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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

15. 7. 2014 - 17:44

Zurück in die Vergangenheit

800 ÖsterreicherInnen haben einen offenen Brief gegen das "Gendern" unterzeichnet. Über SprachkritikerInnen und Sommerlöcher.

Es sind die Sprachbewahrer von muttersprache.at, die offenbar Andreas Gabaliers Lernschwäche bei Liedertexten und seine süßlich-schleimige Erklärung samt freudschem Versprecher zum Anlass nehmen, sich öffentlich frauenfeindlich zu äußern. Der Verein hat ein Schreiben in der Juni-Ausgabe seiner Zeitschrift "Wiener Sprachblätter" veröffentlicht. Darin fordert man von der Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner die "Rückkehr zur sprachlichen Normalität". Die bei der Veröffentlichung noch rund 300 UnterzeichnerInnen sind bis gestern auf 800 angewachsen.

Auf Twitter wird unter #wirsind800 eifrig gemutmaßt, was das bedeuten soll. Denn "sprachliche Normalität" gibt es nicht - eine Sprache verändert sich nun einmal. Und eine Sprache, die sich nicht ändert, sich nicht ändern darf, ist tot.

Der Verein hingegen ist offenbar gegen jede Veränderung der deutschen Sprache (österreichischen Idioms) - wurscht ob es sich um bundesdeutsche Ausdrücke oder Anglizismen handelt, egal ob sinnvolle Ergänzung der Sprache oder Verdrängung eines Wortes. Ironischerweise widerlegen sich aber genau da die "Sprachkritiker" selbst. Da heißt es im offenen Brief: "Sprache war und ist immer ein Bereich, der sich basisdemokratisch weiterentwickelt: Was die Mehrheit der Sprachteilhaber als richtig empfindet, wird als Regelfall angesehen."

Auf der Website der Sprachverteidiger, deren Logo ein Frakturschriftzug (was denn sonst?) ziert, wird der Ausdruck "Login" verweigert - statt dessen steht da "Einwahl". Ob das die Mehrheit versteht?

Bleistift und das Wort Vorständin

dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

Gegen Sichtbarkeit

Die UnterzeichnerInnen des Briefes stören sämtliche "Verunstaltungen des Schriftbildes", wie das Binnen-I (LeserInnen), der Schrägstrich im Wortinneren (Leser/innen), Klammern (Leser(inn)en), und natürlich hochgestellte Buchstaben (Mag.ª). Den Unterstrich (Leser_innen) und das Sternchen (Leser*innen) haben sie nicht aufgeführt, es ist aber davon auszugehen, dass sie sich daran ebenfalls stoßen. All das sei "aus dem Schreibgebrauch zu eliminieren", heißt es, und sie fordern eine "Revision der gegenwärtigen Vorschriften." Was sind denn das eigentlich für Vorschriften?

Das Bildungs- und Frauenministerium hat eine Handvoll Richtlinien für den internen Gebrauch sowie Empfehlungen für den Unterricht. Das Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium hat eine Stabstelle für Gender- und Diversitätsmanagement und einen Leitfaden für nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch. Und dann ist noch die geschlechtergerechte Betitelung in einer Richtlinie geregelt.

Etliche LehrerInnen und SchuldirektorInnen haben den offenen Brief unterzeichnet, dabei müssen sie weder das Binnen-I lehren noch den Gendergap-Unterstrich erklären. Der Leitfaden sagt im Grunde nur, dass sowohl die männliche als auch weibliche Form gelehrt werden soll. Alleine der Protest gegen diese Lappalie - manche würden sagen: Selbstverständlichkeit - zeigt die Rückschrittlichkeit des Briefes. Sprache konstruiert unsere Welt, und wenn Schulkinder nur vom Arzt und von der Friseurin hören, vom Mechaniker und der Krankenschwester, hat das Auswirkungen auf ihr Weltbild.

Frauen von der Venus

Apropos Weltbild: jenes der VerfasserInnen des offenen Briefes zeigt sich darin geradezu musterhaft:

"Die Verpflichtung zur generellen getrenntgeschlechtlichen Formulierung führt darüber hinaus dazu, dass manche Aussagen nun schlichtweg nicht mehr "politisch korrekt" formulierbar sind, z. B. Sätze wie "Frauen sind eben doch die besseren Zuhörer." Das Beispiel zeigt klar auf: Die verordneten Vorschriften widersprechen zum Teil den Grundregeln unserer Sprache."

Das Beispiel zeigt vor allem, welche Art Sätze grundsätzlich hinterfragenswert sind. Und ja, der Satz ist politisch korrekt formulierbar: Es ist ein Vorurteil, dass Frauen die besseren ZuhörerInnen sind.

Generische Fehler

Die Hauptunterzeichnenden sind zwei Sprachwissenschaftler, ein Lehrer, eine Translationswissenschaftlerin und ein Literaturwissenschaftler. Man sollte meinen, diese fünf könnten das "generische Maskulinum" richtig definieren:

"Das 'generische Maskulinum' (z. B. Mensch, Zuschauer...) zum Feindbild zu erklären und dessen Abschaffung zu verlangen, blendet die Tatsache aus, dass unsere Sprache ebenso ein 'generisches Femininum' (z. B. Person, Fachkraft...) und ein 'generisches Neutrum' (z. B. Publikum, Volk...) kennt."

Duden

dpa/Armin Weigel

BefürworterInnen der sprachlichen Gleichbehandlung unterscheiden zwischen Genus, dem grammatikalischen Geschlecht, und Sexus, dem biologischen Geschlecht.

"Der Zuschauer" ist ein Mann, "die Zuschauerin" eine Frau. Niemand fordert die Einführung von "MenschInnen", da "der Mensch" zwar einen männlichen Artikel, aber kein klares biologisches Geschlecht hat. Eigentlich ganz einfach. Wer das als SprachwissenschaftlerIn, LiteraturwissenschaftlerIn oder TranslationswissenschaftlerIn vermischt, macht das absichtlich - und täuscht damit die Öffentlichkeit. Außerdem macht er oder sie sich als WissenschaftlerIn ein bisschen lächerlich.

Ab ins Sommerloch

Jetzt stöhnen schon die ersten über das verdammte Sommerloch, in dem jeder Mist medial aufgebauscht wird. Wir sollten den BrieferlschreiberInnen aber dankbar sein, dass sie das Thema wieder einmal zu einer Geschichte machen, dass sie ihre Meinungen aus vergangenen Jahrhunderten offenbaren, dass sie ihren offenen Brief so schlecht formulieren.

Die SprachretterInnen der Vereins Muttersprache können gerne auf die Magistra verzichten, auf das Binnen-I, den Gendergap-Unterstrich, den Slash, den Stern oder die Klammer. Sie werden die deutsche Sprache damit aber trotzdem nicht in eine Zeit zurückschicken, in der Angela Merkel deutscher Bundeskanzler und Gabriele Heinisch-Hosek Frauenminister gewesen wäre. Es hat sich ausmitgemeint.