Erstellt am: 25. 7. 2014 - 11:33 Uhr
Der Berg ruft
David O'Reilly
"You are Mountain. You are God."
Mit diesen Worten beginnt eines der eigentümlichsten Spiele der jüngeren Vergangenheit. Das lakonisch betitelte "Mountain" lädt uns ganz zu Beginn dazu ein, zu drei willkürlich vorgegebenen Stichwörtern ("Mother", "Disappointment", "Logic" usw.) etwas auf den Bildschirm zu krakeln - aus diesem Input generiert das Spiel dann - eben - einen Berg. Dieser schwebt majestätisch entwurzelt in einer Atmosphärenblase im Weltall, bietet zufällig wachsender Vegetation eine Heimat und dreht sich im Wandel von Tag und Nacht, von Wetter und Jahreszeiten langsam um die eigene Achse.
Als Spieler können wir diesen ruhigen Riesen von allen Seiten betrachten, auf der Tastatur scheinbar folgenlose Pianoakkorde dazu klimpern und uns hin und wieder an philosophischen oder auch banalen Weisheiten unseres Berges erfreuen. "I feel like a child inside this Spring night", lässt uns der Berg etwa wissen, oder aber: "What is normal?" Das war's - mehr Einflussmöglichkeiten gibt es nicht. Im Menü findet sich dürr unter dem Punkt "Controls": "Mouse - Nothing. Keyboard - Nothing".
David O'Reilly
Game, Not-Game oder gar nur Verarsche?
Wenn sich für - sagen wir mal - konservativere Zeitgenossen schon anlässlich von experimentelleren Titeln wie "Gone Home", "Proteus" oder "Dear Esther" die Bezeichnung "Spiel" angesichts magerer Interaktionsmöglichkeiten und arg reduziertem Gameplay verbietet, scheint das Urteil in Bezug auf "Mountain" lächerlich einfach: Natürlich ist "so etwas" kein Spiel. Es gibt schließlich keine Ziele, keine Prüfung, kein Gameplay, nur den rudimentärsten Rest von Narration und - am wichtigsten - kaum etwas, das man als "Spielspaß" in eine der nicht auszurottenden Wertungsskalen von 1 bis 10 eintragen könnte. Da drängt sich auch altgedienten Games-Journalisten wie Ben Kuchera die Frage auf, ob "Mountain" seine Spieler möglicherweise nur verarschen will.
Dennoch - oder aber: deswegen - zählt das einen knappen Euro teure "Mountain" für PC, Mac, Linux und iOS zu den meistdiskutierten Spielen der jüngeren Vergangenheit. Und das Urteil fällt in den meisten Fällen positiv aus: "Mountain" ist ein Faszinosum. Der Berg rotiert friedlich neben jeder sonstigen Beschäftigung am PC im Hintergrund, der atmosphärisch friedliche Ambientsound und jeder sporadisch auftauchende, von dezenten Soundeffekten begleitete Gedanke des ruhigen Riesen veranlasst mich dazu, nach meinem Berg zu sehen und einen Moment innezuhalten. "Is it OK to be alone? I don't know. Yes it is."
David O'Reilly
But is it art?
Ian Bogost, Games-Philosoph extraordinaire, bringt es in seinem ausführlichen Essay zu dem kleinen Spiel auf den Punkt: "Mountain offers a video game version of a philosophical practice I call alien phenomenology - a sustained and deliberate invitation to speculate on what it’s like to be a thing." Ist es das, was der Schöpfer von "Mountain", der in den USA lebende irische Medienkünstler David O'Reilly, mit seiner "Genrebezeichnung" "Mountain Simulator, Relax em' up, Art Horror etc" gemeint hat?
David O'Reilly, so viel kann gesagt werden, liebt gepflegte Verwirrung. Wer seinen vielfach ausgezeichneten kurzen Animationsfilm "The External World" gesehen hat - und wer es bislang versäumt hat, möge diese Bildungslücke per hier verlinktem Video schließen -, sieht, dass hier ein Filmemacher an der Grenze zwischen den Medien, zwischen Film und Spiel mit verdammt vielen Bällen zugleich jongliert. In jüngster Zeit trat O'Reilly vor allem als Schöpfer jenes Fake-Videospiels "Alien Child" in Erscheinung, das in Spike Jonzes Film "Her" den von Joaquin Phoenix dargestellten Helden abseits von seiner Liebe zur Stimme der künstlichen Intelligenz Samantha, gesprochen von Scarlett Johannson, beschäftigt.
Ceci n'est pas un Mountain
Es geht O'Reilly um ein anderes Spielen, um einen Blick auf das Verhältnis zwischen uns und der Technologie, den Medien, die uns umhüllen wie die kleine Atmosphäre unseren Berg. Es ist kein prätentiöser Kunststudentenscherz auf Kosten seiner Spielerschaft, die sich in Interpretationsübungen ergehen soll. "Mountain" ist, wie Michael McMaster richtig feststellt, vor allem eines: "an exercise in form - it’s a small, contained work that depicts and explores a mountain as an object. It’s not aspiring to anything greater. It’s iconography. This is fine." Dass sich dieser reine Formalismus, die Beschäftigung mit einem virtuellen Objekt als Artefakt, als Medienkunstwerk, für so viele Spieler so faszinierend gestaltet, ist der große Verdienst seines Schöpfers. Ja, auch das kann ein Spiel sein.
"Mountain" ist für Windows, Mac, Linus und iOS erschienen.
"Mountain" verlangt - ganz im Gegensatz zu "Alien Child" aus "Her" - wenig von seinen Spielern. "Mountain is a kind of visual silence", hat O'Reilly der in das Spiel verliebten Journalistin Leigh Alexander verraten. "You can control parts of it, but it’s more about letting go of control."
Stoisch schwebt unser Berg im Nichts; hin und wieder graben sich kometenhaft durchs All rasende Gegenstände in seine Flanke - Uhren etwa, Pferde, Bananen. Wolken ziehen über ihn hinweg, Schnee fällt, Gewitter ziehen auf und wieder ab. Das Orakel spricht: "The World is random and therefore frighteningly meaningless."
Und später: "What is a mountain, exactly?"
Selten hat uns ein Spiel auf unaufdringlichere Art und Weise mit der Gelegenheit zur Erkenntnis konfrontiert. Das ist allemal einen Euro wert.