Erstellt am: 8. 7. 2014 - 10:11 Uhr
Kotz dich frei in schönen Brocken
- www.lovesteaks.de
- Von Liebesfilmen lernt man doch was - Maria Motter hat "Love Steaks" am Crossing-Europe-Festival gesheen
Man braucht Ordnung im Leben. Selbst wenn man als Jungmasseur im Luxushotel an der Ostsee nur eine Matratze zwischen Handtuchregalen und Mistkübeln zur Verfügung gestellt bekommt. Und gerade weil man während der Ausbildung nicht darauf vorbereitet wurde, dass einem die alten Damen während der hawaianischen Massage wegschlafen, als seien sie sanft entschlummert und einem die jung Gebliebenen hippiesk in den Schritt greifen und mit den Zehen den Nacken streicheln.
Eigene Entspannung findet Clemens (Franz Rogowksi) nur beim Putzen. Bei mattem Licht und ungestört von Gästen wischt er den gefliesten Boden des Spa-Bereichs. Doch fünf Mal muss es Clemens die Beine wegziehen und er am Hintern landen, damit der Film seine Botschaft auch wirklich anbringt: selbst beim Putzen darf nichts in Ordnung sein.

HFF Potsdam Babelsberg und Mamoko Entertainment
Doch Clemens ist ein Aufsteher. Lässt sich von der Jungköchin Lara (Lana Cooper) tiefgefrorenes Fleisch zwischen die Beine klemmen, damit sein Penis schrumpft, ihren Finger lutschen (weil sie wissen möchte, wie es ist, einen geblasen zu bekommen) und sich von ihr zwingen, dem altklugen Rezeptionisten seine Liebe zu gestehen („Sag ihm, er ist deine Sexphantasie!“). Trotzdem wird Clemens vor versammelter Führungsriege heldenhaft für Lara einstehen (und selbst hier in seiner Annahme ziemlich daneben liegen). Er wird ihre Kotze wegwischen und sprichwörtlich und buchstäblich Blut lecken.

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Clemens dreht aus der Luft Energiekugeln und nimmt alles ernst, was man ihm sagt. Er ist der Typ Mensch, der aus seiner Mitte heraus leicht naiv agiert. Lara ist das Gegenteil. Sie arbeitet in der Großküche, in der es darum geht, gefrorene Lammhaxen, Gemüseberge und Saucekübel auf die Minute genau in ansehnlicher Form auf Teller zu orchestrieren. Der Schmäh ist derb, Lara großgoschert und ihren Flachmann hat sie immer zur Hand. Aus diesen Gegensätzen setzt sich „Love Steaks“ zusammen.

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Was „Love Steaks“ auf den ersten Blick auszeichnet, seine Ungehobeltheit, seine Freude am Spiel, seinen perfekten Amateurcast (bis auf Clemens und Lara sind alle DarstellerInnen tatsächlich MitarbeiterInnen im laufenden Hotelbetrieb), ist auf den zweiten Blick irritierend. Er ist intelligent in seiner Parallelbeobachtung einer ungleichen Liebe und eines hierarchischen Arbeitsumfelds, er ist direkt und authentisch in seiner Sprache und den improvisierten Dialogen. Selbst die Hotelbediensteten entblößen mit allergrößter Freude ihr abstruses Arbeitsethos. Da stimmt doch was nicht. Da ist doch irgend etwas zu glatt. Zu well done. Der Film möchte um jeden Preis gefallen und perfekt anders sein. Das ist mein Dilemma mit „Love Steaks“.

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Nach der Österreichpremiere bei Crossing Europe in Linz gab es sämtliche Reaktionen zwischen großer Euphorie und tiefer Ablehnung. Und dieser Film hat auch in Deutschland eine Diskussion über den Zustand des heimischen Filmschaffens losgetreten, seitdem er mit Preisen überhäuft wird. Er hat etwa am Filmfest von München in allen vier Kategorien den Förderpreis „Neues Deutsches Kino“ gewonnen, darunter den für das beste Drehbuch, obwohl der Film ohne Drehbuch entstanden ist. Wegbereitend für die öffentliche Diskussion war sicherlich bereits der Überraschungserfolg des No-Budget-Underdog-Streifens „Dicke Mädchen“ von Axel Ranisch.
FOGMA, Das Konzept
Regisseur Jakob Lass und sein Team haben die Geschichte von "Love Steaks" ausgehend von 18 sogenannten Skelettszenen in gleichberechtigter Zusammenarbeit und einem klar definierten Zeitkorsett entwickelt. In Drehblöcken zu vier Stunden musste jeweils eine Szene entstehen. Entstand die Szene nicht in dieser Zeit, wurde vom nächsten Block Zeit abgezapft. Im Kartenspielerjargon formuliert: was liegt, das pickt.
Klopft man mit einem derartigen Konzept als Erstlingsregisseur bei einer deutschen Förderstelle an, wird man wahrscheinlich nicht einmal ein mildes Lächeln ernten. Mut zum Risiko und Spontaneität sind generell nicht das, was öffentliche Förderstellen auszeichnet (die Diskussion, ob es sie auszeichnen müsste, wird vom Erfolg eines Filmes wie „Love Steaks“ angeheizt). Daher hat Jakob Lass von vornherein und bewusst auf Förderungen verzichtet. Er und seine ProduzentInnen Ines Schiller und Golo Schultz nennen ihr Konzept FOGMA - vielleicht auch deshalb, weil die junge Filmgeschichte gezeigt hat, dass ein Manifest, das sich gegen das Establishment richtet, Erfolg zeitigt.
Doch anders als den Dänen rund um Lars von Trier geht es den Fogmatikern nicht um formal ästhetische Kriterien. Daher schaut „Love Steaks“ auch so aus, wie es ausschaut und ist filmisch, etwa in seiner Kameraführung, in seinem Schnitt oder der Tongestaltung, alles andere als ein Werk, das man als avantgardistisch bezeichnen könnte. Bei FOGMA geht es um den Workflow. Die Vision des Films muss gemeinsam gefunden werden („keine_r ist größer als die Gruppe“), das Team muss während des Drehs gemeinsam leben, Besuche sind nicht erlaubt, ein Einschwörungsworkshop genauso wie gemeinsamer Sport sind Pflicht. Dennoch: trotz der Glättung von Hierarchien wird ein laufender Take ausschließlich von der Regie beendet.
Mit Verlaub: das klingt ein bisschen so, als würde ein Marketingmensch den Relaunch der Mühlkommune planen. Ich bin ehrlich gespannt, was da noch alles rauskommt.