Erstellt am: 15. 7. 2014 - 16:30 Uhr
Alter Schwede!
Lass dich nicht von den ersten 50 Seiten täuschen, das Setting des Romans beginnt noch vielversprechend: Der Taschendieb und Kleinganove Ayarajmushee Dikku Pradash, seines Zeichens indischer Fakir als offizielle Berufsbezeichnung, hat sich von seinen Landsleuten ein Flugticket nach Paris ergaunert. Dort kauft er in einer Ikea-Filiale das neueste Modell eines Nagelbetts - mit dem schönen Namen und Zungenbrecher "Likstupikstå". Das pumarote Bett aus echter schwedischer Kiefer mit 15.000 höhenverstellbaren, rostfreien Nägeln soll dem von Rückenschmerzen geplagten Fakir Linderung verschaffen.
S. Fischer Verlag
Bezahlen will Aya das Bett mit einem gefälschten, nur auf einer Seite bedruckten 100-Euro-Schein, der an einer unsichtbaren Schnur hängt. Mit einem Ruck zur rechten Zeit will er sich den gezinkten Schein wieder zurückerobern, noch bevor er in der Kassa des schwedischen Möbelhauses landet - ein alter Taschenspielertrick, die der Fakir zur Genüge kennt, hat er doch die Menschen in seiner Heimat sein Leben lang geblufft und getäuscht. In der Köttbullar-Kantine lernt er schließlich die Französin Marie kennen und verliebt sich auf den ersten Blick in die alleinstehende 40-Jährige mit dem Porzellanpuppengesicht. Die Nacht verbringt Ayarajmushee aus Geldmangel unerlaubterweise in einem der hunderten Betten der Ikea-Filiale. Als er auffliegt, versteckt er sich in einem Schrank, der gerade verkauft wurde und - wie er nicht weiß - nun nach England geschickt werden soll. Die unglaubliche Reise des Fakirs beginnt.
Was am Anfang noch in etwa an Jonas Jonasson ("Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand") erinnert, oder von mir aus auch an "Die fabelhafte Welt der Amélie" (das Märchenhafte, die Zufallsbegegnungen, die sich zu einer Handlung verweben), wird im Laufe des Buches nur eines: fad. Der Fakir reist aufgrund unglaubwürdiger Zufälle - die PR-Schreiberlinge würden es "skurril" bezeichnen - nach Barcelona, Rom, Tripolis und zurück nach Paris, wird von einem Roma-Taxifahrer verfolgt und bedroht, den er abkassiert und betrogen hat und schließlich geläutert: er wolle fortan als aufrechter Mensch leben, Schriftsteller werden und Menschen helfen.
Auf seinen Zwangsreisen erlebt der Fakir wenig, die Zufallsbegegnungen, die er macht, und deren Schicksale berühren einen kaum bis gar nicht. Die höchstens anskizzierten Personen wirken flach und eindimensional. Einzige Ausnahme vielleicht: der sudanesische Flüchtling Soomar, der seine Heimat verlassen hat und sein Glück in den "schönen Ländern" sucht, um seiner armen Familie und seinen Freunden zu helfen. Und am Schluss gibt es - wie sollte es auch anders sein - ein Happy End, ein Kleinod der Vorhersehbarkeit.
CC BY 2.0 von Meena Kadri flickr.com/meanestindian/
Popliteratur aus dem Bestseller-Baukasten
Romain Puértolas hat mit seinem zweiten Roman den internationalen Durchbruch geschafft. "Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Ikea-Schrank feststeckte" wurde allein in Frankreich mehr als 300.000 Mal verkauft und in 36 Sprachen übersetzt. Sein Buch empfindet er als nicht lustig, wie er selbst sagt. Und recht hat er. Die Gag-Schablonen entstammen aus dem Ikea-Baukasten-Prinzip und sind so klischeehaft, dass es stellenweise richtig weh tut. Und die Namens-Witze nerven ("als Fakir-Hofnarr im Palast des Maharajas Ree Senh Dehb - sprich Riesendepp"). Die Handlung ist so überzeichnet, dass sie einem am Arsch vorbeigeht. Dass das Buch dennoch so oft verkauft wird ist Kalkül. Man nehme einen Ort, den jeder kennt und einen nervt (die endlosen Wege einer Ikea-Filiale), packt ein paar außergewöhnliche, exotische Figuren dazu (einen gepiercten Fakir, der nun die große, weite, westliche Welt zum ersten Mal mit seinen infantilen Augen betrachten darf) und lässt diese von einem in die nächste Katastrophe stolpern. Wie verrückt.
Ein ideales Geschenk für eine weit entfernt wohnende etwas schrullige Tante zum 50. Geburtstag, die man seit Jahren nicht gesehen hat und mit der man eigentlich auch nichts zu tun haben möchte. Ein Konsensroman, der kleinste gemeinsame Nenner, der von allen "nett" gefunden werden kann. Verfilmung? Verfilmung!
Auf der Rückseite des Buches steht ein Zitat von France Culture: "So ein Buch gibt es ganz, ganz selten". Hoffentlich behalten sie recht.