Erstellt am: 1. 8. 2014 - 14:58 Uhr
Oculus Rift: Runde zwei
Seit ich im Jahr 2013 die erste Version des Oculus Rift erhalten habe, lud ich immer wieder Freunde zu Experimenten damit nach Hause ein. Die Reaktionen auf die ersten Versuche ähnelten einander bei allen Gästen: Überraschtes Staunen über die riesigen Größenverhältnisse in der virtuellen Realität.
Denn egal ob Spielfiguren, Gebäude oder Höhlen: Das Oculus Rift erzeugt einen Eindruck von Größe, der den Wahrnehmungen in der physischen Welt entspricht. Menschen in „Half-Life 2“ sind eineinhalb bis zwei Meter groß. Eine Schlucht in „Minecraft“ erstreckt sich 60 Meter in die Tiefe. Ein Wolkenkratzer in „Second Life“ ist 100 Meter hoch. Und egal, in welche Richtung du deinen Kopf drehst, die virtuelle Welt erstreckt sich rund um dich in alle Richtungen. All das ist beim ersten Mal überraschend, erschreckend, schwindelerregend und faszinierend zugleich.
©Christoph Weiss
Die Anwendungsszenarien der Technologie sind vielfältig. Architekten können ihre Konstruktionen in Originalgröße betreten. Ärzte können die MRT-Aufnahmen ihrer Patienten von innen bereisen und Eingriffe simulieren. Menschen mit Amputationen therapieren Phantomschmerzen, indem sie virtuelle Gliedmaßen bewegen. All das wurde auch schon vor dem Oculus Rift gemacht – allerdings kosteten die technischen Lösungen hunderttausende Dollar. Oculus-Rift-Erfinder Palmer Luckey hatte die Idee, die mittlerweile massenhaft für Smartphones und Tablets produzierten Sensoren und Bildschirme für die Entwicklung eines VR-Headsets zu verwenden. Oculus Rift kostet nur rund 300 Euro, leistet aber vergleichsweise mehr als die teuren Simulatoren der Vergangenheit.
Ende Juli 2014 hat Palmer Luckeys Firma, Oculus VR, damit begonnen, die zweite Version des Rift zu verschicken. Wieder handelt es sich dabei um ein sogenanntes „Developer Kit“, nicht um eine Konsumentenversion für den regulären Handel. Das „DK2“ ist vor allem für Programmierer und Gamedesigner gedacht. An den Unterschieden zwischen dem neuen Modell und jenem aus dem Sommer des Vorjahres kann man gut sehen, in welche Richtung sich die günstige, konsumentenfreundliche Virtual-Reality-Technologie entwickelt.
Raum
Die virtuelle Welt wirkte im Rift des Vorjahres ein bisschen so, als würde man durch ein Fliegengitter blicken. Weit entfernte Objekte verschwammen zu einer kaum erkennbaren Masse an Pixeln. Grund dafür war die niedrige Auflösung des Bildschirms in Kombination mit der starken Vergrößerung durch optische Linsen.
Im neuen Rift steckt ein Bildschirm mit höherer Auflösung. Wer sich in letzter Zeit die Frage gestellt hat, warum uns die Hersteller von Smartphones und Fernsehgeräten immer noch mehr Pixel verkaufen wollen, obwohl wir schon HD-Bildschirme zu Hause haben, erhält zumindest hier die Antwort: Je höher die Auflösung in virtueller Realität ist, desto besser erkennbar sind die Details auch in großer räumlicher Distanz. Und in VR gibt es verdammt viel räumliche Distanz – wenn du das nicht glaubst, dann setze dich bei deinem ersten Versuch in das Cockpit eines virtuellen Raumschiffs.
Die höhere Auflösung des Bildschirms ist im Vergleich zum Rift des letzten Jahres ein großer Schritt nach vorn. Verwendet wurde allerdings wieder ein Standardbildschirm der Smartphone-Industrie – es ist derselbe Screen, der auch im „Galaxy Note 3“ von Samsung zum Einsatz kommt. Oculus hat angekündigt, in den nächsten Jahren Bildschirme mit weit höherer Auflösung selbst zu entwickeln, um nicht auf "die Überreste der Smartphoneindustrie" angewiesen zu sein. Die Entwicklung eigener Screens kann das ehemals kleine Start-up-Unternehmen jetzt selbst vornehmen, weil es sich – nicht ganz unumstritten – von Facebook kaufen ließ.
©Christoph Weiss
Präsenz
Der Eindruck, sich mitten in einer Welt zu befinden, anstatt das Geschehen durch ein kleines rechteckiges Fenster zu betrachten, entsteht beim Rift durch Bewegungssensoren. Dreht man den Kopf, verändert sich auch das Bild vor den Augen. Das "Development Kit 2" erfasst nun aber nicht nur Drehungen des Kopfes, sondern auch dessen Position im Raum. Was wie eine Trivialität klingt, hat überraschend große Auswirkungen. Das Gefühl von Präsenz im virtuellen Raum wird dramatisch erhöht. Außerdem macht es Spaß, hinter einer Mauer hervorblicken zu können, oder das Gesicht näher an das Armaturenbrett eines Fahrzeugs heranzubringen. Obendrein verringert die verbesserte Sensorik auch die gefürchtete Simulatorenkrankheit, die bei allzu langem Aufenthalt in Virtueller Realität entstehen kann. Die Verbesserungen seit dem letzten Jahr sind enorm und lassen bis zum Erscheinen der regulären Konsumentenversion (für die es immer noch kein Release-Datum gibt) Großes erwarten.
Usability
Noch ist das Oculus Rift keine „Plug and Play“-Technologie. Wer "Minecraft" oder "Elite Dangerous" in VR erleben will, sollte auch beim Development Kit 2 damit rechnen, Bildschirmeinstellungen anzupassen, Grafiktreiber zu konfigurieren und Kabelsalat zu entwirren.
Trotzdem ist das DK2 auch in diesem Zusammenhang eine große Verbesserung. „Direct Connect“ heißt eine Funktion, die dafür sorgt, dass sich das Rift von selbst aktiviert, wenn ein damit kompatibles Programm am PC gestartet wurde. Das wird, falls zukünftige Entwickler von Spielen und Software „Direct Connect“ konsequent nutzen, den Usern viele nervtötende Konfigurationen ersparen. Die zunehmende Vereinfachung der Bedienung wird entscheidend sein, ob Virtual Reality in den nächsten Jahren zum Mainstream-Phänomen wird oder doch eine Sache für Experten und Enthusiasten bleibt. Um die Faszination von VR zu verstehen, reicht es jedenfalls, das Oculus Rift nur ein paar Sekunden lang aufzusetzen – und das gilt für das neue „DK2“ mehr denn je.