Erstellt am: 26. 7. 2014 - 18:24 Uhr
Wassermusik
Ende Juli tut sich in Berlin erfahrungsgemäß das berühmte Sommerloch auf. Die Straßen werden von Tag zu Tag leerer, es ist heiß und schwül, die Gullis stinken und in den Altbauwohnungen im vierten Stock hat es nachts noch 30 Grad. Manche schlafen in der Küche, andere schauen allnächtlich wegen hitzebedingter Schlaflosigkeit interessante Dokumentationen übers alte Ägypten an. Wer kann, verabschiedet sich in den Urlaub, oder besucht zumindest die in ländlicheren Gegenden beheimatete Herkunftsfamilie. Man verpasst hier eh nix, es ist ja nicht so viel los in der Stadt. Denkste.
Ende Juli bäumt sich das Stadtleben noch einmal kurz auf, und wie so oft in Berlin finden die interessanten Sachen dann gleichzeitig statt. So muss man sich an diesem Wochenende zwischen zwei ganz unterschiedlichen und hochbeliebten Festivals entscheiden. Am Freitag startete im Haus der Kulturen der Welt (HKW) , das Wassermusik Festival - für viele eines der besten Festivals der Republik, an einer der schönsten Locations der Stadt.
Das kundig kuratierte Festival, in dem es im weitesten Sinne um verschiedene Kulturen an den verschiedenen Wasserstraßen und Weltmeeren geht, zieht mit seiner weitläufigen Dachterrasse über der Spree, dem kühlen Gartengrund und dem großzügigen Foyer viele Besucher aus Berlin und aller Welt an. Nicht zuletzt, weil es hier natürlich wesentlich kultivierter als bei den herkömmliches Wald-und-Wiesen-Dixie-Klo-Festivals zugeht.
Im siebten Jahr Wassermusik, nach Themen wie „Surf und Tiki“(2008), „Karibik und Akkordeon“ ( 2009), „Nil“ ( 2010), „Wüste“ (2011), „Süd-Süd“ (2012) und „Der neue Pazifik“ (2013) widmet sich die Wassermusik nun unter der Überschrift „Lusofonia“ bis am 16. August der Musik aus der portugiesisch-sprachigen Welt.

André Albuquerque
2014 jährt sich schließlich zum 40. Mal die „Nelkenrevolution“, die zur Niederlage der Diktatur und zu demokratischen Wahlen in Portugal, aber auch zu einem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft in Afrika führte. Das Verhältnis und die Relationen zwischen Portugal und seinen ehemaligen Kolonien werden in dem Festival auf musikalische Weise ausgelotet, und die Lusofonia - der portugiesische Sprachraum - stellt sich mit Auftritten von Musikern aus Angola, Macau, Goa, Mosambik und von den Kapverden vor.
Aber auch unterschiedlichste Musik aus Brasilien und Portugal will das Festival zeigen, gerade weil diese Länder im Ausland stets auf Samba und Fado reduziert werden. Afrikanische und brasilianische Einflüsse durch ehemalige Kolonien sind in Portugal selbst überall spürbar: so erfreut sich zum Beispiel der angolanische Kudoro, eine Fusion aus Lo-Fi-Elektronik und angolanischen Rhythmen in den Lissabonner Clubs großer Beliebtheit.
Musikfilme und Musikdokumentationen, die sich direkt auf die Bands oder den Musikstil beziehen, sowie Spielfilme, die den Verflechtungen der lusophonen Welt nachspüren, werden im Rahmenprogramm gezeigt. Es gibt „Wasserreisen“, das heißt Paddeltouren zum Veranstaltungsort HKW und einen „Wassermarkt“.
Den Anfang macht am Freitag die kapverdische Sängerin Mayra Andrade, in ihrer Musik gehen Reggae, Son, Chanson, Bossa Nova und Flamenco mit den Rhythmen, Melodien und Geschichten der kapverdischen Insel eine Verbindung ein.

Vanessa Filhomd
Weniger lusophonisch- weltmusikalisch als weirdfolkig und garagepunkig geht es am Samstag beim „Down by the River“ Festival zu. Der Festivalname trügt jedoch, stammt er noch aus den frühen Festivalzeiten auf dem Gelände der Bar 25 an der Spree und am Kater Holzig. Schon letztes Jahr ist man ans wasserferne Ostkreuz zum Club „about blank“ mit seinem verwilderten Garten gezogen.
„Down by the River“ hebt sich angenehm vom Gigantismus und der Sponsorenhölle anderer Festivals ab, unbekannte Bands aus Deutschland, Spanien, Israel, USA und Norwegen kann man hier entdecken, aber auch liebgewonnnenen Lokalmatadoren wie die Berliner Grungerinnen Jolly Goods oder den Berliner Jonathan Richman, Jakob Dobers, kann man hier auf vier Bühnen mal wieder hören.

Stefanie Walk / Jolly Goods
Wie jedes Jahr ist es ein großes Sehen- und-Gesehen-Werden und en passant lassen sich die peinlichsten Hippiehosen und allerneueste Bart-Trends studieren. Den Preis für den originellsten Bandnamen haben jetzt schon die Mannen von Zentralheizung of Death des Todes verdient.

Zentralheizung of Death des Todes
Und nach diesem Wochenende kann man es dann endlich den anderen Stadtflüchtigen gleichtun, Berlin getrost den Rücken kehren und die Stadt endgültig dem diesjährigen Sommerloch überlassen.