Erstellt am: 24. 7. 2014 - 06:00 Uhr
Selfies und Self-Timer Stories
Das orchestrierte „Cheese“ im selbstgestellten Gruppenformat, mittlerweile eine millionenfach vertraute Perspektive.
![© Museum Of The City Of New York Vintage Selfie, NYC 1920](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140730/Format-1_body.jpg)
Museum Of The City Of New York
Die Boardwalk-Empire-mäßigen Herren auf dem Bild sind die Fotografen Uncle Joe Byron, Pirie McDonald, Colonel Marceau, Pop Core und Ben Falk aus New York. Die Aufnahme entstand im Dezember 1920 auf dem Dach von Marceaus Studio in Manhattan. Und sie ist wahrlich nicht das erste Selfie der Fotogeschichte.
Wenn wir also wieder einmal durch die sozialen Medien flanieren und uns angesichts des Selbstdarstellungseifers unserer Friends (und unserer selbst) einmal mehr im Zeitalter des Massennarzissmus und der gesellschaftlichen Auflösung wähnen, genügt ein Blick auf das Vintage-Selfie und wir stellen beruhigt fest: Im Akt der Selbstaufnahme kulminieren die urmenschlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten sich selbst nahe zu sein und sich selbst wahrnehmen zu können. Bedürfnisse, die nicht erst seit der Erfindung der Fotografie oder den Zeiten der Prohibition, des Charleston und der unfruchtigen Melonen für swingende Egos und ein flüchtiges Gemeinschaftsgefühl sorgen. Wer weiß, vielleicht findet Ihr in der Höhle ums Eck ein Neanderthaler-Selfie.
Self-Timer Stories
Die Schau Self-Timer Stories läuft noch bis 8. September im Austrian Cultural Forum in New York. Ende November ist die Ausstellung erweitert unter dem Titel "Selbstauslöser" im Museum der Moderne Salzburg zu sehen.
![© Leselie Tonkonow Laurel Nakadate: 365 Days: A Catalogue of Tears, 2011](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140730/Nakadate_February_9__2010-1_body.jpg)
Leselie Tonkonow
In der Kunst wird das flüchtige Geräusch des Selbstauslösers zum befreienden Moment. „Self-Timer Stories“ heißt die aktuelle Schau im Austrian Cultural Forum in New York, die zwar am Selfie-Hype mitnascht, den Fokus aber bis zurück in die vordigitale Zeit richtet. Gezeigt werden Selbstportraits von insgesamt 20 österreichischen und amerikanischen KünstlerInnen mehrerer Generationen. Dabei geht es der Kuratorin Felicitas Thun-Hohenstein weniger um die Abbildung an sich. Die Aktion des Selbstauslösens und „das Verhältnis zum Apparatus“ stünden im Mittelpunkt der von Dorit Magreiter gestalteten Schau. „Auf diesen Knopf zu drücken erzeugt eine Spannung. Es ist ein unberechenbarer Moment, aber auch ein sehr produktiver. Die Kamera wird zu einer Art Sparringpartner“, so die Kuratorin bei der Eröffnung der Schau.
![© Fotosammlung des Bundes Peter Weibel: Selbstportrait als Frau, 1967](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140730/Format-2_body_small.jpg)
Fotosammlung des Bundes
Die Spannung des Moments, sie reißt einen Raum auf. Und in diesem Raum wird inszeniert, experimentiert oder alles dem Zufall überlassen. Peter Weibel schlüpft in einer Arbeit aus dem Jahr 1967 in die Rolle einer Frau. Auch Birgit Jürgenssen und Friedl Kubelka untersuchen über Pin-Ups und Nacktfotos tradierte Gender-Klischees. Viele Werke stammen aus der Fotosammlung des Bundes. Es sind historische, aber sehr private Zeugen des Feminismus, der Körper- und Identitätspolitik der letzten fünf Jahrzehnte.
Die Selfies der Social-Media-Sphere kommen aber auch nicht zu kurz. Die US-amerikanische Künstlerin Laurel Nakadate hat sich in ihrer Serie „365 Days: A Catalogue of Tears“ tatsächlich jeden Tag eines Jahres beim Weinen fotografiert und somit den Zwang des Selfies zum idealisierten Abbild gebrochen. Die in Wien lebende Brasilianerin Roberta Lima ist sich wiederum für ihre Prints „RNA Chips And Butterflies“ so nahe gekommen, wie es kaum ein Selbstportrait zuvor geschafft hat. Die Künstlerin hat über eine teleskopische Injektionsnadel ihr eigenes Blut fotografiert und die RNA zum Vorschein gebracht. Mehr Selfie geht eigentlich nicht mehr.
![© Christian Lehner Roberta Lima vor einem ihrer Prints „RNA Chips And Butterflies“, 2008](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140730/IMG_0320 format_body.jpg)
Christian Lehner
Die Künstlerportraits der „Self-Timer-Stories“ erzählen durchgehend mehr, als man auf den Motiven sieht. Das Selfie in Facebook und Co. erzählt hingegen oft mehr, als man sehen möchte. Fast ist man erleichtert, dass es ihn noch gibt, den Unterschied zwischen Kunst und Alltag.
![© Museum Of The City Of New York Vintage Selfie, NYC 1920 II](../../v2static/storyimages/site/fm4/20140730/MNY65382(1) format_body.jpg)
Museum Of The City Of New York
So sehen übrigens unsere Vintage-Selfianer von der Seite aus. Man beachte die vertraute Handstellung! Allerdings ist diese "Aufnahme der Aufnahme" gestellt. Einer der Fotografen fehlt. Ihr habt es erraten, er steht hinter der zweiten Kamera.