Erstellt am: 19. 7. 2014 - 16:29 Uhr
Gitarre, Techno, sowieso
Festivalradio
Unterwegs in Österreich und im Ausland: das ist dein Festivalsommer auf FM4
Als Maurice Ernst, der Sänger der beliebten Band Bilderbuch, am Freitag Abend von der Bühne herab auf seine übliche nonchalant-kokette Schmähführer-Art zu einem bestens gelaunten Publikum meinte, "Wir brechen eine Lanze für den Rock'n'Roll, auf dem Melt! Festival" – da wird er freilich schon gewusst haben, dass derlei Grabenkämpfe schon ein bisschen müde sind. Nicht zuletzt und insbesondere auf dem Melt! Festival bei Gräfenhainichen.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
Die groben Schlachtrossbegriffe "Techno" und "Gitarre" existieren da gewohnt friedlich nebeneinander, umschiegen sich und durchdringen einander. Gerade die Gruppe Bilderbuch macht ja ihren bis vor gar nicht so langer Zeit noch recht konventionellen – fein zwar, aber doch – Indierock mittlerweile bekanntermaßen für R'n'B-Ideen auf und schmückt ihn mit geilem Autotune-Quatsch.
Man ahnt schon, dass Bilderbuch auch beim Melt!, zwar nicht – noch nicht! – von der Mainstage aus, auch nicht von der zweitgrößten Bühne aus, aber immerhin im doch nicht so kleinen und mehr als ordentlich gefüllten Zelt des Popkulturmagazins INTRO das Publikum in Verzückung versetzten. "Melt! Festival, wollt ihr noch einen kleinen Klaps auf den Hintern bevor wir gehen? " fragte Maurice Ernst, "einen etwas derberen Klaps auf den Hintern bevor wir gehen? Melt! Festival, es war wunderschön. Wir sind Bilderbuch und wir kommen wieder. Wir kommen immer wieder." Es folgte erwartungsgemäß "Maschin", ein Lied, das einer Band auch nur einmal im Leben einfällt. Bilderbuch mussten selbst kaum singen. Ein großer Moment.
Philipp L'heritier
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Auch dieses Jahr hat sich das Melt! ein exquisites Programm ausgedacht. Am späten Nachmittag durfte man da am Eröffnungstag zu einem erquicklichen House-Set von Kim-Ann Foxman, einst bekannt aus der Gang von Hercules & Love Affair, erste gemütliche Rave-Warm-Up-Übungen vollführen oder zum glockenseligen Melancholie-Techno von Pantha du Prince den Sonnenuntergang begrüßen. Wie schon in den Jahren zuvor kuratierten die zwei Herren Modeselektor wieder eine eigene kleine Bühne unten am See. Sie spannen ihr Netz zwischen Techno, Bass Musik, HipHop und Dubstep immer weiter.
Am Freitag präsentierte da beispielsweise die Basic-Channel- und Rhythm & Sound-Legende Mark Ernestus das senegalesische Kollektiv Jeri Jeri, der englische Produzent Actress vertonte die Endzeit und eine Hälfte der freundlichen Noise-Drone-Maschinerie Fuck Buttons war mit einem DJ-Set am Start. Aber auch vielversprechende Neuigkeiten, auf der Gemini Stage, der Bühne des großen Zeltes, beispielsweise, waren zu erleben: Das junge englische Quartett Wolf Alice verwaltet Grunge und Laut/Leise-Indierock im Andenken an Hole und die Pixies mehr als souverän und hat auch noch ein paar eigene Ideen. Das Album kommt nächstes Jahr, das kann noch etwas werden.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
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Der australische Sensibel-Elektroniker Chet Faker konnte den Platz vor der Mainstage zwar schon recht gut füllen, für die ganz große Bühne ist sein zerbrechlicher Ein-Mann-Entwurf dann aber vielleicht doch noch nicht gemacht. Fragloser Höhepunkt war dort der Auftritt der Schwestern HAIM. Ein Idealtypus von Band. Großartige Songs, Energie, Humor, technische Finesse, Albernheit. "Forever", "Falling" , "Don't Let Me Go", "The Wire", ein Cover von Fleetwood Mac, und zwar eines aus der Frühphase der Band, und nicht aus der klassischen. Wer eine Band sehen möchte, die fucking gut ist in diesem Rockbandsein, möge die Band HAIM sehen.
Philipp L'heritier
Philipp L'heritier
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Ebenfalls ziemlich super: SBTRKT mit neuer Show, die feingeistigen Versuchsanordnungen von Nicolas Jaars Projekt DARKSIDE oder – zumindest stellenweise – die Kooperation von Robyn und Röyksopp. Deren Auftritt gestaltete sich recht eigenartig: Zunächst gab es eine gute Stunde lang ein Konzert von Röyksopp mit Band und Sängerin und Sänger – ohne Robyn. Es war ein ewiger Tease. Würde Robyn überhaupt noch kommen?
Irgendwann kam Robyn, sang ein paar ihrer Lieder und alles wurde gut. Am Schluss gab es dann für vier, fünf Songs eine echte Kollaboration. Eine futuristische Glitzerbigband, zusammengewürfelt aus den Modellen Parliament, Kraftwerk, Daft Punk und Blue Man Group, angeführt von einer ekstatisch tanzenden Robyn, spielte einen atemberaubenden Maschinen-Funk. Seltsames Konzept, absurder Aufbau, beeindruckendes Finale. Vielleicht ist es Kunst.
Das Melt! geht weiter. An den kommenden zwei Tagen folgen Ja, Panik, Four Tet, Efdemin, Gardland, Metronomy, The Notwist, Omar Souleyman, Panda Bear, Portishead und viele mehr. Viele mehr.