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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

14. 7. 2014 - 19:15

Briten weiten Vorratsdatenspeicherung aus

Die Speicherpflicht wird auf alle Webmail-Dienste ausgeweitet. Das neue DRIP-Gesetz wird unter einer Notfallsverordnung im Eilverfahren am Dienstag verabschiedet.

Während in Österreich gerade die schriftliche Ausfertigung des wegweisenden Urteils zur Annullierung der Vorratsdatenspeicherung erwartet wird, folgen die ersten EU-Staaten dem Beispiel Österreichs. Vor einer Woche verwarf das Verfassungsgericht Rumäniens die Vorratsspeicherung als verfassungswidrig. Am 3. Juli hatte der slowenische Verfassungsgerichtshof das entsprechende nationale Gesetz außer Kraft gesetzt.

In Großbritannien wurde hingegen am vergangenen Donnerstag ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das die anlasslose und flächendeckende Speicherung aller Verkehrsdaten aus Telefonnetzen und dem Internet noch erweitert. Um die negative Entscheidung des EuGH zu umgehen, auf der die Urteile in Österreich, Slowenien und Rumänien basieren, musste in Großbritannien sogar der nationale Notstand bemüht werden. Die DRIP genannte Gesetzesinitiative ist tatsächlich ein Notstandsgesetz und so wird sie im britischen Parlament auch durchgepeitscht.

Notstandsgesetz DRIP

Der österreichische VfGH hatte die anlasslose und flächendeckende Speicherung aller Kommunikationsdaten auf Vorrat Ende Juni als "unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte" erkannt und in ihrer Gänze mit sofortiger Gültigkeit verworfen.

Nach einer Kabinettssitzung am Donnerstag wurde der Text der "Data Retention and Investigatory Powers Bill" (DRIP) bereits wenige Stunden später auf der Website des Innenministeriums veröffentlicht. Das weitere Prozedere ist so gestaltet, als befände sich Großbritannien im Kriegszustand. Diskussionen im Parlament sind erst gar nicht vorgesehen, denn das Gesetzespaket soll dort bereits am Dienstag abgestimmt werden.

Sämtliche parlamentarischen Prozesse im Rahmen einer Gesetzgebung, die in der Regel vier Monate beanspruchen, sollen so an einem einzigen Tag abgewickelt werden. Nicht wirklich überraschend werden dabei die Zugriffsbefugnisse für Polizeibehörden erneut ausgeweitet, zudem soll DRIP indirekt auch die legale Basis für die Aktivitäten des Militärgeheimdienstes GCHQ untermauern.

Sozialdemokraten mit an Bord

Simon Davies in einem Pub

CC BY 2.0 von Owen Blacker flickr.com/owenblacker/

CC BY 2.0 Simon Davies

Bis zum Wochenende hatten von den britischen Tageszeitungen nur der Guardian und die Daily Mail über das Vorhaben berichtet, auch aus den Reihen der parlamentarischen Opposition kam bis dato praktisch keine Kritik. Langjährige Beobachter wie Simon Davies von der London School of Economics überrascht das wenig. Die Vorgangsweise der Regierung David Camerons ziele in ihrer Wortwahl klar darauf ab, auch die britischen Sozialdemokraten an Bord zu holen, sagte Davies zu ORF.at.

Durch die enge Verknüpfung von DRIP mit dem britischen Polizei- und Geheimdienstbefugnisgesetz RIPA richtet Cameron den Sozialdemokraten diese Botschaft aus: "Wir bekräftigen hier ja nur, was ihr mit RIPA bereits gesagt habt." Das Befugnisgesetz RIPA war nämlich von der sozialdemokratischen Regierung Tony Blairs beschlossen worden, die sich von ihren konservativen Nachfolgern in puncto Überwachung kein bisschen unterschieden hatte.

Dieselben Argumente wie in Österreich

Die Schlussfolgerung der Regierung daraus sei, meint Davies, dass an der bestehenden Gesetzeslage zur Speicherung aller Kommunikationsdaten "auf Vorrat" nichts geändert werden müsse, weil mit DRIP die Gesetzesgrundlagen nun präzisiert seien. Diese Vorgehenѕweise erinnert stark an die Argumentation der Vorratsdaten-Befürworter aus dem Justiz- und Innenministerium in Österreich.

"Hinsichtlich des Zugangs zu Vorratsdaten" weise die "österreichische Rechtslage sehr wohl eine differenzierte und verhältnismäßige Regelung auf" und wegen des "differenziert geregelten Zugangs zu den Vorratsdaten" sei die anlasslose Speicherung der Vorratsdaten im konkreten Verfahren daher nicht relevant" wurde argumentiert. Die EuGH-Richter hatten aber nicht die Art der Zugangsregelung, sondern die undifferenzierten und umfassenden Speichervorschriften der EU-Richtlinie und den daraus resultierenden nationalen Gesetzen massiv kritisiert und in toto verworfen.

Stellungnahme des VfGHs

Screenshot Bundeskanzleramt

"Auf alles oder nichts gespielt"

Die Stellungnahme der Bundesregierung geht mit keinem Wort auf den Grundrechtseingriff durch anlasslose Speicherung ein, sondern beschäftigt sich ausschließlich auf die Restriktion des Zugriffs darauf. Grund- oder Menschenrechte werden überhaupt kein einziges Mal erwähnt.

Der unabhängige, britische Datenschutzexperte Caspar Bowden sieht die Vorgangsweise der Regierung David Camerons, die Form eines Notstandsgesetzes zu wählen, auch nicht als Ausdruck der Stärke. Vielmehr habe die Londoner Regierungskoalition hier auf "alles oder nichts gespielt" und sei durch die EuGH-Entscheidung auf dem falschen Fuß erwischt worden. "Die Politik ist hier grandios gescheitert", schreibt Bowden, "die fehlende Vorbereitung auf diese EuGH-Entscheidung ist der Grund für die momentane politische Krise".

Capser Bowden am Rednerpult

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CC BY-SA 2.0 Casper Bowden

Die zeigt sich schon daran, dass im Text des DRIP-Entwurfs ständig etwas "klargestellt", bzw. "untermauert" oder auch "außer Zweifel gestellt" wird, wie etwa die "extraterritoriale Gültigkeit für Zugriffsmöglichkeiten und Bereitstellung der Kommunikationsdaten" wie es in Abschnitt fünf heißt. Für Simon Davies ist das gesamte Vorhaben nicht nur in diesem Punkt "ein Sack voller Lügen."

"Legales Fundament, nachträglich"

Ausriss aus DRIP-Gesetz

CC UK government

Die laufenden Gerichtsprozesse gegen die "Ermächtigung des GCHQ weltweit Daten abzufangen" werde im DRIP-Entwurf schlicht unter den Tisch gekehrt und versucht, die Spionagetätigkeit des britischen Militärgeheimdienstes nachträglich auf ein legales Fundament zu stellen. Die Klagen von Privacy International, der Open Rights Group und anderen gegen das GCHQ fokussieren nämlich exakt auf diesen Punkt.

Simon Davies ist Gründer von Privacy International und Erfinder der Internationalen Big Brother Awards. In seinem Blog vergleicht der "Datenschutzchirurg" Davies den DRIP-Entwurf mit der Praxis der Gesetzgebung in afrikanischen Mitgliedsstaaten des britischen Commonwealth. .

Im Abschnitt fünf des DRIP-Entwurfs heißt es dazu: "Dieses Gesetz ändert nichts an den bestehenden Schutzmaßnahmen bezüglich der Überwachung. Strafverfolger und Geheimdienste werden auch weiterhin eine Überwachungsorder des Innenministeriums benötigen." Diese "Schutzmaßnahmen" für den Bürger sehen in der Praxis freilich so aus, dass eine einzige Pauschalorder genügt, um aus einem Glasfaserkabel mengenmäßig unbegrenzt Daten abzuzapfen.

Vorratsdaten, "wirtschaftliches Wohlergehen"

Noch verräterischer ist folgende Passage, ebenfalls aus Abschnitt fünf: "Das Gesetz präzisiert auch die Begründung 'wirtschaftlichen Wohlergehens' zum Abgriff von Kommunikationsdaten" heißt es da. Dies solle "sicherstellen, dass mit 'wirtschaftlichem Wohlergehen" begründete Überwachungsanordnungen nur dann erlassen werden" könnten, wenn sie in "spezifischem Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit" stünden.

Um das "wirtschaftliche Wohlergehen" Großbritanniens zu sichern, kann das GCHQ also auch weiterhin Wirtschaftsspionage betreiben, muss aber darauf hinweisen, dass die "nationale Sicherheit" in Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wohlergehen steht.

Ausriss aus den Erläuterungen zu DRIP

CC UK government

Ausweitung auf Webmail

Zudem wurde der Gültigkeitsbereich von DRIP explizit auf alle Kommunikationsdienste mit spezieller Betonung auf Webmaildiensten ausländischer Anbieter erweitert, während die EU-Richtlinie Webmail und alle anderen WWW-basierten Dienste explizit ausgeschlossen hatte. Auch hier sollte DRIP nur den Ansatz des Ermächtigungsgesetzes RIPA "klarstellen" und zwar für ausländische Provider, die betont hatten, dem nur dann nachzukommen, "wenn eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung dazu" bestehe. (Erläuterungen zu DRIP, Abschnitt 15)

Caspar Bowden ist wie Davies Datenschützer der ersten Stunde und führte eine Unzahl von Kampagnen für die "Foundation for Information Policy Research" im UK. Von 2002 bis 2011 war Bowden zuletzt als Chief Privacy Adviser für Microsoft tätig, heute ist er ein gefragter Redner bei internationalen Kongressen.

Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit aller Maßnahmen unter dem "Data Retention and іnvestigatory Powers Act" soll ein neuer "Aufsichtsrat für Privatsphäre und bürgerliche Freiheiten" sorgen. Wie das Agieren des "Privacy and Civil Liberties Oversight Board" in den USA gezeigt habe, sei ein solches Kontrollgremium zur Beaufsichtigung von Geheimdiensten reine Augenauswischerei, sagte Simon Davies abschließend. In diesem Fall habe die britische Regierung nicht nur ein unbrauchbares Instrument, sondern auch dessen Bezeichnung wortwörtlich aus den USA importiert.

Die Sitzung im "House of Commons" im britischen Parlament beginnt Dienstag um 11 Uhr 30. DRIP ist dritter von vier Punkten auf der Tagesordnung. In der Tagesordnung heißt es dazu schlicht: "The Regulatory Powers and Data Retention Bill - alle Stufen", denn die DRIP-Gesetzgebung wurden von den üblichen vier Monaten auf einen einzigen Tag konzentriert.