Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Wednesday Edition, 23-07-14. "

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 7. 2014 - 15:02

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 23-07-14.

An Cat Dubh. Wie ein Cat Power-Konzert vor genau einer Woche Einfluss auf mein Leben nimmt.

The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Und ich war dann also da drin im Olympia Theatre auf der Dame Street in Dublin an diesem letzten Mittwoch. Und nach einem lokalen Voract, einer dieser brav aus den Modeblogs gepellten Piepsmaus-Musikantinnen mit achsosanften Countryfolk-Sounds und viel zu hohem, ins Muster des vom Mainstream begehrten, massiv abgefragten Kinderporno-Gesamtbilds passenden Stimmchen, nach einer halben Stunde Ärger also besetzte gegen 9 Uhr das Gegenmodell dazu, die seit einiger Zeit kurzhaarige und antipuppenhafte Chan Marshall die Bühne. Um Mitternacht war sie immer noch dort.

Dabei dauerten die meisten Stücke, oder besser deren Torsi, keine zwei Minuten, ehe sie zerfielen, mit einer dramatischen Geste beendet wurden oder einfach ins nächste Stück flossen.

Cat Power kennt kein Mitleid, am allerwenigsten mit sich selbst: Ihre kleinen Ausführungen, unerklärenden Erklärungen und kurzen Bühnenfluchten sind keine augenzwinkernde Pose, sondern Ausdruck eines Zustands. Und der ist, wie im Fall der Tochter eines Bluesmusikers aus dem Süden des USA, aus Georgia, der von Zerrissenheit; der ist eine Dauersuche nach sich selbst, die in ein künstlerisches Schaffen fließt, aus dem die Autorin aber keinerlei Sicherheit und Festigkeit gewinnen kann.

Ich habe vorher und nachher wilde Geschichten über Cat Power gehört: Absagen, Fluchten, Exzesse, Zusammenbrüche, Süchte und Entzüge und die Folgen all dessen. Ich weiß jetzt sie stimmen alle: diese Person lebt an einer permanenten Bruchlinie, mitten in einem continental drift.

Ich weiß auch, dass ich Glück hatte, sie genau jetzt in ihrer aktuellen Phase zu erleben: nackt, ohne Band, ohne allzu süßliche Schönung durch Neofolk oder Country-Zusätze. In dieser aktuellen Phase, die wohl schon fast ein Jahr dauert (so lange zurück klingen Live-Mitschnitte ähnlich) ist sie ein Kollege ihres Vaters, der wiedererwachte Geist von Robert Johnson, der an den Crossroads den Lauf der Welt mit seinem einzig möglichen Soundtrack versorgt.

Cat Power spielt den Blues; wie ihn wohl Kurt Cobain spielen würde, tät' er noch leben, mit verstörender Dichte, akkordierter Enge, sphärischer Weite und ohne Hoffnung aus Besseres, hin und herspringend zwischen dem eigenen Back-Katalog, Neuem, Neuentdeckungen und Cover-Versionen aus allen erdenklichen Ecken und Enden. Cat Power spielt den Blues, auf einer schwer schwingenden Gibson, notiert Skelette von Songs, trickst sie mit ihren zwei Gesangs-Mikros immer wieder aus, flüchtet in die Seitengassen und durch die Hintertür; Cat Power spielt den Blues, auf einem Piano, das sie streichelnd lobt, in blutenden Joni-Mitchell-Akkorden. Einmal hält sie inne, als sie einen ihrer Hits in die vorletzte Strophe führt, und entschuldigt sich dafür, dass sie nicht weiterweiß, weil sie abgelenkt ist, weil der Konflikt um Gaza ihre mind distracted.

In einem anderen Kontext würden sich die Konzertbesucher ansehen und vielsagend grinsen - im Olympia Theatre ist es mausestill, weil alle wissen, dass es stimmt. Chan Marshall hat das Gewicht der Welt auf ihre Schultern geladen und stemmt es; ganz gut sogar, weil der Blues breite Schultern macht, auch wenn man seine Seele nicht verkauft hat.

In Wahrheit erzählt dieser scheinbar völlig jenseitige Auftritt voller Unmöglichkeiten, Andeutungen, Hin- und Hergeschiebe von Monitor-Boxen, damit einer in der ersten Reihe besser sieht, angerissenen und unbeendeten Songs, angedeuteten Zitaten und umgeformten Covers, wirren Exkursen, andauernden Entschuldigungen für Unzulänglichkeiten, die man selber nicht wahrgenommen hätte und mit großer souveräner Stimme vorgetragenen Liedern der Klage und der Last, wie es noch geht. Wahrscheinlich nämlich nur so.

Andere Konzerte, andere Auftritte sind Fluchten in Scheinwelten, Vorgaukelungen von Perfektion oder, noch schlimmer, Vortäuschungen von Authentizität.
Cat Power-Konzerte, zumindest das in Dublin vor einer Woche, sind die Übertragung einer zerrissenen Realität in Musik, in Songs, in eine Aufführungsform, die etwas über die Gegenwart erzählt. Andere mögen sich an die Normen halten, die richtigen Formulare ausfüllen und sich an Zeitlimits halten - Cat Power ist das alles egal; sie muss ihre Innenwelt nach außen, ans Tageslicht bringen, damit wenigstens auf diese Weise Stimmigkeit herrscht. Und wenn es vier Stunden dauern sollte, bis sie das Gefühl hat, jetzt alles gesagt und gespielt zu haben, was an diesem Abend zu sagen und zu spielen ist.

Ringsherum sind einige erschöpft und überfordert, die meisten gehen den Weg aber mit, oder besser: sitzen ihn mit, es ist ja ein altes Theater. Und dort passen verhallte Versionen ihrer großen Stücke (Names, I don't blame you, The Moon) ebenso gut hin wie zerfetzte Version von Sea of Love, Satisfaction oder dem Star Spangled Banner.

In mir hallt das alles immer noch nach, über Tage hin kann ich nicht anders als das Gefühl des Abends in mir zu tragen, vielleicht noch zu verarbeiten. Und es ist wohl das Eindrucksvollste daran, was mir keine Ruhe lässt: die Auflösung der Trennlinie zwischen künstlerischer Äußerung und Leben. Wahrscheinlich zahlt Chan Marshall in ihrem wirklichen Leben einen hohen Preis dafür jetzt vollständig zu Cat Power mutiert zu sein. Jene schwarze Katze, die an dir vorbeischleicht und die Zeichen an der Wand sichtbar macht.