Erstellt am: 18. 8. 2014 - 14:15 Uhr
Judith Hermann goes Thriller
"Ich finde das Wort Thriller in diesem Zusammenhang gut", meint Judith Hermann schmunzelnd im Interview. Sie habe sich bemüht, ein spannendes Buch zu schreiben. Handwerklich habe sie so etwas wie in "Aller Liebe Anfang" noch nie gemacht und werde es wahrscheinlich auch nicht mehr tun, das sei einfach ans Sujet gebunden. Etwas Quälendes im Text so hochzuholen, sei ungewohnt gewesen und habe Spaß gemacht.
Der, ich sag mal, klassische Judith-Hermann-Stil ist dabei keineswegs verloren gegangen: dieses Glitzern der Sprache, die Schwebezustände und Wortlosigkeiten der handelnden Personen, das Gefühl, sich biografisch ganz nah an der Autorin zu befinden. Judith Hermann bestätigt, dass sie stets nah am eigenen Leben entlang schreibe, immer geschrieben habe. Sie nimmt tatsächliche Erlebnisse, arbeitet sie ein, formt sie um, mitunter mit anderem Ausgang. Autofiktives Schreiben nennt sie das.
Aller
Bei "Aller Liebe Anfang" sei etwa miteingeflossen, dass sie vor einiger Zeit aus dem Haus, in dem sie 20 Jahre lebte, ausziehen musste. Das Thema Abschied also, und was es heißt, einen Ort und die an ihn gebundenen Erinnerungen zu verlassen. Außerdem alltägliche Reflexionen über die Liebe sowie ihren eigenen Hang zum Obsessiven - was das Schreiben oder das Festhalten angeht. Auch teile Judith Hermann das Lebensgefühl ihrer Hauptfigur.
Ab September geht Judith Hermann mit "Aller Liebe Anfang" auf Lesetour. Im Rahmen der Buch Wien (13. bis 16. November 2014) wird die Autorin auch nach Österreich kommen. Alle Termine.
Andreas Labes
Liebe
Stella heißt die Protagonistin von "Aller Liebe Anfang". Verheiratet, Mutter eines Kindes, Krankenpflegerin. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Haus am Rande der Stadt. Es ist ein ruhiges Leben. Bis eines Tages ein ebenso fremder wie befremdlicher Mann vor Stellas Tür steht und sie sprechen will. Ein Nein wird er nicht akzeptieren.
Mr. Pfister heißt der Mann, lebt ein paar Häuser weiter und wird nicht locker lassen, Stellas Leben mehr als nur durcheinanderbringen.
Von Beginn an hängt etwas Beklemmendes in der Luft bzw. den Seiten. Es sei keine schöne Liebesgeschichte, sagt Judith Hermann, eher das atmosphärische Pendant zur Titel-Assoziation. Bereits in Kapitel eins, wenn die Autorin eine Art Kamerafahrt durch Stellas Haus und Garten macht, weiß frau, hier lauert nichts Gutes. Zudem ist da noch dieses Vorstadt-Panoramafenster, für Richard-Yates-Leserinnen wie mich ist damit im Grunde schon jedes Schicksal besiegelt.
Anfang
S. FISCHER Verlag GmbH
"Aller Liebe Anfang" ist Judith Hermanns viertes Buch und zugleich ihr erster Roman. Bis dato war ihr literarisches Zuhause ja das Genre Erzählung. "Sommerhaus, später" (1998), "Nichts als Gespenster" (2003) und "Alice" (2009) heißen ihre drei Erzählbände, allesamt sind sie empfehlenswert. Teile des zweiten wurden übrigens fürs Kino adaptiert.
Auch bei "Aller Liebe Anfang" habe sie zuerst versucht, das Zentrum des Textes in eine Erzählung hinein zu holen. Es habe sich aber gesträubt, meint Judith Hermann und zitiert (einmal mehr) die deutsche Schriftstellerin Katja Lange-Müller: Nicht der Autor, sondern der Text selbst entscheidet über die Länge.
Und sie dachte auch: Wann, wenn nicht jetzt, sollte ich einmal versuchen einen Roman zu schreiben, auch um dieser Frage aus dem Weg gehen zu können, wann denn endlich der Roman komme. "Jetzt ist er eben er da", sagt Judith Hermann, "und ich bin ganz erleichtert darüber".