Erstellt am: 31. 7. 2014 - 19:03 Uhr
Formed a Band
Popmusik handelt natürlich nicht "nur" von der Musik. Es geht um Moden, Codes, Styles, Haare, Ansichten und geile Stiefel. Vielleicht kann es neben den Wünschen nach Fame, Geld und nach sexueller Strahlkraft manchmal auch um Einfälle, Meinungen und Rebellion gehen. Der Rock'n'Roll war doch ein Vergnügen für Tagediebe und Taugenichtse? Heute ist er eine amtliche Karriere. Man muss da gar nicht so weit gehen und über Casting-Shows und Pop-Akademien nachdenken. Ian Svenonius weiß das alles und vieles, vieles mehr. Vieles mehr.
Vor kurzem ist sein Buch "Supernatural Strategies for Making a Rock'n'Roll Group" aus dem Jahr 2013 unter dem Titel "22 Strategien für die erfolgreiche Gründung einer Rockband" im Metrolit Verlag auf Deutsch erschienen: Ian Svenonius schaut nach, wie im glitzy Biz die Mühlen mahlen, und zerlegt die Methoden.
Das Buch tarnt sich als Leitfibel für den Weg zum Ruhm, geschrieben mit dem bitteren Blick eines Punks. Svenonius war Sänger der fantastischen, ausdrücklich weit links stehenden, politisch geladenen, kämpferischen Bands Nation of Ulysses und The Make-Up (und in einige andere musikalische Projekte involviert), er war Host der penibel genauen, nachbohrenden und da und dort auch mit Absicht etwas unangenehmen Netz-Talkshow "Soft Focus" und ist insgesamt nicht gerade für seine Meinungsschwäche bekannt.
Ian Svenonius
Svenonius' erstes, 2006 über das coole Plattenlabel Drag City erschienenes Buch nannte sich "The Psychic Soviet" und orientierte sich hinsichtlich Aufmachung und Westentaschen-Format an der Mao-Bibel. "The Psychic Soviet" war eine handliche Sammlung von Essays, eine Kampfschrift zum Durch-Die-Gegend-Tragen und In-Die-Welt-Hinausproklamieren. Die Themen hießen da "Rock'n'Roll as Real Estate" oder "The Responsible Use of "Rock'n'Roll". Mit seinem aktuellen Buch steigt Svenonius noch tiefer in die Materie und findet dort neben brennenden Einsichten nicht zuletzt: Humor.
"22 Strategien…" gaukelt einen leistungsorientierten Pragmatismus vor: Wenn man eine Rockband gründen will, dann muss es nicht mehr um Kunst gehen. Zuviel Kunst ist, im Gegenteil, hinderlich. Wer soll das verstehen, gar kaufen vielleicht? Deshalb führt das Buch die Wörter "erfolgreich" und "Strategien" schon im Titel. Der Rockstar muss in Warenform gegossen werden. Ian F. Svenonius widmet sich also den wirklich wichtigen Dingen: Wie muss man aussehen? Wie finde ich geeignete Mitglieder, sprich: Erfüllungsgehilfen, für meine Band? Sex? Drogen? Wozu brauchen wir einen Produzenten?
"Legendäre Geschichten über die Verrücktheiten des Produzenten tragen dazu bei, ein ansonsten langweiliges oder banales Album mit einer eingängigen Geschichte auszustatten, und aus diesem Grund sind extrem unleidliche Produzenten sehr begehrt und werden dafür bezahlt, dass sie die Musiker mit einer Knarre bedrohen, achtzehn Monate für das Abmischen eines einzigen Songs benötigen, auf das Mischpult kacken und so weiter."
Svenonius bemüht einen strengen, teils fast schon wissenschaftlichen Ton, so entstehen zynisches Grundrauschen und komische Reibung. Eines ist nämlich klar: Auch wenn der Autor mit seinen Thesen recht haben mag, so sind sie ebenso das Ziel seiner Anklage. Als schnödes Business-Modell will er, der alte Revoluzzer, die Rock-Band natürlich eben genau nicht verstanden wissen. Svenonius zeigt, durch die Anrufung seines schier unerschöpflichen Speichers musikhistorischer Anekdoten und Fußnoten, wie das System funktioniert und dass es also falsch funktioniert.
Tiefschürfende politische Exkurse und verwinkelte Analysen über Industrie und technische Revolution verknüpft Svenonius mit Albernheiten, Party-Geplänkel, der Aufschlüsselung des Einflusses von Sternzeichen auf die Harmonie im Bandgefüge und trotzig-rotzigen Beleidigungen Richtung Feind.
"Die Politik erfordert weder Talent noch Intelligenz noch gutes Aussehen. Zu Beginn werden Sie nicht einmal einen Anzug benötigen." […] "So ist jemand wie Donald Rumsfeld, ein drittklassiger Regierungsfunktionär, bei dem kein Funken Talent, Intelligenz oder Charme zu erkennen ist, eine größere internationale Celebrity als Mick Jagger, ein wahrer Heros seiner Zunft."
Der erste Teil des Buches befasst sich mit fingierten Ratschlägen von echten, leider schon verstorbenen Rockstars: Per Séance entlockt Ian Svenonius so zum Beispiel Brian Jones, Buddy Holly oder Jimi Hendrix amüsante Tricks, Tipps und Schnurren, Teil 2 erläutert in 22 Kapiteln die titelspendenden Strategien: "Das Foto Als Enthüllung", "Die Bandprobe", "Das Label", "Der Tourbus" sind hier nur vier besonders heiße Schlagworte. Freilich ist für eine Gruppe auch die Namensfindung von höchster Brisanz:
Metrolit
"Und so funktioniert es eben. Die Wörter "Zombies", "Them", "Cramps", "Funkadelic", "Germs", "Drifters", "Black Flag", "Stooges, "Gories", "Parliament" und "Orlons" verbindet man mit absonderlichen, gruseligen und sogar grotesken Vorstellungen, aber die so benannten Gruppen werden allgemein sehr geschätzt. Die Namen "Kiss", "Eagles", "Black Eyed Peas", "Bread" und "Fleet Foxes" erwecken zwar warme pelzige Aossziationen, aber diese Gruppen werden trotz des von ihnen erreichten, unbegründeten kommerziellen Erfolgs von anspruchsvollen Menschen nicht gemocht und sogar verachtet."
"22 Strategien für die erfolgreiche Gründung einer Rockband" ist ein ziemlich fantastisches Buch geworden. Scharf, witzig, erhellend und geschichtsbeflissen. Wer etwas über Popmusik wissen will, wird es lesen müssen. Auch die deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Uta Goridis und Egbert Hörmann muss an dieser Stelle ausdrücklich gelobt werden. Hier waren allem Anschein nach Menschen mit großer Ahnung von und Liebe zum Thema am Werk. Und bekanntlich kann gerade mit derlei Pop-Geschichten und -Jargons bei der Übertragung in eine andere Sprache so einiges falsch gehen, Meister.
Zudem ist das Buch eine immer wieder nötige Erinnerung daran, dass es bei dem Konzept "Rockband" irgendwann einmal nicht bloß darum gegangen ist, ob die Zeichen auf Success stehen. Eine Band kann dein Leben sein, ein "Yeah!" die Erleuchtung. Ein Plädoyer für Attitude, Idee und Ideologie - hochkomisch und gerne gemein. Sie haben es verdient.