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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

4. 7. 2014 - 18:10

Goldman Sachs doesn't care if you raise chicken

Wie eine Stadt besser und das Zusammenleben gerechter werden kann, zeigt eine Berliner Ausstellung. Ob die Lösungen wirklich auf der Straße liegen, ist eine andere Frage.

Am Donnerstag wurde im Künstlerhaus Bethanien die Ausstellung „We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt“ eröffnet. Darin stellt das Künstlerhaus in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut Projekte von Aktivisten, Architekten, Künstlern und Planern aus Madrid, Turin, Lissabon, Toulouse und Berlin für eine bessere, gerechtere, lebenswertere Stadt vor.

Bis zum 17. August wird es Workshops, Vorträge und Veranstaltungen zum Thema bürgerschaftliche Eigeninitiative in der Stadtentwicklung geben. Und dabei geht es natürlich um die zur Zeit beliebten Diskurse und Schlagworte wie Wissenstransfer, Transparenz, Partizipation und soziale Innovation, aber auch um Interventionen und Beteiligungsstrategien, um Selbstorganisation und Selbstermächtigung, um Synergie- und Feedbackkanäle, um Mikro-Mäzenatentum und das Commons-Prinzip, Open Data, Open Source, Co-Creation und natürlich immer um Diversität und Nachhaltigkeit.

Ausstellung "Tausche Krise gegen Stadt"

Ausstellung

„Wie geht man mit der Krise um?“ ist die zentrale Frage der Ausstellung, dazu
gibt es viele Zettel und Schrifttafeln und wenig Exponate. Man kann an der
Torino-Toolbox drehen, ein karges Flaschenregal mit Holundersirup verspricht „Stadt macht satt“, und man kann beim Rütliwear-Workshop selbst T- Shirts bedrucken.
In schwarzer Druckschrift auf weißer Stellwand wird gefragt: Woher kommt Veränderung?

Der Imperativ „Selbst handeln für sich entdecken!!“ wird durchaus ernst genommen, schon den Ausstellungskatalog muss man sich selbst zusammenbasteln, die Ausstellung besteht eigentlich aus den farbigen Zetteln, auf denen die Projekte vorgestellt werden.

Beim ersten Rundgang bleiben einige Fragen offen. Trägt es wirklich zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei, wenn das Lissabonner Projekt „Nadel im Heuhaufen“ sich um „ Leute die Altbauten lieben“ kümmert und ihnen hilft, Wohnungen und Häuser in der Altstadt Alfama zu finden und sie über Steuervorteile und Denkmalschutz aufklärt? „Nachhaltiger“ wirken da Projekte wie „Todo por la Praxis“ aus Madrid, wo mit Hilfe von Architekten, Anwälten und Künstlern eine Investitionsruine zum öffentlichen Versammlungsort umgestaltet wurde.

Aber die Ausstellung will ja als „arbeitende Ausstellung“ gesehen werden, vieles soll man sich selbst in Vorträgen und Workshops in den nächsten Wochen erarbeiten (zum Beispiel gärtnern, kochen, kompostieren, netzwerken, siebdrucken, kaputtes flicken und verschönern, eine Wandzeitung machen, mit alten Fahrradschläuchen basteln). Denn wir alle können „we-traders“ werden und es wird immer weiter diskutiert.

Die Urban- Gardening -Skeptikerin und Localism- Kritikerin fragt sich natürlich trotzdem, was kleine Gruppen gegen große Immobilienentwickler ausrichten können, außer das eigene Umfeld temporär ein bisschen zu verschönern.

Tritt man vor die Tür des Künstlerhaus Bethanien auf den Mariannenplatz, so tun sich in weniger als 1000 Metern Luftlinie entfernt in sämtlichen Himmelsrichtungen ganz andere Probleme auf.

Post Its

Ausstellung

Geradeaus liegt die Gegend um die Ohlauer Straße, sie ist seit Donnerstag mittag wieder passierbar, die etwa 1000 Polizisten ziehen sich langsam aus Kreuzberg zurück, die Flüchtlinge haben allerdings immer noch kein Bleiberecht. Es bleibt die große Frage, wie wir mit den Menschen umgehen, die in unseren Städten Zuflucht suchen. Und wie es dazu kommen kann, dass eine Partei, die aus einer Alternativbewegung hervorgegangen ist, ihren Bezirk neun Tage lang unter Polizeibesatzung stellt.

Im nahen Görlitzer Park versucht man seit einiger Zeit schon, die Interessen der verschiedenen Stadtbewohner unter einen Hut zu kriegen, was in der Frage gipfeln kann, ob Afrikaner genauso wie Biodeutsche das Recht aufs Rumlungern im Park haben.

Richtung Osten am Schlesischen Tor kann man schön beobachten, wie ein Kiez gleichzeitig von Gentrifizierung und Verslummung gebeutelt wird. Die Ballermannisierung ist fast abgeschlossen, trotzdem werden Eigentumswohnungen stark nachgefragt und direkt neben der alternativen Amüsiermeile hausen Wohnungslose und Romafamilien auf der Cuvrybrache in Berlins erster „Favela“ ohne Wasser und sanitären Anlagen.

Beim Mieter-Protestcamp am Kottbusser Tor zeigt sich hingegen, dass Nachbarschaftsprojekte, die politische Forderungen stellen, durchaus etwas ändern können.

Die großen Probleme der Städte können eher durch eine andere Mieten- und Finanzpolitik, durch eine humane Asylpolitik, durch ein anderes System, statt durch Urban Gardening und Siebdruck gelöst werden. Denn wie sagte die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean so treffend: „Goldman Sachs doesn't care if you raise chickens“.