Erstellt am: 19. 7. 2014 - 11:58 Uhr
Menschmaschinen
Fleisch beginnt sich zu verändern, mutiert und verschmilzt mit Stahl. Rostflecken tauchen auf verzerrten Gesichtern auf, Eisenherzen schlagen einen pochenden Takt. Zuckende Kabelstränge, Drähte, Hautfasern und Sehnen verbinden sich in irrwitzigem Tempo zu einem wuchernden Gewimmel. Monströse Waffen wachsen aus zerberstenden Körpern. Menschlicher Schweiß tropft von Maschinen und Ölfilme kleben auf nackten Bodybuilder-Muskeln.
Das erste Mal wurde ich mit dem hochbeschleunigten Mutations-Kino von Shinya Tsukamoto via einer mehrfach kopierten Videokassette konfrontiert. Man konnte das bizarre Geschehen auf den verrauschten, grobkörnigen Bildern damals nur erahnen. Anfang der Neunziger bringt dann die Viennale, damals noch vom heutigen Filmmuseums-Direktor Alexander Horwath geleitet, die Filme des japanischen Regisseurs nach Wien.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxis: Einer aalglatten Mainstream-Übermacht standen kleine Fraktionen von Rebellentruppen gegenüber. Durchgeknallte Noiserocker, kompromisslose Filmemacher oder Hard-Boiled-Literaten beispielsweise.
Weil das Internet noch genauso Zukunftsmusik war wie Comickino-Blockbuster und fesselnde HBO-Serien, weil niemand an riesige Rockfestivals hierzulande zu denken wagte, bei denen tatsächlich aufregende Bands auftreten, tauschte man verwaschene VHS-Kassetten von verruchten Horrorfilmen, lauschte kratzigen Vinylplatten oder traf sich in verrauchten Kellern zu rauschhaften Clubgigs.
Euphorisierte einen irgendein Konzert, Album, Film oder Buch ganz besonders, gab es Lichtjahre vor der Erfindung von Blogs, Foren und Facebook nur wenige Möglichkeiten, seine Begeisterung kundzutun: Bei hitzigen nächtlichen Bargesprächen mit Freunden etwa. Oder in einem Fanzine, einem oft handkopierten Heftchen voller subkultureller Brandreden.
Diese Serie taucht, hoffentlich ohne nostalgische Verklärung, in jene Ära ein, als die Fronten zwischen Underground und Mainstream noch nicht verwaschen waren, holt Fundstücke aus den Archiven, erzählt von extremen Phänomenen und außergewöhnlichen Charakteren.
"Tetsuo - The Iron Man" und "Tetsuo 2 - Body Hammer" auf der großen Leinwand zu sehen, erweist sich als einschneidende Erfahrung. Die Kamera rast amokartig dahin, vorangepeitscht von einem stampfenden Industrial-Soundtrack, zeigt Menschen, die ständiger Transformation unterworfen sind, sich letztlich in Metall verwandeln.
Shinya Tsukamoto
Kino als Rockkonzerte
Mit konventionellem Kino haben diese Bilderströme aus Stop-Motion-Effekten und wüsten Kostümen, aus Schleim, Sex und Stahl, kaum etwas zu tun. Das Gesprochene ist spärlich, beschränkt sich auf Wortfetzen, Gebrüll und Samples. Dennoch ist die Absicht dahinter überdeutlich: Shinya Tsukamotos Filme erzählen von den schrecklich-schönen Schattenseiten der hypertechnologisierten Gegenwartswelt. Sie hinterlassen einen Geschmack von Rost und brauner Schlacke im Mund.
"Meine Filme", sagt Tsukamoto zur Presse, "sollen wie extrem laute Rockkonzerte wirken". Kein Wunder, dass die Musikwelt der neunziger Jahre als erstes darauf reagiert. Die Industrial-Pop-Stars Nine Inch Nails nehmen Kontakt mit ihm auf und MTV lässt ihn Sender-Spots herstellen. Diverse Werberegiseure beginnen, von seiner Ästhetik zu schwärmen. Ganz unverfroren kopiert Alt-Punk Billy Idol Shinya Tsukamotos Stil seinerzeit gleich originalgetreu für einen Videoclip.
Die seltsame Karriere des japanischen Regisseurs beginnt 1989 mit einem kleinen, extrem billig hergestellten Schwarzweiß-Streifen, der auf unzähligen Filmfestivals für Furore sorgt. "Tetsuo" sieht an der Oberfläche nach einem Hybrid aus Science Fiction und Horror-Elementen aus, aber die Kritiker sind sich einig – so etwas hat man in dieser Form noch nicht gesehen. Für Kamera, Buch, Regie und Spezialeffekte zeichnet der gleiche Mann verantwortlich: Shinya Tsukamoto. Derselbe spielt auch noch eine der tragenden Rollen im Film.
Shinya Tsukamoto
Frontalangriff der Bilder und Sounds
Der Nachfolger "Tetsuo 2" (1991) verpackt den Frontalangriff der Bilder und Sounds dann schon in eine etwas linearer erzählte, aufwändiger inszenierte Geschichte. Die Kompromisslosigkeit der Ideen wird dadurch aber keineswegs gezügelt. Noch immer dient der Plot dem Regisseur vor allem dazu, seine Obsession zu metallischen Oberflächen, explodierenden Farben und sich verändernden Formen auf die Leinwand zu bringen. Film als Droge und Stimulation aller Sinne.
Ganz ohne Roboterwesen kommt danach das Boxerdrama "Tokyo Fist" (1995) aus, ein radikaler "Fight-Club"-Vorläufer made in Nippon, in dem es wieder um Transformation geht, aber auch um die Rückeroberung des Körpers. Statt die Figuren aus dem Alltag in eine apokalyptische Maschinenwelt hineinzuschleudern, erzählt Tsukamoto vom Burnout eines Geschäftsmannes, dem ein alter Schulfreund die Geliebte ausspannt.
Als Profiboxer versucht sich der Protagonist (wieder vom Regisseur selbst gespielt) aus seiner Sinnkrise förmlich herauszuprügeln. Erneut kollidieren urbane Alpträume und verschwitzte Männerfantasien, diesmal umgesetzt zu einem ansatzweise realistischeren, virtuosen Faustschlag von Film. Tsukamotos Ästhetik ist der Zeit Jahrzehnte voraus.
Shinya Tsukamoto
Zu Besuch im Tetsuo World Office
Der Himmel ist wolkenverhangen an diesem April-Nachmittag 1995 in Tokio, als es zur Begegnung mit Shinya Tsukamoto kommt. Ein Wiener Magazin hat einen Fotografen und mich in die japanische Millionenmetropole geschickt, um über Filmemacher, Musiker und Modedesigner zu berichten. Als wir aus dem Taxi steigen, sieht die Gegend nach ruhigem Außenbezirk aus. Ein Gewirr von Einfamilienhäusern, fernab von der pulsierenden Hektik, für die Tokio berühmt und berüchtigt ist.
Am Vormittag war ein Fax im Hotel angelangt, mit der Adresse des "Tetsuo World Office". Dahinter verbergen sich dann keineswegs die luxuriösen Büroräumlichkeiten einer Filmfirma, sondern Shinya Tsukamotos Privatwohnung. Ein Tokio-typisches, winziges Appartment, in dem der Regisseur auf engstem Raum wohnt, inmitten Bergen von Büchern, Filmspulen und Faxnotizen.
Der kleine, freundliche Herr der uns öffnet, hat mit einem durchgeknallten Cyberpunk nichts gemein. Tsukamotos Kino ist Dynamit, er selbst um extreme Höflichkeit und Ruhe bemüht. In einer Ecke des Raumes, neben einem Stapel brutaler Manga-Comics, liegen Videos von Boxkämpfen und Biographien berühmter Boxer. "Material, dass ich für meinen neuen Film ‚Tokyo Fist‘ benötigte", murmelt Shinya in schlechtem Englisch. "Wie schon in den Tetsuo-Streifen steht wieder ein typisch japanischer Geschäftsmann, ein salary man, im Mittelpunkt des Geschehens".
Shinya Tsukamoto
Idylle in den Ruinen
Auf der Suche nach einem Fotomotiv verlassen wir nach einem ausgedehnten Gespräch das enge Apartment. Glaspaläste und Stahlmonumente dominieren seine Filme, aber Shinya Tsukamoto, zur Zeit des Interviews Mitte Dreißig, fühlt sich hier im beschaulichen Suburbia wohler.
"Ich bin in Tokio aufgewachsen und hier mit sehr vielen Menschen verbunden, das ist das positive. Aber ich habe als Kind die Stadt noch in einem unschuldigeren Zustand erlebt, verglichen mit der Gegenwart. Es gab noch mehr freie Flächen und auch viele der alten, niedrigen Holzbauten. Das ist aber vorbei und immer mehr Wolkenkratzer walzten alles nieder".
Was danach geschah:
Shinya Tsukamoto verfolgt den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. In Filmen wie "Bullet Ballet" oder "Gemini" steht in gänzlich unterschiedlichen Geschichten dennoch die Destruktion und Transformation des Körpers im Mittelpunkt.
In "Vital" (2004) weicht der Japaner von seinem zentralen Thema nur scheinbar ab. Ein Medizinstudent, der nach einem schweren Autounfall das Gedächtnis verloren hat, wird ausgerechnet beim Sezieren eines Frauenkörpers an seine mit ihm verunglückte Freundin erinnert. Ein Film, der trotz seines morbiden Themas so etwas wie Hoffnung verstrahlt, auch mit seiner prägnanten Farbgebung.
In "Haze" (2005) findet er eine besonders beklemmende Metapher für die Zustände in Tokio. Das Eingesperrtsein, die Isolation des Einzelnen, all das versinnbildlicht ein gequälter Gefangener (schon wieder der Filmemacher selbst), der sich durch einen stählernen Untergrundtunnel windet: Kafka in der Industrial-Vorhölle.
Mit seinen "Nightmare Detective"-Filmen wagt sich Tsukamoto in den späten Nullerjahren aber auch an das Genrekino heran, wenn auch mit surrealem Touch. "Tetsuo: The Bullet Man" schließt dann die Metallmonster-Trilogie ab, diesmal mit amerikanischem Hauptdarsteller und einem Soundtrack von dem Mann, der zu den frühesten Seelenverwandten von Shinya Tsukamoto in den USA gehört: Trent Reznor alias Nine Inch Nails.
Wir spazieren zu einem kleinem Park in der Nähe der Wohnung. Als der Menschmaschinenfilmer inmitten blühender Kirschblütenzweige posiert, wird es ganz offensichtlich. Dieser nahezu immer lächelnde Japaner ist im Grunde ein Romantiker, der in einer Hassliebe zu seiner Stadt lebt. Einer, der die Idylle sucht und dabei durch Ruinenfelder wandern muss.
Shinya Tsukamoto
Boxen als letzte Form der Kommunikation
Tsukamoto ist, wie der von ihm hochgeschätzte James Cameron, ein Zerissener. Einerseits verehren seine Streifen die kalte Ästhetik der Maschinen beinahe religiös, auf der anderen Seite zeugen sie von einer tiefen Technologiefurcht. Allerdings hat der freundliche Kulturpessimist genügend Gelegenheit, die Zukunft der technologischen Entwicklungen hautnah zu studieren - er lebt nur wenige U-Bahn-Stationen von Blade Runner City entfernt.
"Die Zustände im heutigen Tokio - die klaustrophobischen Appartments, die Kommunikation, die nur mehr via Telephon stattfindet, das alles beherrschende TV - alles das führte zu einer völligen Isolation des einzelnen. Es gibt kaum mehr Kommunikation unter den Menschen", seufzt Shinya Tsukamoto.
Shinya Tsukamoto
"In meinen Filmen versuchen die Menschen verzweifelt, den Kontakt zueinander und zu sich selbst wiederzufinden. Hier knüpft auch mein neuer Film an. Boxen ist eine harte, gewalttätige Form der Kommunikation, bei der man sogar sterben kann. Aber immerhin gibt es noch einen Körperkontakt."