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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 7. 2014 - 18:02

Before and after Science

Brian Eno hat mit Underworld-Mann Karl Hyde zwei Alben aufgenommen. Sie gehören zum Besten, was der englische Allesmacher in den letzten zwanzig Jahren fabriziert hat. Ein Blick in die Gegenwart und die Vergangenheit des FM4 Artist of the Week.

Der Fehler und der Zufall waren im Werk von Brian Eno immer schon willkommen. Berühmterweise hat sich der englische Producer, Theoretiker, Soundgestalter, Mittlerweile-dann-doch-Musiker und all around Fühler, Forscher und Kunstschwamm einst als Anti-Musiker bezeichnet. Als einer, der zunächst einmal das heilige "Handwerk" nicht gar so wichtig nimmt, sondern lieber an einer freshen Idee nascht und bunte Hirngespinste in den Himmel malt. Das Probieren, das Laufenlassen und das Akzeptieren merkwürdiger Überraschungen hat Brian Eno als wichtige Prinzipien erkannt.

Auf den ersten beiden Platten von Roxy Music war Eno vor allem für Synthesizer und so genannte "Treatments" zuständig – was in etwa bedeutet, dass er durch das Hinzufügen elektronischer Störgeräusche, durch Gequietsche, Gesumme und Gebrumm und außerweltliche Hypnose der Maschinen den ohnehin schon ganz wunderbaren Sound der Artschool-Glam-Dandys noch weiter Richtung Genie trieb. Ihm gefällt Musik, die sich selber schreibt.

1975 entwickelte Brian Eno gemeinsam mit dem Künstler Peter Schmidt das legendäre Kartenset "Oblique Strategies": Impulskärtchen, die – zufällig gezogen – dem verzweifelnden Künstler aus der Krise der kreativen Blockierung helfen sollen. "Try faking it" stand beispielsweise auf solch einem Kärtchen geschrieben, "Use an old idea" oder "Honour thy error as a hidden intention".

Der Mann weiß natürlich schon auch, was er tut. Mit den Talking Heads hat Eno drei der weltbesten Platten aller Zeiten aufgenommen, mit dem Talking-Heads-Kopf David Byrne auf der gemeinsamen Duo-Platte "My Life in the Bush of Ghosts" 1981 Pionierarbeit auf dem Feld des Sampling geleistet und schon früh so genannte Weltmusiken aus Afrika und dem Nahen Osten absorbiert.

Eno hat mit den Kraut-Elektronikern von Cluster atmosphärische Klangmeditationen entwickelt, nebenbei Ambient Music immerhin miterfunden, auf jeden Fall aber entscheidend geprägt und bei drei von David Bowies besten Alben den wichtigen Einflüsterer, Inspirator, Mitmusiker und Co-Autor gegeben. Das essenzielle Dokument der zwischen krankem Noise, Drogenwahn, Existenzialismus und kaputtem Free Jazz oszillierenden New Yorker No-Wave-Szene der ausgehenden 70er, das Compilation-Album "No New York", hat er auch aufgenommen und produziert. Weil er grade da war und das giftige Potenzial gefühlt hat.

Auch die vier Solo-Alben (freilich unter Beteiligung von Gästen entstanden), die Eno zwischen 1973 und 1977 aus überkandideltem Pop-Songwriting, Art-Rock, wogender Elektronik und Soundforschung zusammengeschustert hat, sind einerseits detailreich und genau gearbeitet, haben gleichzeitig immer wieder den Duft des Skizzenhaften, Unfertigen und Hingeworfenen. Und gehören zum Erfreulichsten, was die Musikgeschichte zu bieten hat.

Brian Eno & Karl Hyde

Brian Eno & Karl Hyde

Und die zwei neuen Platten, die Brian Eno gemeinsam mit dem Underworld-Frontmann Karl Hyde aufgenommen und gerade im Abstand von wenigen Wochen zueinander veröffentlicht hat? Nun, sie werden mit Sicherheit nicht in den ewigen Eno-Kanon eingehen. Der beinhaltet ohnehin mindestens schon gut zwanzig Alben, und erwartet hat das nach den etwas beiläufigen, egalen, braven Platten, die Eno in der jüngeren Vergangenheit bei Warp Records veröffentlicht hat, auch niemand mehr.

eno hyde

Warp Records

eno hyde

Warp Records

"Someday World" und "High Life" von Brian Eno und Karl Hyde sind bereits bei Warp Records erschienen

Allein: Ziemlich gut bis sehr gut sind diese Platten, "Someday World" und "High Life", überraschenderweise doch geworden – auch wenn hier keine neuen Welten mehr besegelt werden und sich alles aus einem Fundus speist, denn, eh klar, Eno selbst mitangefüllt hat. Hier mischen sich das Beiläufige, kreative Resteverwertung, Studioakribie, mangelnder Eifer und kurze Blitze der Erleuchtung zu zwei entspannten, im besten Sinne unambitionierten Platten: "Someday World" stellt dabei die "Pop-Platte" der beiden Alben dar, etwas straffer strukturiert, mit mehr Gesang und echten Songs, wenn auch meist über weitläufigen, dahingaloppiernden Krautrock, zerfaserten Afropop oder Elektronik-Wabern gespannt.

Die Arbeit an den Geräten und Stimmen teilen sich Brian Eno und Karl Hyde auf beiden Alben oft recht brüderlich; für "Someday World" jedoch hat Eno Hyde mit schon halbfertigem Material aus seiner Schublade konfrontiert, "High Life" war danach eine in 5 Tagen erdachte, live entwickelte und eingespielte, echte Zusammenarbeit. Es ist auch die bessere Platte geworden. Längere, über weite Strecken instrumental gehaltene Stücke, denen man den Live-Charakter, das Jam-hafte und aus dem Ärmel Geschüttelte anmerkt und die and dort auch Hydes und Enos Liebe für Afrobeat stäker einarbeiten.

Stücke, deren Dynamik, deren Luftigkeit, deren öliger Funk oder deren leise Dub-Einflüsse die Welt mit Groove beschenken. Zusammengenommen würden diese beiden Platten, die vermutlich eben genau nicht als anstrengendes und angestrengtes Konzept-"Werk" gedacht waren, ein feines Doppelalbum abgeben, das einen schönen Einblick in die Ideen, Modes, Styles, Melodien und Codes des Brian Eno geben könnte. Die Antwort auf die hypothetische Frage, wer denn so etwas, wenn es ohnehin die Vergangenheit gibt, heute noch braucht, ist Brian Eno mit Sicherheit egal.