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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

23. 7. 2014 - 16:37

"Ein massives rechtsstaatliches Problem"

Heinz Patzelt von Amnesty International zum Delikt "Landfriedensbruch", dem Urteil gegen Josef S., den Prozessverlauf und die internationalen Reaktionen.

Der 23-jährige Josef S. aus Jena, der seit der Demonstration gegen den Akademikerball Ende Jänner in U-Haft saß, ist gestern zu zwölf Monaten Haft verurteilt worden, davon acht Monate bedingt.

Heinz Patzelt von Amnesty International war heute zu Gast im FM4 Studio und hat mit Robert Zikmund über den Prozess, das Urteil und die internationale Reaktion darauf gesprochen.

Robert Zikmund: Herr Patzelt, Sie meinten in einer ersten Stellungnahme gestern in der Zeit im Bild zum Fall Josef S., "Gut, dass er wieder draußen ist". Aber wirft diese ganze Causa nicht auch ein schiefes Licht auf die U-Haft-Praxis in Österreich?

Heinz Patzelt

Laurent Ziegler

Heinz Patzelt

Heinz Patzelt: Wir haben in Österreich eine U-Haft-Gesetzgebung, die schlichtweg menschenrechtlich nicht akzeptabel und weit überschießend ist. Freiheit ist das allerhöchste Gut, das ein Mensch hat, und ihm das zu entziehen ist die härteste Strafe. Es mag ganz selten enge Gründe geben, warum man jemanden schon vor einem Urteil einsperrt, wenn er brandgefährlich ist, wenn er flüchtet, wenn er sonst Beweismittel vernichtet. All das war hier überhaupt nicht gegeben. Das hat schon den Touch einer vorweggenommenen Strafe, eine solche Art von U-Haft, wie wir sie ja auch aus dem Tierschützer-Prozess kennen.

Die Anwältin von Josef S. sagte auf eine entsprechende Frage, man müsse sich, wenn man sich das Urteil und den Verhandlungsverlauf anschaut, auf ein anderes Risikopotential einstellen als bisher, wenn man auf eine Demo geht. Muss man sich künftig wirklich dreimal überlegen, ob man demonstrieren geht, wenn dieser Paragraph des Landfriedensbruchs nicht entsorgt wird?

Ich halte es vor allem für extrem problematisch, wenn es - und das ist aus dem Prozessverlauf heraus ziemlich deutlich geworden - ein vollkommenes Versagen der Polizei, sei es bei Planung, Taktik, aber auch beim flexiblen Reagieren rund um diese sicher schwierige Demonstrationssituation gibt. Wenn man eine große und kontroversielle Demo mit 5.000 bis 10.000 Menschen, die viele Wochen lang im Internet angekündigt ist, von 50 Polizisten aus Oberösterreich, die keine Ortskenntnis haben, begleiten lässt, und die dann den Befehl kriegen, diese Demo am Schluss am Stephansplatz aufzulösen, dann ist das im allerbesten Fall himmelschreiend inkompetent. Noch dazu, wenn diese Demo vorher von Zivilpolizisten überwacht worden ist. Man hat also gewusst, Minuten und Stunden vorher, was da kommt und es gab über 2.000 Polizisten in der Gegend. Hier die Innenstadt defacto preiszugeben, um einen Ball zu schützen, ist eine extrem unverhältnismäßige Geschichte. Es muss aber auch klar sein, dass die Gewaltexzesse, die in der Innenstadt passiert sind, gegen Geschäfte und insbesondere gegen eine Polizeistation - das ist nocheinmal eine Stufe ärger - überhaupt nichts mit Demonstrationsfreiheit zu tun haben. Das gehört bekämpft, das gehört unterbunden, wirksam und hart bestraft. Die konkreten Einzeltäter. Wenn die Polizei einfach Landfriedensbruch geltend macht, weil man nicht ermitteln kann, und dann versucht man das einfach allen umzuhängen, die in der Nähe waren, dann sehe ich hier ein massives rechtsstaatliches Problem.

Das Bild, das unser Justizsystem jetzt gerade in Deutschland hat, ist - vorsichtig gesagt - verbesserungswürdig. Wie schätzen Sie denn die Auswirkungen von diesem Prozess auf das Bild unseres Rechssystems im europäischen Ausland ein?

Das war eine beeindruckende internationale Aufmerksamkeit. Ich war ja beim ganzen Verfahren dabei, das war auch ein volles internationales Medienhaus. Wenn man so will, war das ein Leitprozess. Diese massive Kritik, die für mich sehr nachvollziehbar ist - insbesondere aus einer gesellschaftspolitischen und nationalen Solidarhaltung heraus - ist ein wirksames Signal, dass hier vieles nachzubessern ist.