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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 7. 2014 - 20:38

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 72.

VF2 - Egal, ob es der vorletzte oder letzte Südamerikagipfel war: im vorweggenommenen Finale besiegt der Hausherr James Rodriguez' Team #BRAvsCOL

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

VF1: Deutschland - Frankreich

AF1: Brasilien - Chile
AF2: Kolumbien - Uruguay
AF 3: Niederlande - Mexiko
AF 4: Costa Rica - Griechenland
AF 5: Frankreich - Nigeria
AF 6: Deutschland - Algerien
AF 7: Argentinien - Schweiz
AF 8: Belgien - USA

Brasilien in der Gruppe: gegen Kroatien und gegen
Mexiko

Kolumbien in der Gruppe: gegen Griechenland & gegen Cote d'Ivoire.

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Unglaubliches Spiel, unglaubliche Präsenz, unglaubliche Wucht, unglaublicher Einsatz, großes Breitwand-Kino, wilder Sensourround Sound, fliegende Körper und brutrale Spannung. Fußball der höchsten Stufe.

Brasilien schafft es die bisher beste Mannschaft des Turniers, den bisher besten Spieler James Rodriguez aufzuhalten. Mit Intensität, mit dem Einsatz der eigenen Mittel, dem druckvollen Vorwärtsmarschieren mitten durch die Abwehr. Mit Druckausüben durch hochgehaltenes Dauertempo, mit nie nachlassender Lebendigkeit, mit pausen- und atemloser Auffüurungs-Intensität.
Schwer im Gegensatz zur tempo- und spannungsarmen Nachmittags-Partie.

ARD-Experte Scholl versucht uns das Match gerade madig zu machen, weil er zu hart gewesen wäre, weil Neymar einem Foul erlegen ist, weil die Kleinen nicht geschützt werden, weil Spieler, die wie Hulk über die Physis kommen nicht die sind, die er sehen will. Dass dass kein Fußball sei. Als ob es relevant wäre, was einer sehen will, der nicht einmal weiß wer das Match pfeift, über das er Expertisen verbreiten soll. Weil es auch sonst nichts über Spieler, Schiedsrichter, Trainer und alle anderen Beteiligten weiß, sondern ausschließlich von dem zehrt, was ihm in seiner Zeit als Spieler noch erinnerlich ist. Und ein ganz gutes Gag-Zentrum hat.

Lasst euch von Neidhammeln, die jetzt und in den nächsten Tagen ein lauwarmes deutsches Viertelfinale zu etwas hochschwatzen müssen, was es nicht war (wuchtig, interessant, vital) um dem, was man hier jetzt gerade im Abendmatch zu sehen bekam, auch nur irgendetwas entgegensetzen zu können, nicht verarschen. Das ist jetzt schon schiere Propaganda. Verletzungen sind das Risiko-Kapital des Spiels. Und wenn es das Team trifft das die Gangart so angeschlagen hat, auch folgerichtig. Selbst wenn es dann Neymar betrifft. Und: das vergleichsweise fade Verwaltungsliedchen der Deutschen, das war maximal eine Schulaufführung; die grandiose Oper zwischen Brasilien und Kolumbien hingegen, das war Fußball.

Die Schlußphase: James bringt Kolumbien wieder zurück

Direkt nach dem 2:0 kommt 17 Bacca (Euro League-Sieger mit Sevilla) für 9 Teo Gutierrez, ein Stürmerwechsel Yepes sieht gelb.

73. Minute: Elfer nach Foul von Julio Cesar am James. der tritt selber an und erzielt sein 6. Tor im 5. Spiel, in zumindest jedem Match eines. Diesmal flach links, sicher, Tormann verfliegt sich - 2:1 in Minute 75.
Dann kommt 20 Quintero statt 11 Cuadradro, ein zentraler Achter für einen Flügel. Der arbeitet gemeinsam mit Guarin und James jetzt hinter Ramos und Bacca, den rotierenden Spitzen in einem neuen 4-1-3-2.

Danach drängt Kolumbien natürlich auf den Ausgleich; und Scolari reagiert, er ersetzt 7 Hulk durch 16 Ramires und dann kommt 18 Hernanes für 8 Paulinho und mit dem einen gleicht er den nächsten Tausch dann wieder aus. Dann verletzt sich Neymar und muss runtergetragen werden, 15 Henrique kommt - und jetzt sehen wir Brasilien in einem 4-5-1.

Kolumbien rennt am Ende in einem wahren Sturmlauf gegen Cesars Tor, Brasilien steht mit dem Rücken zur Wand, wankt leicht, aber fällt nicht.

Halbzeit 2: Brasilien setzt den zweiten Schlag

19 Adrian Ramos ersetzt 14 Ibarbo und ersetzt ihn auf dessen bislang schwach ausgefüllter linker Seite - Kolumbien bleibt im System. Sanchez ist alleiniger Sechser, Guarin spielt davor. Pekermans Team sucht die sofortige Feldüberlegenheit und will den Gegner in seine Hälfte drücken.

Scolaris Team zeigt sich de facto allzu oft im 4-3-3, mit Oscar weit zurück in der Etappe hängend, und Neymar hinter den links fixierten Hulk und dem weite Wege gehenden (und dann stehenden) Fred. Allerdings gehen auch die Mittelfeldspieler der Maxime dieses Spiels (und es war bisher nur die Maxime der Kolumbianer) nach: der Ballführende sucht mit einem Sprint den Durchmarsch in die Spitze, seine künftigen Anspieloptionen ziehen seitlich mit.

Es ist weiterhin ein unglaublich physisches Match, in dem die Körpereinsätze die Akzente setzen: da dies aber von technisch hochbegabten Spielern vollzogen wird, besteht die Choreografie dieser Einsätze aus wuchtigem Gewirbel. Ich stell mir grade Hulk im Tutu vor - für mich das Bild zum Spiel.

In der Zwischenzeit hat Kolumbien die knappe Feldhoheit errungen - auf die Chancenverteilung hat das aber keine Auswirkung.

In Minute 62 zieht Thiago Silva die dümmste Matchsperre im Turnier: er blockt Tormann Ospina bei einem Abschlag. Offsidetor Kolumbien (Yepes) eine Minute später, und dann eine Karte für James Rodriguez - die Partie beginnt ihre Physis unwohl einzusetzen...

Dann aber macht David Luiz mit einem 30-Meter-Freistoß (69.) ins Kreuzeck alles klarer: 2:0.

kleines Halbzeitfazit

Sehr körperliches Spiel beider Teams, vor allem aber von Brasilien. Tolle Halbzeit, verdiente Führung, klares Chancenplus, vor allem aber klare psychische Vorteile für die Gelben.

Brasilien erwischt Kolumbien mit kolumbianischen Mitteln

Brasiliens Spiel ist auf Tempo-Gegenstöße mit hauptsächlich Durchstecker-Flachpasses in der Zentrale ausgerichtet. Dazu ein wenig Flankenspiel.
Außerdem presst man scharf, schon gegen den 1. Paß, und versucht Überzahl im Mittelfeld zu kriegen.

In Minute 19 doppelpassen sich Hulk und Neymar optimal halblinks nach vorne - Ospina verhindert Schlimmeres. Kolumbien tut sich mit der neuen Wucht der Hausherren erst einmal schwer, kann zu selten die unglaublichen Tempo-Gegenstöße setzen (weil's mit den Abspielen nicht passt).

Was Brasilien da unternimmt ist Kolumbien mit seinen eigen Mitteln (oder Teilen davon) zu schlagen: mit drängenden Vorwärtsmärschen, schnellen Läufen, schierer Wucht den Gegner erschrecken und hemmen. Ospina muss wieder gegen Hulk retten (27.)

In dieser Phase ist es ein sensationelles Spiel mit vitalen Vorstößen, ungewöhnlichen Einsätzen, gewagten Varianten und hohem Risiko (weshalb auch einiges schiefgeht) - und das ist höchstem Tempo. Solange Brasilien das gehen kann, gleichen sie den besten Wert ihres Gegners aus. Und dank der Führung im Rücken (siehe VF1) ist Brasilien in jedem Detail ein paar Zentimeter dichter dran. Wieder Hulk, wieder links (38.)

Fernandinho und Paulinho sind schon bislang stark ins Offensivspiel eingebunden wie das gesamte Zentrale Mittelfeld im gesamten bisherigen Turnier. Neymars Freistoß (43.) zischt knapp übers Kreuzeck.

Halbzeit 1: die neue Wucht der Hausherrn verblüfft alle

James Rodriguez beginnt leicht versetzt hinter Teo Gutierrez, bestätigt das heute in der Defensive wie ein 4-4-1-1 aussehende System seiner Mannschaft. Guarin ist ein Tempobolzer, anders als der auf die Defensive konzentrierte Aguilar -> Pekerman will also eindeutig mehr Offensive in die Wagschale werfen. Offensiv sieht das nach einem 4-1-1-4 aus.

Fred steht sofort Neymar im Weg. Neymar kommt noch zentraler als sonst. Maicon (bei der WM 2010 noch vor Dani Alves) spielt einen ganz normalen Rechtsverteidiger, keine James-Spezialaufgabe. Hulk kommt heute eher über links, der sehr verhalten spielende Oscar über halbrechts, Neymar so zentral as can be.

Oscar wirkt heute eher wie ein dritter Teil der zentralen Mittelfeld-Defensive als ein Offensiver.

6.: Thiago Silva stolpert den Ball nach einem Corner nach einem geblockten Neymar-Angriff am langen Eck zum 1:0 rein. Lucky. So wie Deutschland in Spiel 1...

Dass Kolumbien den Fight annimmt, zeigt Cuadrados gute Chance (10.) nach einem wilden Gegenstoß.

Und im Vergleich zum 1. Match, in dem es darum ging den Gegner abzuchecken bzw einzulullen, ist hier von Anbeginn an Feuer und Tempo drinnen. Nur der kleinlich pfeifende spanische Schiri unterbindet noch mehr.

Zapata macht die Abstöße für Ospina; sowas passiert nur wenn ein Keeper nicht vollfit ist.

Die Aufstellungen

Brasilien spielt in gelb-weiß mit
12 Julio Cesar; 23 Maicon, 3 Thiago Silva (K), 4 David Luiz, 6 Marcelo; 8 Paulinho, 5 Fernandinho; 11 Oscar, 10 Neymar,7 Hulk; 9 Fred

Klar, 17 Luiz Gustavo ist gesperrt, aber warum spielt Rechtsverteidiger 2 Dani Alves nicht? Ich höre was von einer Spezialaufgabe für Maicon betreffend James. Echt? Sonst ist das die bestmögliche Formation von Scolari, wie immer im 4-2-3-1. Gelbbelastet sind Thiago Silva, Hulk und Neymar.

Kolumbien spielt in gewöhnungsbedürftigem rot-schwarz mit
1 Ospina; 18 Zúñiga, 2 Zapata, 3 Yepes (K), 7 Armero; 13 Guarin, 6 Carlos Sánchez; 11 Cuadrado, 10 James Rodríguez, 14 Ibarbo; 9 Teo Gutiérrez

8 Abel Aguilar wird durch Fredy Guarin ersetzt. Jose Pekerman vertraut auf die allererste Formation und bringt wieder Ibarbo statt 21 Jackson Martinez; auch wieder im 4-2-3-1. Gelbbelastet sind Sanchez, Guarin und Armero.

Der Spanier Velasco Carballo leitet, im Estádio Castelão in Fortaleza. Heiß, 30 Grad noch.

Was vor dem Spiel zu sagen ist

It's not easy being Brasil. Vor allem bei einer WM in Brasilien: alles wissen alles besser. Die vielen Ex-Weltmeister, die endlosen Ex-Spieler, Ex-Trainer und Experten. Und sie haben auch so viel Handhabe und Gelegenheit: sie können endloses Personal durchdenken und -quatschen; sie können ewige Systemfragen stellen und natürlich die alte Debatte um den scheinbaren Gegensatz des schönen Spiels zum effektiven Spiel: also entweder jogo bonito oder destruktives Abwarten und Kontern.

Brasilien hat einen seiner fünf Titel mit einer verglechsweise vorsichtigen Spielweise erreicht (1994 war das) und als der damalige Kapitän Dunga 2006 die Mannschaft als Trainer übernahm, setze er das fort: kontrolliertes, auf Effizienz ausgerichtetes Spiel; die Abkehr von der brasilianischen Tradition der bewussten, dauernden, rollenden Offensive.

Dunga scheiterte bei der WM 2010 im Viertelfinmale und damit wurde diese Episode auch wieder beerdigt. Glücklicherweise. Brasilien ist seitdem, in einer Art Staatsvertrag des Verbands mit dem Volk, wieder dem offensiven Fußball verpflichtet.

Und das ist ganz schön mühsam - wegen der vielen die mitquatschen und all dem. Am allermühsamsten ist es aber, weil es das allerschwierigste ist, als Favorit ohne die Mittel der Destruktion nicht nur schön und offensiv und lässig, sondern auch noch erfolgreich spielen zu müssen.
Und deshalb tut sich die Selecao auch so verdammt schwer bisher – obwohl sie garantiert eine der besten Teams ist und mit Neymar ein wirkliches Ausnahmetalent auf ihrer Seite hat.

Und klar ist das Coaching-Team der beiden letzten Weltmeistertrainer Scolari (2002) und Parreira (1994) nicht bereit ein Modell, an dessen Funktionieren sie die letzten Jahre über erfolgreich gearbeitet haben (der Sieg im vorjährigen Teststurnier, dem Confed-Cup war Beleg dafür) jetzt im laufenden Turnier umzustellen.

Alles Dinge, die für eine Mannschaft aus einer Fußball-Nation ohne Druck, deutlich leichter zu handeln sind. Alles Dinge, die einem Favoriten so ein WM-Turnier zur Hölle machen können. Und Probleme die überwunden werden müssen um den ultimativen Erfolg, den Titel dahoam sicherzustellen.

Wie der Selecao der Knopf aufgehen soll, ist mir nicht klar. Solange sich Neymars Umgebung (vor allem Oscar und Hulk) nicht stabilisiert, wird es gegen zunehmend bessere Kontrahenten immer schwerer. Im Achtelfinale gegen die vollständig gleichwertigen, im taktische Bereich sogar sauüberlegenen Chilenen langt es nur zum Elferschießen.

Brasilien spielte bisher in dieser Grund-Formtation: 12 Julio Cesar; 2 Dani Alves, 3 Thiago Silva (K), 4 David Luiz, 6 Marcelo; 8 Paulinho, 17 Luiz Gustavo; 7 Hulk, 11 Oscar, 10 Neymar; 9 Fred

In Spiel 2 ersetzte zuerst 16 Ramires (dann 20 Bernard) den verletzten Hulk. In Spiel 3 bot der in Halbzeit 2 statt des stets enttäuschenden Paulinho gekommenem 5 Fernandinho eine gute Leistung

Im Achtelfinale spielten deshalb 12 Julio Cesar; 2 Dani Alves, 3 Thiago Silva (K), 4 David Luiz, 6 Marcelo; 5 Fernandinho, 17 Luiz Gustavo; 7 Hulk, 11 Oscar, 10 Neymar; 9 Fred

Fürs Viertelfinale ist Luiz Gustavo gesperrt. Vielleicht kommt 21 Jô statt Fred

Kolumbien ist bis dato die einzige Mannschaft, die vier grandiose Spiele abgeliefert hat, vier deutliche Siege, auch im bedeutungslosen letzten Gruppenspiel. Und das mit immer tempo- und ideenreich durchgezogenem Offensivspiel, das die Gegner durch seine schiere Fröhlichkeit zu überrollen schien.

Nur eines sollte man nicht übersehen: die Gegner waren bislang nicht die der erste Sorte (sorry Uruguay). Jetzt kommt der schwestmögliche Brocken: ein Immer-noch-Favorit, der Hausherr. Jetzt wird sich zeigen, was die bisherigen brillianten Vorstellungen wirklich wert waren. Ebenso wie für den Gegner wird dieses Viertelfinale der Elchtest.

Kolumbiens Spiel 1 gegen Griechenland und Match 2 gegen die Elfenbeinküste bestritt der argentinische Coach Jose Pekerman mit der selben Aufstellung: 1 Ospina; 18 Zúñiga, 2 Zapata, 3 Yepes (K), 7 Armero; 8 Abel Aguilar, 6 Carlos Sánchez; 11 Cuadrado, 10 James Rodríguez, 14 Ibarbo; 9 Teo Gutiérrez.

Im bedeutungslosen Spiel gegen Japan ließ Pekerman die (auch, vor allem in der Offensive, höchst fitte) B-Elf auflaufen: 1 Ospina; 4 Arias, 23 Carlos Valdes, 16 Alvarez-Balanta, 7 Armero, 11 Cuadrado, 15 Mejia, 13 Guarin, 20 Quintero; 21 Jackson Martinez, 13 Adrian Ramos

Im Achtelfinale dann wieder der Rückgriff auf die nur leicht umgestellte A-Elf: Jackson Martinez, in Spiel 3 vorderste Spitzer, ersetzte Ibarbo auf der linken Seite. 1 Ospina; 18 Zúñiga, 2 Zapata, 3 Yepes (K), 7 Armero; 8 Abel Aguilar, 6 Carlos Sánchez; 11 Cuadrado, 10 James Rodríguez 21 Jackson Martinez; 9 Teo Gutiérrez.