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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 7. 2014 - 15:27

Ein elektronischer Jesus eint uns alle

Am Ende duftete es dann doch noch recht lieblich: Steve Aoki als sein eigenes Logo am Urban Art Forms Festival. Und auch sonst ein paar neue Erkenntnisse.

Urban Art Forms

Alles rund ums Festival auf fm4.orf.at/urbanartforms2014

We Live Like We Never Die. Let’s Get Freaky. Love. Peace. Unity. Es schwirrten diverse Messages durch den letzten Tag des Urban Art Form Festivals. Oder auch: "Drah' auf die Hittn!"- wie von einem ernsthaft erbosten jungen Mann im Publikum zu hören war, als DJ Steve Aoki sich während seines Sets erlaubte, einmal zum Zwecke der Zeremonie die Musik 10 Sekunden komplett herunterzufahren. Der Auftritt von Steve Aoki sollte ein Auftritt mit dem funkelndsten Symbolcharakter werden.

Zuvor waren am Samstag auf der Hauptbühne beispielsweise der immer gute Left Boy mit traditionell spaßiger Show inklusive Formationstanz, komischen Requisiten und riesigen aufblasbaren Turnschuhen als Bühnendekoration sowie das österreichische Duo Camo & Krooked zu sehen gewesen. Letztere hatten bei der Präsentation ihres Albums "Zeitgeist" zunächst mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, konnten diese Probleme aber mit gewitzten Mikrofon-Durchsagen sympathisch überbrücken.

Wie schon am Vortag war die kleine Stage der Red Bulll Music Academy wieder sehr gut besetzt. Der New Yorker Nick Hook, Makossa und Megablast samt Vortänzer und Hype-Man Sugar B und die Stereo MCs konnten allesamt mit ihren Sets überzeugen, einer der absoluten Höhepunkte des gesamten Festivals war aber fraglos der Live-Auftritt der schwedischen Sängerin Elliphant. Eine Art M.I.A.-light-Variante, eine bestens gelaunte Verquickung von Instant Dancehall, HipHop, Dub und Electro-Pop. Eine Explosion der Euphorie, die das gute, wilde Leben und komplett unpeinliche Hippie-Harmonie, Friede, Freude und Gemeinschaft feierte. One Big Fest of Love.

Dass die Zukunft neon sein wird, durfte man danach bei der Ankunft of your personal Jesus Steve Aoki erfahren. "Neon Future" nennt sich das im August erscheinende Album des kalifornischen Renaissance-Manns Steve Aoki. Bei Aokis Auftritt auf der Main Stage waren diese Worte mehrmals aus dem Off zu hören, sie waren im Bühnenhintergrund zu lesen, der Produzent, DJ, Labelbetreiber, Fashion-Mensch und Coolness-Mogul selbst sprach sie ins Mikrofon: Neon Future. Die Welt ist eine Reizüberflutung, die Zukunft ist bunt. Mit Steve Aoki darf man dabei sein.

Er machte Selfies mit dem Publikum, um sie, wie der Priester von seiner imposanten Kanzel herab verkündete, am nächsten Tag auf Instagram zu posten und der Welt auf diesem Wege zu zeigen, wie fucking cool Austria ist. "Give me a 'Hell Yeah'! Give me a 'Fuck, Yeah!'". Die Visuals des Steve Aoki zeigten neben allerlei Geblinke und Geblitzel in Neontönen vor allen Dingen auch: Steve Aoki. Steve Aoki beim Im-Privatjet-Sitzen, Steve Aoki im Helikopter, Steve Aoki beim Auflegen vor heißen Massen, beim Cool-Durch-Die-Metropolen-Der-Welt-Jetsetten. Steve Aoki is living the dream.

In massiven Lettern thronte auf der Bühne das Wort "AOKI". Das sieht fast wie "NOKIA" aus. Steve Aoki hat so ziemlich alles richtig gemacht. Abgesehen vielleicht davon, dass er die beinahe schlechteste Musik der Welt produziert und auflegt. Wobei dieser Aspekt vermutlich integraler Teil des Projekts des Richtigmachens ist. Steve Aoki ist der ultimative Troll. In zehn Jahren wird er sein musikalisches Schaffen als einen KLF-haften Stunt und ausgeklügeltes Kunstprojekt entlarven.

Zehnfach weichgekochten Filterhouse, Synthie-Pop, superkäsigen R'n'B, Größtraumdisco-House, Eurodance, Früh-90er HipHouse und nur die allerklischeehaftesten Cartoon-Vorstellungen von HipHop hat er zur endgültigen Leere verschmolzen. Musik, die nur mehr aus Signifiern besteht und mehr meta ist als die Werbe-Jingle/Shopping-Mall-Soundtrack/Klingelton-Moderne-Welt-Kommentar-Musiken von Oneohtrix Point Never und James Ferraro. Als ein Highlight des Sets darf in diesem Zusammenhang der Song "Boom Boom Boom (Let Me Hear You Say Eyo)" der Outhere Brothers gelten. How far can you go?

Wunderbar an dem ganzen Geballere und Geknalle von Steve Aoki ist jedoch, dass es bei aller Heftigkeit ganz ohne Aggressions-Potenzial auskommt – ganz im Gegensatz zu vieler anderer aktueller Electro-/Dubstep/Whatever-Festival-Mucke. Bei einer Performance von Steve Aoki – bei der sich die Frage, ob hier jemand noch tatsächlich "auflegt" oder bloß eine vorgefertigte Collage abgefeuert wird, freilich gar nicht mehr stellt – ist alles lieb und bunt und Comicwelt. Es gab den symptomatischen Song "Alive" von Empire Of The Sun zu hören. Loving every minute 'cause you make me feel so alive, alive. Es gab ein von Aoki gemeinsam mit der Gruppe Linkin Park produziertes Lied zu hören. Steve Aoki hat mit Linkin Park ein Lied gemacht. Nach der Verdauung dieser Erkenntnis weiß man eigentlich alles.

Steve Aoki hat Menschen, die derlei Musik für gewöhnlich nicht aus 100 Metern Entfernung mit dem elektronischen Greifarm anfassen, das pompöseste Nichts, mit dem Parfum des Coolen und Wilden und Undergroundigen bestäubt, als begehrlich verkauft. Musik, die sich übrigens von der des ewig als Feindbild ausgeschilderten David Guetta sehr oft nur um zwei Milimeter unterscheidet. Steve Aoki warf, wie bei seinen Auftritten üblich, Torten ins Publikum. Das muss man sich vielleicht auch einmal kurz überlegen: Steve Aoki wirft Torten in sein Publikum. Steve Aoki ist sein eigenes Logo. Es war eine große Party, angesichts derer jeglicher Zynismus versagen musste. Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.

P.S.: Es gab auch einen Auftritt der englischen Dubstep-Drum'n'Bass-Pop-Band Nero. Das war aber nicht so wichtig.