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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 7. 2014 - 18:09

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 78.

SF2 - Argentinien überwindet den holländischen Spielverweigerungs-Schmäh mit Co-Verweigerung #NEDvsARG

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

SF1: Brasilien - Deutschland

VF1: Deutschland - Frankreich
VF2: Brasilien - Kolumbien
VF3: Argentinien - Belgien
VF4: Niederlande - Costa Rica

AF1: Brasilien - Chile
AF2: Kolumbien - Uruguay
AF3: Niederlande - Mexiko
AF4: Costa Rica - Griechenland
AF5: Frankreich - Nigeria
AF6: Deutschland - Algerien
AF7: Argentinien - Schweiz
AF8: Belgien - USA

Die Niederlande in der Gruppe: gegen Spanien, den Australien und schließlich Chile

Argentinien in der Gruppe: gegen Bosnien, den Iran und schließlich Nigeria

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Team Niederlande: vom eigenen Zynismus aufgefressen

Das hab' ich besonders gern: jetzt, ganz plötzlich, wissen all jene, die noch gestern das holländische Spiel als verblüffend, neu und toll abgefeiert haben, dass es doch so kommen musste, mit einem derart antriebslosen Zugang. Jetzt weiß der über die letzten Wochen ins unangenehm freakige ausgezuckte ARD-Experte, der noch gestern voll des Lobes für das Genie Van Gaal war, dass der große Trainer übertaktiert hat.

Danke, ihr rein ergebnisorientiert Interpretierenden, nicht genügend, setzen. Denn so geht's echt nicht. All jene, die sich bislang so anpasslerisch geriert haben, auch den größten Dreck des holländischen Spiels zu etwas glänzendem hochgemünzt haben, die sollen gefälligst auch weiter dazu stehen. Zu dieser ihrer Falschaussage und auch zu diesem jetzt auf den Misthaufen der Fußball-Geschichte geworfenen zynischen Strategie, die Van Gaal sich für dieses Turnier ausgedacht hat.

Tatsächlich hat die destruktive, reaktive, passive und auf ihre Art auch passiv-aggressive Spielweise in fast keinem K.O.-Spiel wirklich funktioniert. Die Oranje war sowohl gegen Costa Rica als auch gegen Mexiko an der Kippe, schon draußen und hat sich nur mit Details dringehalten (einer Robben-Schwalbe und einem unfair-play-Tormann). Tatsächlich war schon der Sieg gegen Spanien sehr glücklich und eher dem Selbstfaller der Ex-Weltmeister als der eigenen Leistung geschuldet. Tatsächlich war die Leistung gegen Außenseiter Australien beschämend schlecht. Und nur im Spiel, in dem es um nichts ging, blühte die Elftal kurz auf.

Argentinien verstand es endlich, die drei Offensiven aus dem Spiel zu nehmen und damit stand das holländische Werkl still. Es hatte weniger damit zu tun, dass die taktischen Zwänge des 7-3-Grundsystems eine andere Möglichkeit als den langen Konterball schwer möglich macht - es war vielmehr so, dass die holländischen Spieler im Laufe dieses Turniers verlernt hatten, wie man konstruktiv-offensiv spielt. Sie wurden von ihrem eigenen Zynismus aufgefressen. Das ist folgerichtig und gut so.

Im Gegensatz zum Scheitern bei der WM vor vier Jahren, als man ein gutes Turnier und ein grundhässliches, zynisches Finale spielte, machte sich die Niederlande diesmal daran, gleich ein grundhässliches zynisches Turnier zu spielen. Das wird im kleinen Finale enden; und zwar endgültig enden.

Elferschießen...

Bei den Torleuten heißt es Romero vs. Cillessen.
Die holländischen Schützen gegen Costa Rica waren Van Persie, Robben, Sneijder und Kuyt; der fünfte musste nicht mehr.

Holland beginnt mit 2 Vlaar und er schießt Romero, der nur auf die Seite kippt, einfach an. Schlecht geschossen.

10 Messi verwertet sicher halbhoch links, Cillessen verfliegt sich - 1:0

11 Robben flach, rechts, sicher, Romero ist im anderen Eck 1:1

2 Garay schießt hoch ins rechte Eck, Goalie ohne Chance: 2:1

11 Sneijder schupft den Ball hoch links ins Eck, Romero fliegt und saved!

20 El Kun flach und links sicher, obwohl Cillessen dort war 3:1

15 Kuyt, der beste heute, täuscht und schiebt flach rechts ein 3:2

Wenn Maxi Rodriguez trifft, ist das der Sieg. Der Ball kommt direkt auf Cillessen, war aber so brutal, dass er quasi mit dem Ball ins Tor fliegt. 4:2 und das ist der Finaleinzug.

Overtime...

Holland sucht jetzt die Entscheidung, weiß aber nimmer wie das geht. Huntelaar wird kommen, wohl für den Captain. Van Gaal verzichtet auf seinen Goalie-Trick beim Elferschießen - 19 Hunterlaar kommt für 9 Van Persie, Kapitän ist jetzt Robben, das gibt ihm offensichtlich neuen Mut.

Argentinien bleibt, auch in dieser Drucksituation, erstaunlich ruhig, entweder man ist sich sehr sicher, dass Messi noch was einfällt, oder man ist sehr schlecht beraten. Die argentinischen Angreifer bleiben nämlich allzu oft in der vierzehnbeinigen niederländischen Abwehr hängen. Helfen würde nur ein aufreißender Pass oder ein Tempogegenstoß in Gleichzahl.

Letzter Wechsel im Spiel: 11 Maxi Rodriguez ersetzt 22 Lavezzi (101.), er wird wohl auch auf der Seite spielen. Huntelaar zieht gelb für ein taktisches Foul am durchbrechenden Mascherano, dann ist Halbzeit 1 der Verlängerung auch schon vorbei.

In der kleinen Pause schwört Kuyt sein Team noch einmal ein, auf der anderen Seite steht Messi nur teilnahmslos herum; Mascherano, der echte Kapitän, hält eine kurze Rede.

Die letzten 15 Minuten...

Zabaleta zerschellt an Kuyts Schulter und liegt lang am Feld herum, muss mit einer dicken Backe und blutigem Mund runter.
Wann kommt Messi? Kommt Messi noch einmal?
Mittlerweile dominiert recht planloses Risiko-Gekicke, man schlägt Zufallsbälle, aus denen was entstehen soll. Bei Holland ist das mittlerweile Usus, dass sich auch Argentinien jetzt auf sowas verlässt, ist bemerkenswert.

Palacio hat eine Chance, dann auch noch der alte Maxi Rodriguez, Argentinien lukriert ein paar Halb-Szenen. Die Schlussszenen gehören dann wieder den Holländern.

Zu wenig auch in der Schlussphase (70. - 94. Min)

Man kann ja gar nicht sagen, dass die Oranje heute enttäuschen - das tun sie ja schon das gesamte Turnier über. Nur: heute klappt auch das bisherige durchtriebene Nicht-Spiel der Holländer nicht. Van Persie ist nicht in Vollbesitz seiner Kräfte, Sneijder wurde zurecht gestutzt und Robben wird zugestellt. Nur Kuyt ackert, aber der darf sich nicht weit vor wagen. Wenn aber der Erfolg durch diese zynischen Konterschläge ausbleibt, was bleibt dann übrig an Substanz bei dieser Elf? Nichts.

Higuain spritzt einen Messi-Ball in Minute 75 ins Außennetz - da war dieser Konterblitz, der es ausmachen soll.

81.: 18 Palacio kommt für 8 Perez, wird eine Seite beackern. Dann kommt auch noch 20 Aguero, nicht wie erwartet für Lavezzi, sondern für 9 Higuain, den zentralen Stürmer. Sabella bleibt im System: Palacio spielt rechts, Lavezzi jetzt links.

Die letzten paar Minuten bäumen sich beide Teams noch einmal auf, suchen doch noch einmal die Entscheidung vor der Verlängerung. Allein der letzte Nachdruck fehlt. Beide verlassen sich zu sehr auf die bisher gezeigte Fähigkeit sich in allerletzter Minute zu retten.

In der letzten Minute kommt Robben nach dem Sneijder-Pass einmal durch - Mascherano blockt im letzten Moment. Dann setzen sich die Niederländer die gesamte Überspielzeit im gegnerischen Strafraum fest.

Als ob Argentinien Zeit von der Uhr nehmen wollte... (46. - 70. Min)

7 Janmaat, eigentlich rechter Verteidiger ersetzt 4 Martins Indi, den linken Innenverteidiger, der schon angeknockt war. Das bedeutet: Janmaat spielt rechts, Kuyt ist wieder linker Außenverteidger und Blind rückt auf die Martins Indi-Position. Daley Blind kann alles: innen, außen, Mittelfeld...

Argentinien schaltet in der Anfangsphase total zurück, überlässt Holland alles komplett. Die Elftal ist damit auf interessante Weise überfordert. Robben ist wieder - wie immer - ganz arm und muss oft hinfallen und sich viel beschweren; vor allem, weil er von meist zwei oder drei Gegenspielern gut zugestellt wird.

In Minute 55 kommt der Hintersinn der argentinischen Variante erstmals zum Tragen: ein schneller Tempogegenstoß ins holländische Abwehrzentrum. In Minute 58 kommt Higuain zu einer guten Szene. Danach übernimmt die Albiceleste wieder das Spiel.

In Minute 62 ersetzt 16 Clasie für den natürlich noch nicht fitten 6 De Jong, den er eins zu eins ersetzt. Zuvor hat Janmaat Biglia, der dann lange behandelt werden muss, niedergerammt. Janmaat verletzt sich danach selber am Kopf.

Wenn Kuyt nichts unternimmt, unternimmt niemand was im holländischen Angriffsspiel; es ist wieder einmal - wie so oft in diesem Turnier, wie in etwa 80, 85 Prozent der Zeit - inexistent. Der Regen macht sich erstmals bemerkbar.

Argentinien lässt sich ab Minute 65 wieder fallen, bewusst reindrängen, um dem Gegner das mit dem Spielmachen zuzuschanzen und selber kontern zu können. Gelingt nicht sehr gut und oft.

Fazit zum Seitenwechsel

Argentinien ist die erste Mannschaft, die Holland 45 Minuten lang nicht zu einer einzigen Konterchance kommen ließ. Kein Robben-Run, kein Van Persie-Einsatz. Ich denke, das hat weniger was mit einer schlechteren Leistung der Orangen zu tun als mit einer sehr guten Abwehr-Organisation der argentinischen Defensive.

Argentinien - und das ist heute erstaunlicherweise mehr als Messi, alle anderen Offensivspieler zeigen heute echten Einsatz - kontrolliert und kombiniert, hat allerdings noch nicht den richtigen Zug zum Torerfolg gezeigt. Das wiederum ist ein Phänomen aus bereits einigen argentinischen Spielen - gegen den Iran oder die Schweiz etwa ging man ähnlich vor: die Sicherheit gewinnen, jederzeit ein Tor machen zu können; und es dann halt irgendwann auch machen.

Riskant, vor allem weil Team Holland sich ja in Schlussphasen gern in die Telefonzelle zurückzieht und dort mit dem Superman-Trikot rauskommt um dann ein paar Minuten Rambazamba zu machen.

Halbzeit 1: Argentinien sucht und findet Ruhe und Kontrolle

Argentinien hat sein 4-3-3 im letzten Spiel ja zugunsten eines 4-2-4 aufgegeben: das hat damit zu tun, dass Lavezzi eher ein Außenspieler als eine echte Spitze wie Aguero ist und dass Di Maria auch gern über eine Seite kommt. Perez tut das auch...

Und so sieht es auch heute wieder aus: Perez nimmt die rechte, Lavezzi die linke Flanke, Messi bewegt sich eher im halbrechten Angriffsraum, Higuain daneben halblinks - nur so als prinzipieller Anhaltspunkt. Biglia spielt ein wenig vor Mascherano, hat die Lizenz sich vorne einzuschalten. Dann zerfällt das Team in ein 4-1-1-4.

Argentinien macht das Spiel, Holland reagiert. Und das wieder im strikten 5-2-1-2, mit einer Fünferkette und zwei Sechsern, die sich kaum nach vorne bewegen, mit Sneijder als Verteiler davor und den zwei schnellen Konterspitzen. Ist auch als 7-3 lesbar: sieben verteidigen und spielen die Bälle bei Gewinn zu den dreien, die angreifen dürfen. Manchmal mischt sich Rechtsverteidiger Kuyt noch ein - der ist ja gelernter Stürmer...

Nach ein paar Minuten sieht sich die Elftal gezwungen ein wenig mitzuspielen - Argentinien ist durchaus clever, wenn es darum geht, dem Gegner was aufzuzwingen. Wijnaldum traut sich, flankiert von De Jong, mehr Offensiv-Pressing zu als bisher.

Nach 15 Minuten schindet Perez einen Freistoß in perfekter Messi-Position - Cillessen hält den guten Schuss.

Kombinatorisch sieht das sehr gut aus bei der Albiceleste, Messi und vor allem Perez harmonieren gut, das hat bislang fast schon Di Maria-Qualität; exzellentes Back-Up. Lavezzi und Perez rochieren ungemein viel, wechseln ununterbrochen die Positionen.

Durch diese Führungshilfe kriegt das Spiel eine gute Bewertung und auch die Holländer sind ein wenig mehr als sonst gezwungen auch mitzuarbeiten. Und sehen dabei nicht sehr gut aus - sie habens (zumindest in dieser Formation) bereits völlig verlernt; können gar nicht mehr sinnvoll nach vorne kombinieren.

Mascherano ist nach 27 Minuten und einen Kopfzusammenstoß kurz groggy. Argentinien nimmt (selbstverständlich) die von den Holländern ins Spiel getragene Härte an. Sneijder wird zum ersten Opfer. Erste gelbe Karte für Martins Indi in der Schlussminute (überfällig).

Argentinien setzt gegen Ende der Halbzeit nehmend auf Ballbesitz und Dominanz Barca-Style. Das ist durchaus gefährlich, weil Punktewertungen ja nicht zählen.

Die Aufstellungen

Die Niederlande spielt in oranje und weiß mit
1 Cillessen; 15 Kuyt, 3 De Vrij, 2 Vlaar, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 20 Wijnaldum, 6 Nigel De Jong; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K)

Das ist wieder das 5-3-2 aus dem Achtelfinale, mit zwei flinken Außenverteidigern, Sneijder vor der Doppelsechs und hinter den beiden Spitzen. Nigel de Jong ist, sehr überraschend, wieder fit und kann also Messi fest treten.

Argentinien in blau-weiß-gestreift und schwarz mit
1 Romero; 4 Zabaleta, 15 Demichelis, 2 Garay, 16 Rojo; 6 Biglia, 14 Mascherano; 8 Enzo Perez, 9 Higuain, 10 Messi (K), 22 Lavezzi

Taktgeber 7 Di Maria ist verletzt, Stürmer 20 Agüero noch nicht vollfit. Rojo kommt nach der Sperre zurück, Demichelis ersetzt weiterhin 13 Fernandez, Biglia spielt wieder statt 5 Gago.

Der argentinische Trauerflor würdigt Alfredo di Stefano, den größten Spieler der Welt seiner Zeit, der 50er, den Leader von Real Madrid, den Erfinder des weißen Balletts, der dort der Chef von Kopa und Puskás war. Di Stefano ist dieser Tage gestorben.

Das Spiel findet in der Arena Corinthians in São Paulo statt, leiten wird es der Türke Cüneyt Çakır. Es ist kühl, 15 Grad.

Was vor dem Match zu sagen ist: zwei stecken im Strudel der Vergangenheit fest; einer wird sich befreien können

Das 1:7 zwischen Brasilien und Deutschland ist nicht das einzige historische Ergebnis bei dieser WM, nicht die einzige Partie von (fußballkulturell womöglich) immenser Tragweite.

Davon gab es hier schon eines, ganz zu Beginn: das 5:1 der Holländer gegen Spanien nämlich, das den Siegeszug der furia roja beendete. Und womöglich eine andere Ära einläutete. Eine, gegen die ich mich mit jeder Faser sträube - aber was nützt das.

Die Mannschaft der Niederlande, die Elftal, das Oranje-Team, die Auswahl des KNVB, hat sich von ihrer Version des jogo bonito, dem von Rinus Michels, Johan Cruyff und anderen erfundenen totaalvoetbal abgewandt und einem Zweck-Fußball zugewandt, in dem nicht die eigenen Fähigkeiten im Zentrum stehen, sondern deren bewusste Zurückhaltung.

Louis Van Gaal, der Trainer-General, hat ein Defensiv-Konzept mit sieben defensiv orientierten Feldspielern konstruiert, das sich so lange destruktiv und reaktiv verhält und nichts zum Spiel beiträgt, bis ein schnelles Kontertor die Führung hergestellt hat oder man in Rückstand gerät. Für den ersten Fall wird die Defensive noch weiter festgezurrt und nur noch auf lange Bälle in die Konterräume gesetzt, für den zweiten Fall öffnet Van Gaal sämtliche Schleusen und stellt auf eine Brechstangen-Variante des klassisch holländischen 4-3-3 um und sucht mit allen Mitteln in sehr kurzer Zeit den Erfolg, den er sich und seinem Team (das über diese Mittel ja durchaus verfügt) nicht von Anbeginn an zutraut.

Offizieller Grund für diese radikale und recht kurzfristige Umstellung (knapp vor der WM) ist die momentane Abwesenheit von guten Außenverteidigern, spielsicheren Innenverteidigern und modernen Sechsern im holländischen Fußball - also einer völlig inkompetenten Defensive. Hintergrund ist das jahrzehntelange Immer-Wieder-Scheitern der Elftal mit dem Schönspieler-Ansatz. Nach den verlorenen WM-Finals 74 und 78 und dem einzigen EM-Titel 1988 gab es vor allem seitdem einen Durchhänger ohne Aussicht auf Verbesserung.

Das verlorene WM-Finale von 2010 (und das kapitale Scheitern 2012) brachte das Fass dann zum Überlaufen.

Van Gaal-Vorgänger Van Maarwijk hatte es mit einer Mischung aus robuster (fast schon brutaler) Defensive und künstlerischer Offensive probiert - der General forcierte nun eine radikale Fortsetzung dessen, was die Oranje an (altmodisch anmutender, an verblichene italienische Teams erinnernde) Defensiv-Arbeit anzubieten hatten.

Das aktuelle 5-2-3 mit einer echten Fünferkette, zwei echt altmodischen Ausputzer-Sechsern und drei Offensivkräften mit unterschiedlichen Aufgaben (mal war Sneijder hinter Van Persie und Robben zu finden, mal gab es einen echten Dreierangriff mit Robben und Depay an den Flügeln) wirkt wie eine wiederentdeckte Urzeitechse, übt aber den entsprechenden Schrecken aus.

Spanien hätte (falls das mögliche, schnelle 2:0 gelungen wäre) das alles im Ansatz killen können - ergab sich aber wegen der eigenen, schon knapp unter der Oberfläche brodelnden Probleme dem reaktiven Konterspiel des Gegners. Chile fand (auch weil es nicht unbedingt musste) kein Mittel, das vorgewarnte und taktisch klug agierende Mexiko war knapp dran.

Jetzt muss sich mit Argentinien der nächste Gegner auf einen seit Jahrzehnten international nicht mehr existenten Destruktivismus, der selbst den in den letzten Jahren von Chelsea oder Inter gespielten übertrifft, einstellen.

Argentinien seinerseits hat ganz eigene, komplett hausgemachte Probleme, die aber ebenso in der WM-Turnier-Geschichte verwurzelt sind. Seit dem Absturz von Diego Maradona, der bei der WM 1990 ja als Kokser aufflog und dopingtechnisch gesperrt wurde - und das Team mit in den Abgrund riss, hat sich die Albiceleste, haben sich die Himmelblauen nicht mehr erholt; wurden jedes Mal spätestens im Viertelfinale heimgeschickt.

Das hat auch mit einer überhysterisierten Suche nach dem nächsten Maradona zu tun, das auf jeden auch nur halbbegabten Spielmacher der Mannschaft seitdem hereingebrochen ist. Ein Problem ist auch die permanente Anwesenheit der alten Koksnase selber, eine gesellschaftliche Omnipräsenz, die von der nicht umzubringenden Liebe seiner Landsleute getragen ist. Dabei vereint Maradona die Nervigkeit von Cruyff mit der Besserwisserei von Pele, dem brutalen Ausnutzen der öffentlichen Nachsicht nach jeglichem inhaltlichen Ausrutscher, wie das auch Beckenbauer zugestanden wird, mit der intellektuellen Brillanz von Hans Krankl. Alles zusammen wird von einem von seiner Sucht gespeisten Größenwahn getoppt - ein veritabler Alptraum, der nur zur Traumatisierung eines möglichen Nachfolger führen kann. Ehe Maradona nicht das Zeitliche segnet, wird keine Besserung eintreten.

Mit Lionel Messi geht es nur deswegen halbwegs gut, weil der seit langer Zeit weit weg in Barcelona lebt und die Blödsinnigkeiten nur gefiltert mitbekommt. Messi hat selber genügend und ganz andere Probleme: er ist ein one-club-player, der nie den schützenden Horst seines Vereins verlassen hat. Jeder Ausflug ins Nationalteam ist einer ins Ungewisse; für einen kommunikationsuntauglichen Spieler eine schlimme Sache.

Seit Jahren legen sich die argentinischen Trainer trotzdem immer wieder auf ihn als zentrale Figur fest. Alejandro Sabella hat ihn sogar zum Kapitän gemacht, reine Symbolpolitik, dafür ist er komplett ungeeignet. In regelmäßigen Abständen scheißt Messi aufs Nationalteam und liefert dort miese Leistungen ab, weswegen der Rest der Mannschaft auf ihn scheißt und die Arbeit verweigert, was dann wiederum wieder Messi zum Herumstehen im Mittelkreis animiert.

Dieses Spielchen in der Gruppenphase öffentlich mitansehen zu müssen, war der Horror. Mittlerweile hat sich Messi durchgesetzt, auch weil er in den ersten drei Spielen vorzeigen konnte, dass zwei oder drei Aktionen von ihm reichen, die Entscheidung herbeizuführen.
In der K.O.-Phase ging es schon besser, gegen die Schweiz und dann gegen Belgien stand zunehmend eine Mannschaft auf dem Platz - vor allem der Argentinier mit der aktuell besten Form, Champions-League-Sieger Angel di Maria riss das Ruder immer wieder an sich; und Messi ein wenig mit.

Nun fehlt Di Maria heute verletzt. Di Maria ist neben Javier Mascherano derjenige im Team, der sich um Messi kümmert, die Verbindung mit ihm hält. Ohne ihn wird es, vor allem was das Kreative betrifft, an Lionel Messi allein, ganz allein liegen, ob er sich zu den wenigen entscheidenden Aktionen aufraffen kann und ob er und die Mannschaft für den Rest der Zeit strategisch so gut harmonieren, dass sie den zynischen Zweckfußball des Gegners abfangen und energietechnisch umleiten können. Möglich ist es, schwer wird es werden.

Die bisherigen Formationen

Die Niederlande bestritten die beiden ersten Spiele mit 1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 6 Nigel De Jong, 8 De Guzman; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K), im seitdem maßgeblichen 5-2-3.

Für Spiel 3 war Martins Indi verletzt, Van Persie gesperrt, deshalb brachte Louis Van Gaal erstmals Stürmer Kuyt in die Kette ein: 1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 5 Daley Blind, 15 Kuyt; 20 Wijnaldum, 6 Nigel de Jong; 10 Sneijder; 11 Robben (K), 17 Lens.

Im Achtelfinale begannen 1 Cillessen; 12 Verhaeg, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 5 Daley Blind, 15 Kuyt; 20 Wijnaldum, 6 Nigel de Jong; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K).
Am Schluss wurde daraus ein 4-3-3 mit 1 Cillessen; 15 Kuyt, 3 De Vrij, 2 Vlaar, 4 Martins Indi; 20 Wijnaldum, 5 Daley Blind, 10 Sneijder; 11 Robben (K), 19 Huntelaar, 21 Depay.

Im Viertelfinale stellte Van Gaal die Abwehr wieder um - es hat jetzt endlich einen offensiv denkenden Mann an den beiden Außenpositionen. Sneijder muss ins defensive Mittelfeld, dafür gibt's vorne einen echten Dreier-Angriff.
1 Cillessen; 15 Kuyt, 3 De Vrij, 2 Vlaar, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 20 Wijnaldum, 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K), 21 Memphis Depay

In der Verlängerung stellt Van Gaal auf ein wahnwitziges 4-2-4 um: Cillesen; Kyut, De Vrij, Vlaar, Blind; Wijnaldum, Sneijder; Robben, Van Persie, Huntelaar, Lens.

Argentinien begann das Turnier auch mit einer Fünfer-Abwehr und einem 5-4-1 mit 1 Romero; 4 Zabaleta, 3 Campagnero, 17 Federico Fernandez, 2 Garay, 16 Rojo; 14 Mascherano; 11 Maxi Rodriguez, 10 Messi (K), 7 Di Maria; 20 Agüero.

Sabella gab dieses fürs argentinische Spiel völlig ungeeignete System aber in Halbzeit 2 auf und stellte auf das erwartete, geplante und geprobte 4-3-3 und das erwartete Stammpersonal um: 1 Romero; 4 Zabaleta, 17 Federico Fernandez, 2 Garay, 16 Rojo; 5 Gago, 14 Mascherano, 7 Di Maria; 9 Higuain, 10 Messi (K), 20 Agüero.

In Spiel 3 verletzte sich Agüero und wurde im Achtelfinale zuerst durch 22 Lavezzi, dann durch 18 Palacio ersetzt.

Im Viertelfinale kam zudem Demichelis für Fernandez und Biglia statt Gago: 1 Romero; 4 Zabaleta, 15 Demichelis, 2 Garay, 23 Basante; 6 Biglia, 14 Mascherano, 7 Di Maria; 9 Higuain, 10 Messi (K), 22 Lavezzi.