Erstellt am: 25. 7. 2014 - 17:25 Uhr
Irgendwann beginnt es zu regnen
Privat
"Wurfschatten" ist das Debüt der der 29jährigen Schweizerin Simone Lappert.
Dass man heute keine Uhren mehr braucht, um die Zeit im Auge zu behalten, würden wohl die meisten von uns widerspruchslos unterschreiben. Schließlich kleben wir eh permanent an unseren Handy-Screens. Auch Jungschauspielerin Ada kommt ohne Ziffernblatt aus. Trotzdem ist Ada anders. Sie misst die Zeit in der Anzahl an Zigaretten, die sie bei trübem Wetter in ihrer Studentenwohnung raucht. Party, Gaming, Instagram sind ihr fremd. Ada braucht Ruhe, um über ihrem geliebten Aquarium zu meditieren, bis sie den jeweils nächsten Panik-Anfall im Griff hat.
Schaurig detailliert werden Adas Neurosen vorgeführt, jeder Handgriff ist in Wirklichkeit ein Ausweichen vor der nächsten Angst-Welle. Als finanzschwache Jungschauspielerin erfüllt Ada zwar alle Bedingungen für einen tränenreichen Traurige-Tussi-Roman. Fürchtet sich vor Attentaten, Amokläufen, Spülmittelresten, Autobahnen, vorm Fliegen, vor dem eigenen Gasherd, Fön und natürlich vor Lungenkrebs. Logische Konsequenz Essstörung-Tablettensucht-Psychiatrie? Nein, zum Glück nicht! Weil: Erstens lässt sich Ada nicht so einfach auf das passive Dummerchen reduzieren, das sich die nächsten x Seiten lang auf der Jagd nach Karriere und Kindsvater aufreibt. Im Gegenteil führen Adas skurrile Ablenkungs-Ideen wie ein spontaner Ausflug zum Fischen mit ihrem Vermieter zu jenen entscheidenden Zufallsverwicklungen, an denen sie sich ein Stück weit aus ihrem schwarzen Loch heraushantelt. Zweitens ist Ada bei ihren Aktionen umgeben von lustigen Sonderlingen. Die ältere Kollegin, wohnhaft im selben Haus und konsequenter Messie. Und der neue Mitbewohner Juri, Enkel des Vermieters und von diesem wegen Adas Mietrückstand zwangsweise einquartiert.
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Juri reißt gleich mal Adas sogenannte "Angst-Tapete" von der Wand. Die Tapete war ein Teppich aus kleinen Bildchen mit den diversen Angstobjekten. Juris Anwesenheit streut Sand ins Getriebe von Adas streng kalkulierter Alltagsroutine. Seine Ticks stellen Adas Ängste überraschend in den Schatten: Juri hängt Bilder verkehrt auf und stellt dauernd sein Zimmer um. Und er hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Wenn Ada erklärt, sie mache alles so wie jeden Tag, um keine weitreichenderen Entscheidungen treffen zu müssen, kontert Juri, "naja, wär alles einfacher, wenn das da vor uns nicht Zukunft heißen würde, sondern Zukünfte". Weil man mit mehr Optionen nicht so leicht Gefahr läuft, an dem einen ultimativen Leistungsanspruch zu zerschellen. Klingt einfach, ist aber etwas, das sich Ada nie freiwillig zu Ende anhören würde, würde der Typ nicht sowieso an ihrem Küchentisch sitzen. Genau hier, am Küchentisch, stellt sich die Frage, ob es die beiden vielleicht sogar freiwillig miteinander aushalten würden. Mal sehen. Vorerst beginnt es zu regnen und Ada dreht sich eine Zigarette.