Erstellt am: 13. 7. 2014 - 17:20 Uhr
11 Dinge, die ich bei heimischen Festivals vermisse
Festivals im Ausland sind immer ein Lehrstück in Sachen Organisation, Gesellschaft und Kultur. Das Pohoda Festival im slowakischen Trencin, zweieinhalb Zugstunden von Wien entfernt, ist seinen österreichischen Pendants um Einiges voraus.
Daniela Derntl
1.) Die familiäre Atmosphäre
Die Pohoda-Besucher sind sich einig: das Beste am Festival ist die Atmosphäre. „Everyone is smiling, friendly and helpful“, erzählen sie mir und ich kann das nur bestätigen. Pohoda bedeutet übersetzt soviel wie entspannt und relaxt und so war es auch. Nur einmal hab ich zwei Typen schreien gesehen, und zwar, weil sie über eine Stunde auf das Taxi warten mussten. Sonst war das ein sehr friedvolles Miteinander. Wie kommts? „People feel that the Organisators care about them. It’s not about the Money, it’s about having a really good time”. Das sich die Organisatoren um die Leute kümmern, merkt man auch am nächsten Punkt.
Daniela Derntl
2.) Gratis-Trinkwasser
Auf dem Festival-Gelände stehen Wassertanks, bei denen man sich gratis Trinkwasser holen kann. Die Besucher, die direkt vor der Bühne stehen, werden vom Bühnengraben aus mit gratis Soda versorgt. Damit beim Feiern keiner dehydriert oder wegen Durst seinen guten Platz aufgeben muss. Bei extremer Hitze fährt die Feuerwehr durchs Festival-Gelände und spritzt die Besucher nass, denn Schatten gibt es keinen.
Daniela Derntl
3.) Sauberkeit
Ich fasse es selber nicht: lieber als die Bands habe ich den Boden des Festivalgeländes fotografiert. Er ist einfach super sauber. Es liegt nichts herum und wenn, dann maximal für 10 Minuten. Hunderte Freiwillige räumen den Müll weg und verdienen sich somit ihre Eintrittskarte. Es stehen auch alle hundert Meter Container zum Mülltrennen auf dem Festivalgelände und werden auch fleißig genutzt. Diese Sauberkeit besitzt wahren Exotenbonus und ist ein weiterer Indikator, dass die Leute hier tatsächlich auf sich und ihre Umgebung aufpassen.
Daniela Derntl
Daniela Derntl
Beim Pohoda hat sich mein Verdacht, dass österreichische und englische Festivalbesucher entweder vom Wildschwein abstammen oder es sich dabei um ignorante Vollpfosten handelt, die ein paar Tage im Müll als Ausdruck von Hedonismus und Freiheit missverstehen, erhärtet wie getrockneter Schlamm. Apropos: am Pohoda wälzt man sich auch nicht im Gatsch nach dem Regen. Die Leute bleiben drei Tage lang sauber und gut angezogen.
Daniela Derntl
4.) Pfandbecher
Daniela Derntl
Heuer waren beim Pohoda-Festival erstmals Pfandbecher zur Müllvermeidung im Einsatz. Nachdem sie mit einem Preis von zwei Euro teurer als ihr flüssiger Inhalt sind, wirft sie auch keiner weg und wenn, dann bringt ihn eben ein anderer zurück und verdient zwei Euro damit.
Pfandbecher sind an sich ja nix Besonderes, aber der beim Pohoda hat einen Haken. Man hängt den Becher einfach in die Hose, Gürtel, Tasche ein und hat beide Hände frei. Das klingt jetzt banal, aber es ist extrem praktisch.
5.) Das Kraut und Rüben Line-Up
Daniela Derntl
Musikalisch hat das Pohoda alles außer Metal in Petto. Untertags spielen hauptsächlich slowakische und tschechische Bands, am Abend wird es internationaler und stilistisch durchmischt. Am Donnerstag haben um 21 Uhr die ukrainischen Philharmoniker auf der Hauptbühne ein klassisches Konzert gespielt, zwei Stunden später haben dort Kraftwerk ihren Status als Schöpfer der elektronischen Musik zementiert. Das zweistündige Konzert war schwerstens beeindruckend, ein zeitloses Monument – mit 3D-Visuals, die Avatar alt aussehen lassen, allen Hits und fünf Zugaben. Was die Rolling Stones für den Rock sind, sind Kraftwerk für Techno. Auch wenn man ihre Platten kennt, wird einem die Größe dieser Band erst bei einem Konzert bewusst. Das Sample-Referenzglöckchen in meinem Hirn hat ständig ausgeschlagen, Techno und auch frühe Hip-Hop-Platten würde es ohne diese Band in der Form nicht geben.
Daniela Derntl
Azealia Banks war weit weniger spielfreudig als Kraftwerk. Nach einer hochenergetischen 40-minütigen Turnstunde verlässt die Badass-Bitch die Bühne und überlässt das Feld ihrem DJ, der die Menge mit „Higher Ground“ von TNGHT und Tracks von Rustie bei Laune hält. Die Leute hoffen, dass sie wieder kommt. Vergebens!
Daniela Derntl
Absurd wie schon am Harvest of Arts-Festival war der Auftritt von Tricky. Zu wie der Spar am Sonntag taumelte er auf der Bühne herum, kniete vor dem Publikum oder wandte ihm den Rücken zu, um kräftig am Joint zu ziehen. Und noch einmal. Und wieder. Und wieder. Die ganze Show wird von der Sängerin Francesca Belmonte geschmissen, die nicht nur den Gesang, sondern oft auch gleich alle Rap-Parts von Tricky übernimmt, während der Meister schweigend im Nebel steht. Viele Leute verlassen das Konzert aber viele jubeln ihm dennoch zu wie einem sterbenden Schwan. Die Band kann einem Leid tun, sie fungiert mehr als Sicherheitsnetz denn als Partner auf Augenhöhe. Schrecklich.
Suede ist mittlerweile eine Altherren-Indie-Rock-Band, die von den alten Hits und der Coolness des Sängers Brett Anderson lebt. Wobei sich der nur auf der Bühne bzw. im Bühnengraben seinen Fans verbunden zeigt, wenn er ein Bad in der Menge nimmt. Ein slowakischer Journalist hat mir erzählt, dass ein sehr schlecht gelaunter Brett Anderson nach dem Interview nicht mal zwei CDs signieren wollte. Heuchelei! Die Nummern aus dem aktuellen Album Bloodsports, das nach einer mehrjährigen Pause entstanden sind, können live nicht überzeugen – zu viel gelackter Herz-Schmerz-Pathos.
Daniela Derntl
Kelis ist leider nicht mehr die, die sie mal war. Sie hat zwar noch einen direkten Draht zum Publikum und sorgt für ein paar müde Lacher, wenn sie für ein Selfie die Menge animiert, aber musikalisch geht sie jetzt eher in Richtung Big-Band-Kaffeekränzchen. Damit wäre sie durchaus geeignet, bei Oprah Winfrey den Helmut Zerlett zu machen, um dann auch ein paar Kochrezepte in die Sendung einzustreuen. Ich denke, dort wäre sie gut aufgehoben.
Dahingegen waren Modeselektor, Mount Kimbie, Tame Impala und Disclosure genauso großartig, wie ich es erwartet habe. Bei Modeselektor funktioniert Dubstep wie eine Ohrenkerze, die die Gehörgänge von dem Schmalz des Lebens befreit. Nach dieser Schlittenfahrt machen sie auf für die großen Gefühle – „Move your Body“ von Marshall Jefferson und „Soul Train“ von Sound Stream beschließen ihr Set. Super Awesome!
Daniela Derntl
Tame Impala sind eine furiose Live-Band, die mit dem Publikum auf Teufel komm raus flirtet und ihnen mit Indie-Psychedelica den Kopf verdreht. Mount Kimbie zerlegen in ihrem Set ihre Songs und setzten sie neu zusammen. Sehr experimentell, sehr improvisiert, sehr beeindruckend. Disclosure haben auch alles richtig gemacht, was bei der Menge an Hits zwar nicht schwer ist aber auf alle Fälle die Kirsche auf dem Samstag-Nacht-Sahnehäubchen war.
Daniela Derntl
6.) Gratis WiFi
Die Slowakei ist mit Internet im öffentlichen Raum schon weiter als Österreich. In jeder Lokalbahn gibt es WiFi, auch am Bahnhof und am Festival-Gelände. Ein Mobilfunkbetreiber wirbt nicht nur mit einem Bühnennamen, sondern hat auch zahlreiche WiFi-Terminals auf dem Festival-Gelände verteilt.
7.) Essen
Daniela Derntl
Essen gehen macht am Pohoda richtig Spaß. Es gibt keinen 0815-Festival-Junk-Food-Fraß sondern eine große Auswahl internationaler Küche: slowakische Hausmannskost, indische Currys, Asia-Nudeln und Reis, Kebap, Dürüm, Burger, Steckerlfisch, Gulasch, Eintöpfe, Grill-Hendl, Pizza aus einem Steinofen, jede Menge Obst und Süßigkeiten, frisch gepresste Säfte und die Barista sind mit ihren mobilen Kaffeeständen auf dem ganzen Festivalgelände unterwegs. Was will man mehr?
Daniela Derntl
8.) Preise
Dieser Punkt ist nur ein Plus für ausländische Festival-Besucher, denn den Slowaken kommt das Festival wegen ihres geringen Einkommens schon richtig teuer. Als Österreicher freut man sich:
Der Drei-Tages-Pass beim Pohoda-Festival kostet inklusive Camping im Vorverkauf maximal 89 Euro, 119 Euro bei der Abendkassa am Festivalgelände
Die Preise pro Mahlzeit bewegen sich zwischen zwei und sechs Euro, die Getränke sind spottbillig: eine Flasche Wein kostet sieben Euro, Mineralwasser und Leichtbier kosten 1,40 Euro. Das Bier ist zwar nur mäßig gut, aber nachdem es so leicht ist, ist kaum jemand bumm-zu oder komatös.
Daniela Derntl
9.) Kinderfreundlich
Zahlreiche Besucher sind mit ihren Kindern am Festival und können sie auch in einer eigenen Kids-Area abgeben, wo sie betreut und unterhalten werden.
Daniela Derntl
10.) Das Rahmenprogramm
Film, Theater, Spiele, Tanzkurse, Lesungen, Diskussionsrunden, Kunstausstellungen und Verkaufsstände sorgen dafür, dass man auf dem Weg zum nächsten Konzert irgendwo hängenbleibt. Zahlreiche NGOs klären über Umweltschutz, Drogen und sicheren Sex auf. Es gibt also immer irgendwas zu entdecken
Daniela Derntl
11.) Keine Zeltplatz-Parties
Unvorstellbar in Österreich – Tatsache in der Slowakei – gefeiert wird nur am Festivalgelände, am Zeltplatz findet keine einzige Party statt, man hört auch keine laute Musik. Sehr zivilisiert alles. Davon sollte man sich als Festival-Freund durchaus mal selbst überzeugen.
Daniela Derntl