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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 7. 2014 - 17:03

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 74.

VF3 - die Nagelprobe. Belgien und Messis Argentinien treffen auf den ersten Gegner von hoher Klasse. #ARGvsBEL

Das ist das WM-Journal '14, die einzige schon seit Jahren in Echtzeit unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Spiele in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

VF1: Deutschland - Frankreich
VF2: Brasilien - Kolumbien

AF1: Brasilien - Chile
AF2: Kolumbien - Uruguay
AF 3: Niederlande - Mexiko
AF 4: Costa Rica - Griechenland
AF 5: Frankreich - Nigeria
AF 6: Deutschland - Algerien
AF 7: Argentinien - Schweiz
AF 8: Belgien - USA

Argentinien in der Gruppe: gegen Bosnien, den Iran und schließlich Nigeria

Belgien in der Gruppe: gegen Algerien & gegen Russland.

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Es ist das drittemal im dritten Viertelfinalspiel, dass der große Favorit gegen den Co- oder Geheimfavoriten schnell in Führung geht und das dann mit Cleverness, Wissen um die Schwächen des Gegners und extremen Körpereinsatz, manchmal auch weil der Gegner nicht mehr an sich glaubte, ins Ziel spielen konnte.
Es kann sich also ebensowenig mehr um reinen Zufall handeln, wie die verblüffende Tatsache, dass sich im Achtelfinale alle Gruppensieger durchsetzen konnten. Diese Resultate folgen einer inneren Logik.

Argentinien bot von Beginn an und vor allem in Halbzeit 1 die beste Turnierleistung, spielte und kombinierte wie in besseren Zeiten, Messi (der diesmal in Halbzeit 2 abtauchte, was aber egal war) inklusive. das was im argentinischen Spiel ausbaufähig war und gegen diesen bislang besten Turnier-Gegner ausgebaut werden musste, wurde auch ausgebaut.
Die immer wieder von den vielen Schein-Experten von einander abgeschaute "Schwäche" der argentinischen Abwehr (incl. Tormann) ist eine Fiktion. Und die Offensive hat sich eingespielt. Angel Di Maria sollte dringend zurückkommen, er ist weiter der Katalysator.

Belgien ist also noch keine Weltklasse-Mannschaft, repräsentiert aber bereits Europa-Klasse und kann, bei entsprechendem Feintuning und Ausbau in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen. Wenn die fünf, sechs Spieler, auf die's ankommt allesamt ihre Leistung abrufen und die Mannschaft nicht die größten Talente (wie bei dieser WM etwa Edin Hazard) nur mitschleppen muss, ist eine EM-Medaille nicht zu vermeiden. Denn Belgien fehlt nur noch zweierlei: Respektabbau den Großen gegenüber; und zwingende Variabilität in der Offensive (und da liessen die Flügel heute komplett aus).

Hälfte 2: Argentinien kontrolliert den Vorsprung problemlos

Es geht ansatzlos so weiter: Argentinien kontrolliert mit Spielbestimmung und Halbchancen und engt Belgien spielerisch massiv ein. Denen fehlen somit die Tempo-Gegenstöße und damit ihr Basis-Spiel. Es liegt nicht daran, dass die roten Teufel es nicht können oder nicht wollen - sie werden vom Gegner aktuell so effektiv dran gehindert, dass sämtliche Bemühungen umsonst bleiben.

Absurderweise hat Higuain in Min 55 die tolle Konterchance (trifft aber nur die Lattenoberkante).

Wilmots reagiert (59.) und bringt 14 Mertens und 9 Lukaku für 11 Mirallas und 17 Origi - das sind zwei reine Positionswechsel: rechter Flügel und Sturmzentrum. Erste Konsequenz: ein Fellaini-Kopfball nach Linkscross Vertonghen (61.) - Belgien erhöht die Konzentration und den Aufwand: nur so kann man Argentinien in Schwierigkeiten bringen.

Alderweireld zieht eine Matchsperre, mit Ankündigung des Schiri, nach dummem Foul (69.). Danach kommt 18 Palacio für 22 Lavezzi, wie gehabt, ein Positionstausch. Mertens ist recht viel links, Hazard zieht dafür in der Mitte. Der muss dann in Minute 75 22 Chadli weichen - es war auch heute wieder zuwenig. Gelbe Karte für Biglia, ein Zeichen dass Belgien drängender wird.

In Minute 81 nimmt Sabella 9 Higuain runter und bringt den defensiven 5 Gago - damit gibt es jetzt ein defensives Dreier-Mittelfeld mit Perez halbrechts, Palacio halblinks und Messi zentral davor.

Belgien bringt weiterhin nichts viel zusammen - an den Flügeln stimmt heute gar nichts - da trickste man sich selber aus (Mirallas zog zu sehr in die Mitte, Hazard bliebt unsichtbar, Mertens zu sehr im Halbfeld) - und im Zentrum stand Argentinien sicher. Da heute auch De Bruyne wieder kaum einen seiner Läufe ansetzen konnte, verpuffte die belgische Offensivgefahr im Nichts.

Die Schlußdrangphase bringt viel Fellaini und Van Buyten ganz vorne, aber nur Gefahr durch einen abgefälschten Schuß. Courtois holt im Gegenteil in der Nachspielzeit Messi einen Solo-Konter vom Fuß.

Schon der dritte Favorit der im Viertelfinale in Führung geht

Wenn Belgien angreift, rücken Fellaini und De Bruyne mit nach vorne in einem 4-1-4-1; defensiv platzieren sie sich halbrechts und halblinks vor Witsel in einem 4-5-1 mit den beiden Flügelspieler (Mirallas rechts, Hazard links) ganz außen.

Argentinien startet stark, mit Di Maria in einer zentralen Rolle. Messi spielt so weit vorne wie bisher noch nicht im Turnier, Lavezzi weicht weit auf die rechte Flanke aus, Higuain steht teilweise auch deutlich links. Defensiv steht Argentinien 4-3-3, offensiv zumeist 4-1-2-3, wenn sich Biglia, der tendenziell halbrechts vor Mascherano agiert, auch miteinschaltet. Di Maria, nominell halblinks zu finden, ist überall und macht was er will, holt hinten Bälle, verteidigt aber auch.

Und wie gestern schon zweimal geht der Favorit früh in Führung: Higuain bekommt einen Zufallsball von Messi (abgefälscht) und leitet den Ball direkt (flach) ins lange Eck weiter - 1:0.

Belgien verliert nicht die Nerven, braucht aber ein wenig um sich wieder zu sammeln. Argentinien sucht jetzt Ballbesitz und Feldüberlegenheit, sammelt Punkte um Belgien zu zu kontrollieren.

Ich muss sagen, dass ich bis etwa zur Mitte der Halbzeit recht fasziniert der Raumaufteilung der Argentinier zuschaue und Belgien dabei durchaus aus den Augen verliere, hat schon was mit ihrer kreativen Organisation und der etwas zu klaren Berechenbarkeit der Belgier zu tun.

Dass die argentinischen Konter, die mit exzellenten Longpasses gespielt werden (rund um Min 25), nicht aufgehen, liegt fast im Alleingang an Kompany, der Messi und Di Maria stoppen kann.
Messi ist heute erstmals so sehr Teil des Teams, dass gar kein Unterschied mehr auffällt. Di Maria hat sich am Oberschenkel verletzt und kommt nicht mehr in die Gänge. 8 Enzo Pérez könnte ihn ersetzen.
Passiert so in Minute 33, eine schlimme Schwächung fürs Gefüge - Di Maria war zuletzt der Kitt der die Mannschaft zusammenhielt.

Perez spielt jetzt fix auf der rechten Seite, Lavezzi dafür links - in einem 4-4-2, mit Messi und Higuain als Spitzen:
1 Romero; 4 Zabaleta, 15 Demichelis, 2 Garay, 23 Basante; 8 Perez, 6 Biglia, 14 Mascherano, 22 Lavezzi; 10 Messi (K), 9 Higuain.

Argentinien spielt sich in dieser Di-Maria-losen Aufstellung sicher in die Halbzeit. Belgien kriegt das Spiel nicht zu fassen. Die erste Torchance für die Roten kommt aus dem Nichts (42.): Mirallas köpft eine Vertonghen-Flanke knappest daneben.

Die Aufstellungen

Argentinien spielt im üblichen lichtblau/weißgestreiften Shirt mit
1 Romero; 4 Zabaleta, 15 Demichelis, 2 Garay, 23 Basante; 6 Biglia, 14 Mascherano, 7 Di Maria; 9 Higuain, 10 Messi (K), 22 Lavezzi

Das ist mehr Umstellung von Sabadell als erwartet, und auch nötig: Basante ersetzt den gesperrten 16 Rojo, klar; Lavezzi wieder den verletzten 20 Agüero. Und Biglia spielt statt 5 Gago im Mittelfeld, nachvollziehbar - und dann ersetzt Demichelis noch 17 Federico Fernandez. Hä? Demichelis? Damit Daniel Van Buyten jemanden in seiner Altersklasse als Ansprechpartner hat?
Garay und Di Maria sind belastet.

Belgien spielt in rot mit
1 Courtois; 2 Alderweireld, 15 Van Buyten, 4 Kompany (K), 5 Vertonghen; 8 Fellaini, 6 Witsel, 7 De Bruyne; 11 Mirallas, 17 Origi, 10 Edin Hazard

Wieder mit Vertonghen statt 3 Vermaelen; Mirallas statt 14 Mertens rechts und wieder Origi statt 9 Lukaku im Zentrum. Alles was Marc Wilmots macht ist nachvollziehbar. Gelbsperrengefährdet sind Witsel, Alderweireld, Kompany und Vertonghen.

Nicola Rizzoli aus Italien pfeift im Estádio Nacional de Brasília Mane Garrincha in Brasília.

Was vor dem Match zu sagen ist

Machen wir uns nichts vor: die Gruppen F und H waren jetzt nicht die allerhärtesten Prüfsteine. Mit Nigeria und Algerien hatte man Teams zu bekämpfen, die sicher zurecht unter den letzten 16 standen - zu viel mehr aber auch (noch) nicht im Stande sind. Die anderen Kombattanten waren würdige Mitspieler, aber eben nicht mehr.

Das wissen auch die beiden Camps. Und ihr Aufbau läuft psychologisch logisch so: wer dieses Viertelfinale übersteht, hat nichts und niemand mehr zu fürchten. Das wird den Sieger dieser Begegnung so stark machen.

Argentinien hat sich, auf andere Art als Deutschland, aber mit ähnlich viel Anlauf und zum selben Zeitpunkt, im Achtelfinale von der Last seiner selbst, besser: der Last der Zuschreibung durch andere, und dem Glauben daran, dass das wahr sein könnte, befreit.

Im Spiel gegen die Schweiz, das scheinbar auf Messers Schneide stand, aber gefühlt niemals verloren gegangen wäre, haben sich die beiden vorher allzu deutlich wahrzunehmenden Zank-Parteien auf ein für alle zufriedenstellendes Zusammenspiel geeinigt: Coach Alejandro Sabella, der zu 100% auf Messi setzt (sonst hätte er den weltweit dafür ungeeignetsten Spieler nicht zum Kapitän gemacht, das ist Symbolpoltik erster Ordnung) und sein Star auf der einen, sowie die durchaus zu Weltklasse-Leistungen befähigte restliche Mannschaft (vor allem Di Maria und Mascherano) auf der anderen Seite.

Im Schweiz-Match wurde die Last der Führung auf die drei erwähnten Schultern verteilt und schon klappte das Zusammenspiel der Formationen zumindest in Ansatz.

In den Gruppenspielen hatten sich ja zunächst beide Parteien, und dann immer abwechselnd eine verweigert, keinerlei Input zur Spielgestaltung gezeigt. Die nötigen Übergangstreffer besorgte der zuvor im Mittelkreis protestcampierende Messi im Alleingang - Fußball spielte diese nur anhand der gemeinsamen Trikotfarben als Mannschaft identifizierbare Truppe aber nicht.

Deshalb war der Übergang im Achtelfinal-Spiel dann auch ein wenig holprig: man musste sich erst wieder aufeinander eingrooven. Jetzt, im Wissen, dass es klappt und mit dem Zusatzwissen, dass jetzt ein Gegner kommt, der alles kann (Dominanz und Konter, Technik und Tempo, Führen und Rückstand aufholen) braucht es schon wieder eine Schippe mehr, um mithalten zu können und das erste Semifinale seit Menschengedenken zu erreichen.

Belgien ist gewarnt; aber Belgien ist das bereits alles ein wenig wurscht, Belgien beschäftigt sich praktisch nur noch mit sich selber. Das klingt gefährlich, ist aber ein notwendiger Schritt, um aus einer hoffnungsfrohen Truppe zu einer großen Mannschaft zu werden; was mit einem Semifinal-Einzug schon geschafft wäre.

Auch die roten Teufel haben das Achtelfinale mit einer besseren Leistung als die eh schon gut dahergekommenen Gruppenspiele bestritten; auch ihr Sieg gegen ein doch in vierlei Hinsicht limitiertes Team USA war gefühlt nie in Frage zu stellen. Das Problem bis dorthin war das Untertauchen just jener Akteure, die in dieser jungen Truppe die schnellen Läufe, die gefährlichen Nadelstiche setzen sollten: von Kevin de Bruyne und Edin Hazard. Die waren nämlich in den ersten drei Spielen nur in Teilen ihrer selbst auf dem Platz. Gegen die USA gab es nun 80% de Bruyne und vielleicht schon 40% Hazard. Und dazu dann eben dieses gut organsierte Defensiv-Korsett mit Coutois, Kompany, Witsel und Fellaini. Und die bislang schlaue Wechselhand von Marc Wilmots.

Gegen Argentinien werden sich diese Prozentzahlen steigern müssen, so muss auch der rechte Flügel funktionieren - er trifft auf den Ersatzmann des gesperrten Rojo, hat also eine echte Entscheider-Chance. Letztlich geht es auch bei Belgien um die nötige Schippe.

Die bisherigen Formationen

Wie Argentinien das Turnier begann, darüber möchte ich eigentlich nicht mehr sprechen müssen: der Vollständigkeit halber das Starting-Lineup des Bosnien-Spiels: 1 Romero; 4 Zabaleta, 3 Campagnero, 17 Federico Fernandez, 2 Garay, 16 Rojo; 14 Mascherano; 11 Maxi Rodriguez, 10 Messi (K), 7 Di Maria; 20 Agüero.

In Halbzeit 2 des ersten Spiels stellte Sabella dann von diesem Grauen in 5-4-1 auf das erwartete, geplante und geprobte 4-3-3 und das erwartete Stammpersonal um: 1 Romero; 4 Zabaleta, 17 Federico Fernandez, 2 Garay, 16 Rojo; 5 Gago, 14 Mascherano, 7 Di Maria; 9 Higuain, 10 Messi (K), 20 Agüero.

In Spiel 3 verletzte sich Agüero und wurde im Achtelfinale zuerst durch 22 Lavezzi, dann durch 18 Palacio ersetzt. Im Kern hat Sabella aber nichts zu ändern.

Belgien hat auch personell eher unglücklich begonnen: 1 Courtois; 2 Alderweireld, 15 Van Buyten, 4 Kompany (K), 5 Vertonghen; 22 Chadli, 6 Witsel, 19 Dembélé; 7 De Bruyne, 9 Lukaku, 10 Edin Hazard - Wilmots korrigierte das durch die Hereinnahme von Mertens und Fellaini.
Die standen dann in der Startformation von Spiel 2: 1 Courtois; 2 Alderweireld, 15 Van Buyten, 4 Kompany (K), 3 Vermaelen; 8 Fellaini, 6 Witsel, 7 De Bruyne; 14 Mertens, 9 Lukaku, 10 Edin Hazard - wie auch Lukaku, der wieder nicht entsprach und wieder (erfolgreich) durch den jungen 17 Origi ersetzt wurde.

In Spiel 3 schonte Wilmots dann einige Akteure und brachte 1 Courtois; 21 Vanden Borre, 15 Van Buyten, 18 Lombaerts, 5 Vertonghen; 16 Defour, 19 Dembele, 8 Fellaini; 14 Mertens, 20 Januzaj, 11 Mirallas. Vanden Borre hat sich in diesem Spiel verletzt, Defour wurde gesperrt.

Im Achtelfinale durfte erstmals Origi beginnen: 1 Courtois; 2 Alderweireld, 15 Van Buyten, 4 Kompany (K), 5 Vertonghen; 8 Fellaini, 6 Witsel, 7 De Bruyne; 14 Mertens, 17 Origi, 10 Edin Hazard.
Lukaku kam dann zur Entscheidung und brachte erstmals im Turnier seinen Killerinstinkt mit aufs Feld - Benteke, die beste Spitze der Belgier, ist ja verletzt daheimgeblieben.

Vor dem Viertelfinale sind nur Alderweireld, Vertonghen und Dembélé angeschlagen, das bedeutet Gefahr für den gut sortierten Abwehrverbund, ist aber wie jede Personalproblematik zu beheben: der Kader ist zu gut, in der Dichte sogar besser als der argentinische.