Erstellt am: 9. 7. 2014 - 16:07 Uhr
Pulp Fiction
Eine Liga der besonders außergewöhnlichen Ladies und Gentlemen, die X-Men - verpflanzt in ein nebelverhangenes viktorianisches London. Letzte Woche ist nach acht Episoden die erste Staffel der von Showtime produzierten Show "Penny Dreadful" zu Ende gegangen. Eine vielversprechende, kuriose erste Season mit ein paar Durchhängern, Längen und einigen wenigen allzu C-Movie-haften Ausreißern.
Beispielsweise einige Szenen, in denen die mysteriöse Figur Vanessa Ives, dargestellt von Eva Green - in anderen Momenten der Show unterkühlt, magnetisch, komplett einnehmend und preisverdächtig - expressiv schwitzend und fauchend die Kaperung ihre Körpers und ihres Geistes durch einen Dämon - the devil himself? - durchleben muss und mit creepy Kinderstimmchen oder in fremden Zungen lallt, sind schon gar arg überzeichnete Quatsch-Referenzen an den unschlagbaren "Exorzisten". Fast schon wähnt man sich in einem Film der "Scary Movie"-Reihe.
Penny Dreadful
Solche Szenen sind Ausnahmen. Das Überhöhte, das Cartoonhafte und das bewusste erratische Moment sind sind mit voller Absicht Charakteristika von "Penny Dreadful". Der Titel der Show bezieht sich auf die gleichnamigen, um die Mitte des 19. Jahrhunderts in England populären Groschenheftchen mit Grusel-, Spuk- und Schock-Geschichten. Der Plot ist an sehr langen und wirren Haaren herbeigezogen. Das Personal der Show rekrutiert sich aus diversen Figuren aus Mary Shelleys "Frankenstein", Bram Stokers "Dracula" und anderen vage aus Klassikern der Gothic Fiction abgelauschten Charakteren.
Wir treffen auf den ewigen Lebemann Dorian Gray, hier als wie einer Boy Group entsprungener Geck inszeniert. Billie Piper als eine nicht auf den Mund gefallene Prostituierte, deren Zukunft gar finster scheint, oder den viel zu lange verschollenen Josh Hartnett als amerikanischen Schlingel, Schausteller und Revolverheld. In ihm wohnt ein dunkles Geheimnis, wir ahnen es. Die Figuren in "Penny Dreadful" sind aus ihren ursprünglichen Kontexten herausgelöst und ähneln ihren literarischen Vorbildern hinsichtlich Lebenslauf, Charakterzeichnung etc. mal mehr, mal weniger.
Timothy Dalton gibt als ergrauter, wohlhabender Afrika-Forscher, eindeutig an Großwildjäger Allan Quatermain angelehnt, quasi den Professor X, die (hier in tatsächlich mehrfachem Sinne) Vaterfigur des skurrilen Trupps. Gemeinsam wollen ägyptische Todes-Formeln entziffert, Blutsauger gepfählt und Weltverschwörungen zerschlagen werden.
Penny Dreadful
Das alles ist prickelnd und schlau gebaut, glänzt mit schaurigen Schauwerten zwischen Hammer Horror und Tim Burton und geizt nicht mit der expliziten Herausarbeitung der sexuellen und körperlichen Komponente von Horror-Literatur. Immer wieder bietet "Penny Dreadful" für Literatur-Detektive kleine, amüsante Aha-Momente, die weiter keinen größeren Zweck verfolgen sollen.
In der Episode "What Death Can Join Together" zitiert die Serien-Figur Viktor Frankenstein bei einem Tischgespräch in glühender Verehrung das Gedicht "Adonais" - in dieser, unserer tatsächlichen Realität 1821 von Romantiker Percy Bysshe Shelley für seinen Freund und Bruder im Geiste John Keats geschrieben. Shelleys Ehefrau war Mary Shelley, also Erschafferin des Charakters Frankenstein, der da gerade in einer Fernsehshow unter neuen Bedingungen weiterlebt und just in diesem Moment von ihrem Ehemann schwärmt.
Solche Szenen wollen in "Penny Dreadful" nicht viel bedeuten. Sie sind nicht Teil einer raffinierten narrativen Konstruktion, führen nicht in einen dramaturgischen Zirkelschluss und nicht zur Implosion des Universums. Sie sind ein kurzes Augenzwinkern und eine weitere Manifestation des Umstands, dass wir uns bei "Penny Dreadful" in einer Show befinden, in der sich die Geschichtsschreibung der echten Welt, Literaturgeschichte und die Universen, die in den hier angerissenen literarischen Werken gezeichnet werden, merkwürdig überlagern.
Man muss das freilich alles nicht wissen. Die Show ist in sich selbst - wenn auch auf krude Art und Weise - schlüssig und selbsterklärend und muss auch für ein Publikum funktionieren, das noch nie von Oscar Wilde gehört hat, das Francis Ford Coppolas "Dracula" nicht gesehen hat und dem auch die Geschichte von Frankenstein und seiner monströsen Erschaffung fremd ist. "Penny Dreadful" ist smart, aber nicht zu smart. Vor allen Dingen ist die Show aber auch: Albern. Die Klippen des Trashs werden oft gerade mal so umschifft, und da und dort gerne geschrammt.
Besonders bemerkenswert sind hinsichtlich clever-witziger Meta-Selbstbespiegelung einige Szenen im Theater, an dem natürlich ein Stück über einen brandgefährlichen Wolfsmenschen gegeben wird. Hier arbeitet Dr. Frankensteins entstellte, einsame Kreatur, gut versteckt im Keller, als Special-Effects-Guy: Sie bewegt schwere Hebel, zieht an Seilen und sorgt dafür, dass auf der Bühne das Kunstblut so richtig toll spritzt.
Nach vier soliden, durch und durch unterhaltsamen Episoden findet "Penny Dreadful" in der grandiosen fünften Folge zu sich selbst, kommt in Fahrt und lässt für Season 2 auf Größeres hoffen. Die Episode "Closer Than Sisters" ist eine Art Bottle Episode in einer sehr großen Bottle. Hier verlässt "Penny Dreadful" das Wimmelbild London als Schauplatz und blickt einzig auf die Eva-Green-Figur Vanessa Ives und ihre Jugend auf prächtigem Landgut zurück.
Kindheits-Freundschaften, erste Lieben, Eifersucht, Spaziergänge im Park, verstohlene Küsse im aus Hecken gezüchteten Labyrinth. Jane Austen mit Teufelsaustreibung. Irgendwann wird eine besessene und als unheilbar abgeschriebene Vanessa Ives in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert - die wiederum sieht aus, als wäre sie nach dem Vorbild eines in den 90ern von Floria Sigismondi gestalteten Marilyn-Manson-Videos entworfen. "Penny Dreadful" ist ein Friedhof der Zeichen. Manchmal kommen sie wieder.