Erstellt am: 31. 7. 2014 - 10:35 Uhr
Raus an den See
"Wie du siehst: viel sieht man noch nicht." Brigitte, Stephi, Emma und Oliver grinsen. Tatsächlich gähnt vor uns nur ein sechs Meter tiefes Loch, auf dessen Boden aber immerhin schon ein Betonfundament liegt. Die Häuser daneben schauen dagegen schon fast fertig aus. "Die ersten Gruppen ziehen schon im September ein", erzählt Oliver, "unsere Wohnungen sind erst im Oktober 2015 fertig." Was den Vorteil hat, dass man sich Baulärm erspart, denn in der Seestadt Aspern wird auch im kommenden Jahr weiter gewerkelt, unter anderem eben am Haus der Baugruppe Leben in der Seestadt Aspern (LiSA).
FM4 / Rainer Springenschmid
Die Seestadt Aspern ist das derzeit ambitionierteste Stadterweiterungsprojekt in Wien. Auf dem Gelände des ehemaligen Flugfelds Aspern, weit draußen im bisherigen Niemandsland des 22. Bezirks, sollen in den nächsten Jahren 20.000 Wohnungen und ebensoviele Arbeitsplätze entstehen. Aktuell werden gerade die ersten 2600 Wohnungen, ein Bildungscampus und Geschäftsflächen gebaut, direkt neben dem namensgebenden Baggersee. Die Seestadt möchte ökologische und soziale Standards setzen: die Häuser entsprechen dem Niedrigstenergiestandard, das Verkehrskonzept bevorzugt intern Rad- und Fußgängerverkehr, es gibt Carsharing, U-Bahn-Anschluss und ein Stadtteilmanagement, das die BewohnerInnen dabei unterstützen soll, aus der Seestadt ein belebtes Viertel zu machen. Für alternative Wohnprojekte wurde ein eigenes Baufeld reserviert.
Sechs Baugruppen
LiSA ist eine von sechs Baugruppen, die sich das Baufeld D13 und ein angrenzendes Grundstück in der Seestadt aufteilen und die Flächen dazwischen gemeinsam nutzen und gestalten. Zu Baugruppen schließen sich vor allem Menschen zusammen, die gemeinschaftlich wohnen wollen. Manche suchen auch eine Möglichkeit, mit wenig Eigenkapital oder abseits des klassischen Wohnungsmarkts ihre Wohnwünsche zu erfüllen. LiSA ist ein Verein, funktioniert aber ähnlich wie eine Genossenschaft. Am Anfang bezahlt man, je nach Wohnungsgröße, einen Anteil von mindestens 20.000 €, dann einen monatlichen Betrag plus Betriebskosten. Ist die Wohnung abbezahlt, trägt man nur noch die Betriebs- und Erhaltungskosten.
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"Sein Leben lang schmeißt man sein Geld einem Vermieter in den Rachen", meint Oliver Auer. "Das können ganz nette Menschen sein – oder auch profitgierige Gesellschaften. Und wenn man ganz klassisch eine Eigentumswohnung kauft, bedient man den Markt der Immobilienspekulanten und -finanzierer genauso. Es gibt immer eine Hierarchie. Das hier ist eine Alternative, wir sind alle gleichberechtigt und am Schluss gehört das Haus uns."
Anders Zusammenleben
Oliver beschäftigt sich schon länger mit alternativen Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens. Wie die meisten Baugruppen-Mitglieder wollen Oliver und seine Freundin Simone sich nicht in ihre private Wohnung separieren. Auch für Emma Stinson war das der Hauptgrund, um bei LiSA einzusteigen. Sie ist Lehrerin in einer bilingualen Schule und in Irland am Land aufgewachsen. Seit sie in Wien ist, hat sie etwas gesucht, das ihr die Nähe und die Gemeinsamkeiten des dörflichen Lebens ersetzen kann.
FM4 / Rainer Springenschmid
Bei LiSA steht integriertes Wohnen im Vordergrund. Entscheidungen – zum Beispiel, dass die Geschoßhöhe auf 2 Meter 80 gehoben wird – werden im Plenum gefällt, am Entwurf des Finanzierungsmodells und an der Architektur feilen die BewohnerInnen mit. Außerdem bekommt das Haus viele Gemeinschaftsräume: Ein Foyer und einen Versammlungsraum im Erdgeschoß, eine große Gemeinschaftsküche und eine Dachterrasse, dazu einen Waschsalon, Werkstatt, Proberäume und Indoor-Spielplatz. Der Hausgang und das Stiegenhaus sind im Freien und so geräumig, dass sie auch als Loggia benutzt werden. Das alles reduziert den Platzbedarf in der eigenen Wohnung – die trotz der ganzen Integration immer noch eine recht normale Wohnung ist. "Türe zu, Rolläden runter – kein Problem!", sagt Stephi.
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Stephi Theisz wohnt seit zwei Jahren mit ihrem Freund in Floridsdorf, deswegen sind ihr auch die transdanubischen Distanzen schon vertraut. "Aber die U-Bahn ist eh vor der Haustüre, und in 25 Minuten bin ich am Schottentor," sagt sie. "Der Bezirk war uns nicht so wichtig bei der Wohnungssuche, nur dass eine U-Bahn in der Nähe ist." Auch Brigitte findet die große Entfernung von der Seestadt Aspern zur Innenstadt gar nicht so relevant. "Hier gibt's dann eh alles was ich brauche", sagt sie. "Und im Sommer fahre ich jetzt aus dem Westen auch immer auf die Donauinsel. Da wohne ich in Zukunft näher."
Impuls aus der Sargfabrik
LiSA ist noch nicht ausgebucht, ein Drittel der Wohnflächen sind derzeit noch frei. Infoveranstaltungen für Interessierte sind am Do., 31.7. und am Do., 18.9., nähere Infos hier.
LiSA ist aus einem Wohnprojekt hervorgegangen, das so etwas wie die Keimzelle für ähnliche Wohnformen in Wien ist: die Sargfabrik im 14. Bezirk. Dort, am Gelände der ehemaligen Sargtischlerei Julius Maschner & Söhne, wohnen seit dem Jahr 1996 Menschen genau so, wie die Asperner ab nächstem Jahr wohnen wollen. "Naja, fast so", lacht Brigitte. "Wir profitieren schon sehr von den Erfahrungen aus der Sargfabrik, aber wir haben auf ihren Rat hin auch unser Finanzmodell etwas anders gestaltet." Der Startimpuls für LiSA kam von BewohnerInnen der Sargfabrik, zusammen mit der Firma raum & kommunikation, die mehrere Wohn- und Baugruppenprojekte betreut. raum & kommunikation hat InteressentInnen miteinander und mit Finanzierern und dem Bauträger vernetzt, eine Mitarbeiterin organisiert und moderiert den Planungs- und Bauprozess von LiSA bis zur Fertigstellung.
Mehr über Baugruppen im Allgemeinen gibt's beim Verein für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen.
Brigitte Hein ist quasi von der Warteliste der Sargfabrik gecastet worden. Sie wohnt derzeit auf 86 qm, in der Seestadt werden es nur noch 64 sein. Stephi, die neben ihr das Dachgeschoß beziehen wird, wird mit ihrem Freund 90 qm beziehen. "Vorausschauend", wie sie sagt. Eigentlich ist das LiSA-Konzept aber sehr auf Flexibilität bedacht, die Wohnungen bestehen aus Modulen, die man ganz unterschiedlich miteinander kombinieren kann – und vor allem kann die Nutzung sich im Lauf der Zeit auch ändern.
FM4 / Rainer Springenschmid
Auf dem Weg zurück zur U-Bahn gehen wir über die ehemalige Rollbahn des Flugfelds Aspern. Hier ist das Infozentrum der Seestadt aufgebaut, ein Jugendzentrum wohnt noch provisorisch in Baracken und Containern, andere Projekte wie Urban Gardening oder eine Radwerkstatt sind inzwischen ausgelaufen oder verlegt worden. Ein paar Plakate vom WM-Public Viewing hängen noch. "Die Seestadt soll hier schon jetzt für die Bevölkerung nutzbar sein", meint Oliver. "Man achtet stadtplanerisch schon sehr auf die sozialen und ökologischen Aspekte des Zusammenlebens. Also das Umfeld hier passt eigentlich sehr gut zu uns." Die Freude darüber, dass es jetzt bald so richtig losgeht mit der Seestadt und dem Hausbau ist den Vieren deutlich anzumerken. "Beim Kranensee vor einem halben Jahr haben 43 Kräne mitgemacht", erzählt Oliver. "Jetzt haben wir sie gezählt, es sind noch vierzehn. Am Schluss wird vielleicht nur noch unserer da sein. Und dann ziehen wir ein."