie nach Hause kommen.

Der Festivalbesucher jammert gerne: es ist heiß, es ist kalt, es regnet, es regnet nicht, es ist zu laut, es ist zu leise. Am Off Festival in Katowice gibt´s wenig zu jammern. Mit dem üblichen Wahnsinn, der ein Massenpublikum alle Regeln des Anstands vergessen (und z.B. wahlweise alle Festival-Ecken oder Zelte oder sich selbst anpinkeln)lässt - damit ist man hier nicht konfrontiert. Jeder wie er will, den Exzess und die Ekstase, aber einmal im Jahr möchte man sich schon auf das Kerngeschäft, das ein Festival rein mathematisch ausmacht, konzentrieren: in kurzer Zeit so viele Bands wie nur möglich entdecken und sehen. Und auch: entspannen. Ein Festival nicht nur als Kampf erleben.

Jemanden, der in wunderwitzigen Ganzkörper-Kostümen das Gelände unsicher macht und am ersten Tag schon nicht mehr weiß, wegen welcher Band er überhaupt hier ist: das gibt es hier in Katowice also nicht. Die Verkleidung hier heißt: Band-T-Shirt.

Heuer liefert das Lineup wieder eine schöne Gratwanderung zwischen lokalen Bands wie der des Festival-Direktors selbst (Artur Rojek, der hier zwischen Andrew WK und den Fuck Buttons auftreten wird), Helden-Bands wie Neutral Milk Hotel, The Jesus And Mary Chain und Slowdive. Drei Bands, deretwegen es auch die FM4-Hörer Kilian und Paul hierher verschlagen hat. Die ersten zwei Acts haben sie schon von den ersten Reihen aus gesehen, Slowdive wird heut das große Finale.

Mark Russell

Gewöhnungsbedürftig aber lohnenswert: ein eigenes Konsum-Areal. Hier wird nur gegessen und getrunken. Verhindert unter anderem, dass überall am Gelände Müll liegt.

Eine der gestrigen Band-Entdeckungen hört auf den Namen DakhaBrakha, eine ukrainische Folk-Band, die hier auf der Experimental-Bühne aufgetreten sind. Beschreiben kann ich das nicht, ist es volkstümliche Musik oder Volksmusik oder doch Pop?

Susi Ondrusova

Hookworms!

Unter dem Namen „Experimental-Bühne“ kann man sich so alles erlauben – hier am Off Festival ist ja auch schon mal eine Thai-Pop-Band für Solange eingesprungen – anything goes. Aus der Abteilung „psychedelic“ war hier eine britische Formation namens Hookworms zu sehen. Gute Ohrenspülung mit feinem Gesangskreischen, die in diesem Artikel hier sehr gut porträtiert wurde. Auch den Namen Chelsea Wolfe sollte man sich merken, eine sehr beeindruckende „Drone-Metal-Art-Folk“-Mischung. WienerInnen werden sich freuen, sich diese Popgoth-Band am Montag, 4. August in der Arena anschauen zu können (gemeinsam mit Deafhaven!).

Susi Ondrusova

Notwist haben hier ihr erstes Konzert in Polen absolviert. Endlich!

Musikalisch ist das Off Festival immer voller Überraschungen. Auch, was die Trefferquote in Sachen Wiedervereinigungen betrifft. Heuer also Slowdive und The Jesus And Mary Chain. Noisepop ist Gänsehaut pur für mich und wie man sieht für tausende andere Off-Festival-BesucherInnen auch. Ein guter Tipp für Konzerte (wenn man nicht in den ersten Reihen steht) ist, sich eine Menschengruppe zu suchen, die nach Hardcore-Fans ausschaut. Jemand der tanzt als gäbe es kein Morgen, mitsingt als hätte man die Songs selber geschrieben und seiner Begleitung nach jedem Song um den Hals fällt. Es sind auch Selfies möglich, weil man sich halt freut wie ein kleines Kind. Hinter so einem (ich glaube britischen) Best-Buddies-Paar bin ich beim Konzert von The Jesus And Mary Chain gestanden. Ich hätte mich auch alleine ohne die hüpfenden und klatschenden Menschen vor und hinter mir über dieses Konzert gefreut. Näher als mit diesem Konzert und dieser Band werde ich Rock’n‘Roll der Marke Velvet Underground nicht kommen.

Susi Ondrusova

Jim Reid

Susi Ondrusova

William Reid

Sagen wir mal so: wer die Gedanken und Erinnerungen an die JAMC-Songs, wie sie auf Platte klingen, ausgeschaltet hat, hat sich für knapp 80 Minuten fallen lassen können und im Wohlfühl-Noise-Pop schwelgen können. Bei näherer Betrachtung konnte man allerdings sagen: es gab Soundprobleme, böse Zungen behaupten auch Alkoholprobleme, lippenlesende Begleiter meinten William Reid wahlweise ein „I‘m shite“ oder „You‘re shite“ in Richtung des Sängers rufen gesehen zu haben. Es war stellenweise jedenfalls so, als ob Gitarre und restliche Musiker voreinander davonlaufen. Jetzt hab ichs also doch gemacht: gejammert. Aber schon auch auf hohem Niveau. Perfektion hat viele Gesichter. Wer ein Meilenstein-Album wie „Psychocandy“ veröffentlicht hat, darf auch mal ruhig für ein paar Songs ungeschminkt und - Vorsicht Wortwitz - ungestimmt auftreten.

Susi Ondrusova