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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

29. 7. 2014 - 14:37

Der moralisierende Ex-Oligarch

Fast zehn Jahre hat Michail Chodokowski in russischen Gefängnissen und Straflagern verbracht. In "Meine Mitgefangenen" charakterisiert er die Insassen dieser Gefängnisse und die korrupte russische Gesellschaft.

Vladimir Putin steht im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise stark in der Internationalen Kritik. Die EU hat Sanktionen verhängt und überlegt auch ein Waffenembargo gegen Russland.

Einer der sich recht früh mit Putin angelegt hat ist der ehemalige Oligarch und Yukos-Geschäftsführer Michail Chodorkowski. Er ist mit Vladimir Putin vor allem in Fragen der Korruption aneinander geraten. 2003 kommt er in Haft, ihm werden Steuerhinterziehung und planmäßiger Betrug vorgeworfen. Amnesty International wertete seine Inhaftierung als eine politisch motivierte Gefangenschaft. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das 2011 aber nicht so gesehen.

Diesen Montagvormittag gab es dann doch noch ein Nachspiel: Ein Schiedsgericht in Den Haag verurteilte den Staat Russland dazu, für die damalige Zerschlagung von Yukos 50 Milliarden Dollar an Schadenersatz an ehemalige Großaktionäre zu zahlen. Im Urteil heißt es, die Zerschlagung von Yukos sei politisch motiviert gewesen. Chodorkowski selbst hat sich nicht unter den KlägerInnen befunden, und Russland hat gestern verlautbart, diese Summe nicht zahlen zu wollen. Sie würde zehn Prozent der Russischen Währungssreserven ausmachen.

Vladimir Putin und Michail Chodorkowski

www.kremlin.ru.

CC BY 3.0 by www.kremlin.ru

Jedenfalls hat Chodorkowski fast zehn Jahre im russischen Gefängnis und in Arbeitslagern verbracht. Im Dezember 2013, kurz vor den olympischen Spielen in Sotschi, hat ihn Vladimir Putin überraschend begnadigt. Während seiner Haft hat Chodorkowski kleine Portraits seiner Mitgefangenen für die Zeitschrift The Moscow Times verfasst. Diese sind jetzt auch als kleines Büchlein erschienen.

Kein Schriftsteller

Er sei kein Schriftsteller, stellt Chodorkowski im Vorwort zu "Meine Mitgefangenen" fest. Überhaupt wäre er nie ein Schöngeist, sondern ein Technokrat gewesen, der Lesen als notwendiges Übel zum Erlangen von Informationen betrachtet hatte. Im Gefängnis aber hätten ihn die Aufzeichnungen und Kritzeleien, die Korrespondenz mit der Außenwelt am Leben gehalten.

Buchcover Chodorkowski "Meine Mitgefangenen"

Galiani Verlag Berlin

Michail Chodokowski "Meine Mitgefangenen", aus dem Russischen von Vlada Phillip und Anselm Bühling, erschienen im Galiani Verlag Berlin.

Für das regierungskritische Blatt "The Moscow Times" hat Chodorkowski kurze Texte verfasst, in denen er seine Mitgefangenen, aber auch das System Gefängnis beschreibt. Da gibt es Drogen-Deliquenten wie Nikolaj oder Sergej, den Neonazi Alexander, kleine Diebe und Betrüger, die diese Tätigkeit als ihren Beruf sehen und Festnahmen und Haft als annehmbares Berufsrisiko. Zum Beispiel Rustam:

"Eigentlich werden wir ja ziemlich oft geschnappt" räumt er ein. "[…] Aber normalerweise einigen wir uns. Diesmal war ich selbst schuld, ich hatte kein Geld dabei. Deshalb konnte ich mich nicht loskaufen. Und es waren Neue. Wenn es jemand Bekanntes gewesen wäre, hätte ich das Geld später vorbeigebracht. Pech gehabt …"

Aber auch größere Fische kommen ins Gefängnis: Ein Geschäftsmann zum Beispiel, der beschlagnahmte Zollwaren für die Behörden weiterverkaufte. Oder Wolodja, der Schwarzgeld von den Konten der Sicherheitsbehörden abzweigte. Beide sind dann doch jemandem auf die Füße getreten, der mächtiger war als sie, und wurden verhaftet, obwohl sie das vorher nie für möglich gehalten hätten.

Sie denken, Ihnen kann sowas ja nie zustoßen? Denn Sie klauen ja nicht im Supermarkt und zweigen kein Geld von den höheren Chargen der Miliz ab? In der Geschichte unseres Landes haben viele einmal so gedacht, dann stellte sich heraus, dass sie einfach nur eine schöne Wohnung hatten, an der ihr Nachbar, der Spitzel, gefallen hat.

Nicht an die Ehrhaftigkeit der Justiz glauben

Und eins ist ganz klar, sagt Chodorkowski: An die Ehrhaftigkeit von Strafverfolgern oder Richtern braucht man nicht zu glauben. Die holen sich, was sie können - genau wie die ganzen kleineren und größeren Gauner auch - und wirtschaften in die eigene Tasche.

Damit wirft Chodokorwsi die großen moralischen Fragen auf: Was ist das für eine Gesellschaft, die diese Korruption im Justizsystem duldet oder sogar fördert. Die nur die hinter Gitter bringt, die nicht genug Geld haben oder zu wenige einflussreiche Freunde. Und die Frage, ob die Rechtfertigung der Richter, sie müssten so handeln, um ihre Familien zu ernähren, ausreicht, um die Zerstörung des Leben anderer zu rechtfertigen.

Anhand einer so genannten "Ratte", einem Insassen, der sich an den Privatvorräten seiner Mithäftlinge bedient, charakterisiert Chodorkowski die gesamte politische Kaste seines Landes:

Es wird eingesackt was irgend geht. Sie kaufen Inseln und riesige ungemütliche Villen, sie bauen dutzende von Palästen und eigenen Schiffsflotten, sie stopfen sich ihre Garagen mit Luxusautos voll, mit denen man nirgendwo hinfahren kann, und ihre Truhen mit Juwelen, die zu tragen wohl peinlich wäre […] Als ob sie nicht begreifen würden, dass sich all das nicht verstecken und mit keinem Gehalt erklären lässt. Ist das Kleptomanie?

Im Gefängnis weiß man, dass man eine Ratte stoppen muss, sagt Chodokowski, denn von selbst wird sie nicht aufhören. In Bezug auf die Politik hat sich dieses Wissen noch nicht durchgesetzt.

Der moralisierende Ex-Oligarch

Interessant ist, dass Chodorkowski sich auf dieses moralische Ross schwingt. War er selbst doch Oligarch und Firmenchef des Ölkonzerns Yukos und als solcher muss er geradezu Teil genau dieses Systems gewesen sein. Nur zufällig war halt ein anderer - Putin - noch besser in diesem Spiel. Ist Chodorkowski also geläutert? Oder wettert er nur gegen das politische System, das ihn hinter Gitter gebracht hat?

Michail Chodorkowski ist mittlerweile zu seiner Familie in die Schweiz gezogen. Er meldet sich immer noch zu politischen Geschehnissen zu Wort, zum Beispiel hat er in Kiew eine Rede auf den Maidan gehalten. Dort hat er Russen und Ukrainer zum Einlenken in der Krimkrise aufgerufen. Zur aktuellen Lage hat er sich - noch? - nicht zu Wort gemeldet.

Chodorkowski ist vielleicht wirklich kein Schriftsteller: Er breitet sich nicht aus oder spielt mit Sprache. Er reißt Themen und Situationen nur an, erklärt nicht. Die einzelnen Portraits sind vielleicht zwei oder vier Buchseiten lang. Für die Leserin mit rudimentären bis keinen Kenntnissen des russischen Justizsystems, ist nicht alles immer ganz einsichtig. Vieles ist nur angedeutet und man müsste sich tiefer in die Materie einlesen, um zu verstehen, was Chodorkowski meint. Trotzdem entsteht ein entlarvendes Bild der russischen Gesellschaft, das zeigt, wer sich wie bedient und Macht erhält und ausübt.