Erstellt am: 4. 7. 2014 - 16:28 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 71.
Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.
AF1: Brasilien - Chile
AF2: Kolumbien - Uruguay
AF 3: Niederlande - Mexiko
AF 4: Costa Rica - Griechenland
AF 5: Frankreich - Nigeria
AF 6: Deutschland - Algerien
AF 7: Argentinien - Schweiz
AF 8: Belgien - USA
Frankreich in der Gruppe: gegen Honduras gegen die Schweiz und Ecuador.
Deutschland in der Gruppe: gegen Portugal , gegen- Ghana(fm4.orf.at und gegen USA.
Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Da hat sich die Tendenz fortgesetzt: Frankreich war wie schon gegen Nigeria erstaunlich flachatmig unterwegs, zauderlich, mit zu wenig Punch dahinter. Das Offensiv-Feuerwerk gegen Honduras oder die Schweiz ließ sich nicht mehr wiederherstellen, die gute Gruppenphase gläntzte nur noch als matte Reminiszenz im Hintergrund.
Natürlich ist das - optional für die Heim-EM 2016 gesehen - trotzdem aus- und aufbaufähig. Wenn überhöhte Sorge gegen einen Favoriten ins Messer zu laufen einmal abgestreift sind, weil man sich der eigenen Klasse bewusst geworden ist, geht sich da einiges aus.
Didier Deschamps gibt das im Flash-Interview implizit zu: er ist wie sein Team allzu sehr in Ehrfurcht vor dem mächtigen gegner erstarrt. Das hat das Spiel gekostet.
Deutschland musste nicht das abrufen, was Ghana ihnen im bislang mühsamsten Spiel abverlangt hatte; auch weil man alle Fehler, die noch gegen Algerien zur Selbstlähmung durch knieschußmäßige Aktionen führten, als solche erkannte und die meisten davon vermeiden konnte. Löw hat sich vom vorsichtigen 4-3-3 mit drei Defensiv-Akteuren im Mittelfeld und einer in der Luft hängenden Dreierreihe vorne befreit und auf ein 4-2-3-1 umgestellt, das sofort deutlich mehr Selbstsicherheit brachte und einen eh schon schüchternen Gegner noch mehr an seine Schwächen erinnerte.
Nochmal, weil die Diskussion im Vorfeld wieder ein wenig dümmlich geführt wurde: es hat wenig mit Lahm selber zu tun, sondern mit seiner bisherigen Position, die Löw jetzt endlich ersatzlos gestrichen hat - weil das nicht nötig war.
Zu wenig Risiko, zu wenig Mut, zu viel Respekt
Hälfte 2 beginnt um 19:05
Frankreich beginnt überfallsartig und über rechts, die starke Seite.
Deutschland setzt sich bei Angriffen weiterhin mit vier vorderen fest - das war in den Spielen bisher gar nicht möglich - und übt so ordentlich Druck aus.
Frankreichs Plan für Halbzeit 2: leicht höheres Risiko, mehr 1zu1-Situationen - daraus soll sich vermehrter Druck entwickeln.
Deutschland will Gegenstöße gut durchspielen, im Optimalfall mit Gleich- oder knapper Unterzahl. Aktivposten ist heute Özil auf der linken Seite (der gegen Algerien ja total ausfiel).
Beide wollen sich am liebsten in Tempo-Gegensößen austoben, beide spielen diese aber noch extrem unpräzise aus. 53.: gelb für Khedira, der einen solchen unterbindet. Einen tollen Varane-Kopfball nach einem weiteren (60.) pflückt Neuer runter.
An dieser Spielanlage ändert sich nichts; Deutschland kann's recht sein, für Frankreich ist das zu wenig. Auch weil sich dieses sichere Gefühl, dass noch ein Tor fallen wird (ich darf es Messi-Gefühl nennen) nicht einstellen mag.
Schürrle wird instruiert - ich schätze statt Klose, Löw wird Müller in die Spitze ordern. Giroud kommt auch.
67.: 9 Schürrle für 11 Klose. 71.: 21 Koscielny für 5 Sakho, Innenverteidigerwechsel, der Fitness wegen. 73.: 20 Loic Remy kommt für 6 Cabaye, ein Stürmer für den Sechser - > Deschamps stellt also um auf ein 4-2-4.
Schürrle kommt sofort zu Szenen, bereitet vor und schließt auch ab; will wohl wieder Mann des Spiels werden. Die Gegenstöße werden deutlich luftiger, man hat mehr Platz.
Dafür hat Benzema kaum Platz seine Bälle anzunehmen und dementsprechend ist auch der französische Angriff geblockt. Wenn einer durchkommt wie Matuidi, der heute bislang beste, dann putzt Neuer zusammen.
80.: gelb für Schweinsteiger beim Unterbinden. Danach Riesenchance nach Valbuena-Freistoß-Cross. Den Konter, der sich daraus ergibt, schließt Schürrle in Lloris Beine ab. Jetzt haben wir das klassische halbhysterische Schluß-Hin-und-Her.
83.: 19 Götze für 8 Özil, noch mehr Flankenwucht für die linke Seite, nach Schürrle noch ein schneller Konter-Akteur. 84.: 9 Giroud für 8 Valbuena, das versteh ich nicht - jetzt sind zuviele Verwerter aber kein Aufspieler mehr am Platz.
In der Folge kann Frankreich keinen Angriff mehr durchspielen.
Nachspielzeit: 23 Kramer f. 18 Kroos. Und Benzema scheitert bei einem Spitzwinkler an Neuer.
Zwei Halbzeit-Tweets
Frankreich nicht in Vorrunden-, nur in Nigeria-Form, allzu vorsichtig-respektvoll-abwartend.
Deutschland hat durch Lahms Zurückberufung Kroos befreit und die Offensive geschärft.
Halbzeit 1: von Führung, Abwarten und Lähmung
Anpfiff ist um 18:03
Deutschland bleibt defensiv im 4-3-3, da orientiert sich Kroos nach hinten, offensiv aber ist das ein 4-2-3-1.
Beide Mannschaften pressen sofort, schon im Aufbau, am besten schon gegen den Tormann. Das wird giftig.
Cabaye zieht sich wieder gerne zwischen die Innenverteidiger zurück und schiebt so die Außenverteidiger an. Frankreich ist das verhaltenere der beiden Teams - sie warten eindeutig einmal ab, lassen kommen und schaun sich die heutige deutsche Variante einmal an. Vielleicht glaubt man über den besseren schnelleren Gegenstoß zu verfügen. In Minute 7 gelingt so die erste gefährliche Szene.
Genau das dürfte ihr Matchplan sein - abwarten und schnell von hintenheraus giften, sobald das deutsche Team ballverlustig wird; und das war bislang sehr oft der Fall.
In Minute 12 ist diese Stategie perdu - nach einem Kroos-Freistoß-Cross erwischt Hummels einen Kopfball ideal und schürft ihn unter die Latte - 0:1.
Wieder ein guter Start für das DFB-Team, und wieder war er nicht auf die Leistung oder den Matchplan zurückzuführen, sondern ein Archiv-Erfolg der special teams. Beginnt das Match jetzt neu?
Ein wenig; es dreht sich jetzt exakt um. Deutschland wartet jetzt ab, sieht sich an, was von Frankreich kommt, um den Rückstand aufzuholen, steht defensiv im 4-5-1. Frankreich orientiert sich jetzt in Richtung Ballbesitz, rennt sich aber fest. Deshalb stellt sich jetzt das Gefühl einer spielerischen Lähmung, der Neutralisierung ein.
Nach 25 Minuten löst eine Schwalbe von Klose eine kleine deutsche Offensiv-Show aus - danach gelingt erstmals wieder eine dieser Durchsteck-Paß-Reihen, mit denen das DFB-Team seit Jahr und Tag seine Gegner fertigmacht.
Philip Lahm kommt rechts übrigens auch nicht wirklich ins Spiel, allerdings befreit seine Zurückberufung Toni Kroos enorm, verhilft dem deutschen Angriffspiel zu frischer Schärfe. Damit, und nur damit, und nicht mit echten Chancen, erzielt Deutschland eine kleine Platzüberlegenheit.
In Minute 34 gelingt Frankreich einmal so ein Gegenstoß mit einem Laufpaß, einer Flanke und einem Aufspiel, der sowas wie Gefahr erzeugt. Und dann noch einmal knapp vor der Pause, mit einem Benzema-Schuß. Das ist noch merklich zuwenig - auch weil Frankreich zu wenig manpower dahintersetzt, was damit zu tun hat, dass man noch zu wenig Risiko nimmt (absichtlich).
Die Aufstellungen
Frankreich in blau mit
Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 10 Benzema, 11 Griezmann
Das ist die aktuell bestmögliche Aufstellung von Didier Deschamps: Sakho ist wieder fit, Pogba hat wieder zu sich gefunden und 9 Giroud war zuletzt zu schwach - deshalb Benzema im Zentrum und Griezmann außen.
In der Hinterhand bleibt 19 Moussa Sissoko. Gelbbelastet sind Evra, Pogba und Matuidi.
Deutschland spielt in weiß mit
1 Neuer, 16 Lahm (K), 20 Jerome Boateng, 5 Hummels, 4 Höwedes; 6 Sami Khedira, 7 Schweinsteiger; 13 Thomas Müller, 18 Toni Kroos, 8 Özil; 11 Klose
Das ist wieder das alte 4-2-3-1, mit Lahm außen. Khedira-Schweini hinter 3 offensiven im Mittelfeld und ganz vorne Klose. Das Deutschland der letzten Jahre.
Geopfert wurde 17 Mertesacker, der für Frankreich als zu wenig wendig (Bierhoff) eingestuft wurde. Verletzt ist 21 Mustafi, wieder fit 10 Podolski. Draußen/in der Hinterhand: 19 Götze, 9 Schürrle. Gelbbelastet sind Lahm und Höwedes.
Im Estádio Maracanã in Rio de Janeiro pfeift Nestor Pitana aus Argentinien. Es ist heiß, fast 30 Grad.
Nicht die Schlacht an der Somme; Frankreich und Deutschland im klischeebefreiten Duell
Frage: warum werden die beiden deutschen Untaten der WM 1982 mittlerweile unterschiedlich streng beurteilt? Wieso ist der Betrug des (gemeinsam mit Österreich, zu Lasten von Algerien) geschobenen Spiels von Gijon immer noch akut, gilt jedoch der Karate-Tritt des Tormanns Schumacher gegen das Kiefer des Franzosen Battiston (samt folgendem Sieg im Halbfinale) als abgehakt?
Antwort: es ist wie mit allen historischen Ereignissen, die Traumata und die Frage nach Schuld und Sühne nach sich ziehen - es geht um die Aufarbeitung.
Gijon wird, von DFB und ÖFB, weiterhin verschämt unter der Tuchent versteckt - der Battiston-Vorfall wurde seither vielfach nachbearbeitet und xfach entschuldigt (wenn auch nicht vom Täter selber, der immer noch ohne Bewusstsein durch sein dümmliches Ex-Starspieler-Leben wankt; er ist schuld daran, dass ich den unschuldigen Michael Schumacher nicht leiden kann und den Kölner Tünn verachte).
Gijon hat den Fußball vom Gentleman-Sport hin zum Wettbetrug geöffnet, der Battsiton-Vorfall hat Bewusstsein geschaffen. Heute würde Schumacher lebenslang gesperrt und mit zwanzigfacher Suarez-Häme vom Planeten verjagt.
Mit Algerien hat sich nie jemand in Deutschland oder Österreich auszusöhnen versucht - weil eh wurscht.
Mit Frankreich konnte Deutschland gar nicht anders als offensiv eine Lösung zu suchen - die Angst vor wiederrkehrenden Klischees, die ihre Ursache tief in der Rivalität der beiden Mächte haben und fest im Bild des Stellungskriegs von 1914-18 wurzeln, war beiden Beteiligten zu groß.
Deshalb denkt heute kaum einer noch an 82, wenn es um Frankreich gegen Deutschland geht, sinnhafte Aufarbeitung sei dank. Toni Schuhmacher wird es heute beim Kacken ordentlich zwicken, das ist die Voodoo-Puppe, die ich bestellt habe - aber sonst ist es erledigt.
Was vor dem Match sonst noch zu sagen ist
Frankreich wird weiter seine Linie fahren, sein mittlerweile stabiles 4-3-3 in Szene setzen, Benzema neben/hinter Giroud platzieren und hoffen dass diesmal nicht nur einige, sondern alle Leistungsträger (vor allem die rechte Achse Debuchy-Pogba-Valbuena) ihre beste Form erreichen.
Deutschland wird je nachdem.
Wenn Löw weiter im 4-3-3 mit Lahm hinter zwei Hybrid-Achtern bleibt, wird man sich genauso schwer tun wie die vier Spiele bisher; wird das Loch zu den vorderen 3 nciht schliessen können, auch weil es keine entsprechende Außenverteidiger-Variante gibt.
Wenn Löw so weiterspielt wie am Ende des Achtefinals, also mit Lahm in der Verteidigung, und womöglich auf sein altes 4-2-3-1 mit vier Offensiven vor Khedira-Schweinsteiger umsteigt, dann ist ein anderer befreiter Zugang möglich.
Frankreich im Vorfeld:
Frankreich startet gegen Honduras mit einem fast fröhlichen Favoritensieg mit 1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 10 Benzema, 11 Griezmann
Gegen die Schweiz gelingt dann ein Kantersieg des Spielwitzes mit einer leicht umgestellten Truppe - 1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 18 Moussa Sissoko, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 9 Giroud, 10 Benzema
Benzema, der heimliche Chef, kam von Linksaußen und war da genauso wertvoll wie als Center.
Gegen Ecuador fehlte der nicht ganz fitte Varane und der gesperrte Cabaye, dazu wurden Debuchy und Evra geschont, und wieder eine neue Sturm-Variante probiert: 1 Lloris (K); 15 Sagna, 21 Koscielny, 5 Mamadou Sakho, 17 Digne; 19 Pogba, 22 Schneiderlin, 14 Matuidi; 18 Moussa Sissoko, 10 Benzema, 11 Griezmann
Das Achtelfinale bestritt wieder die erste Formation: 1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 21 Koscielny, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 9 Giroud, 10 Benzema
Letztlich bleibt Deschamps aber immer im 4-3-3 mit einem Sechser, zwei Achtern davor, wild anrennenden Außenverteidigern und einer Dreier-Offensive, die sehr viel rochiert. Das sieht auf dem Papier simpel aus, ist aber ausgesprochen schwer niederzuspielen.
Deutschland im Vorfeld:
Das deutsche Starting-Lineup gegen Portugal und Ghana:
1 Neuer, 20 Jerome Boateng, 17 Mertesacker 5 Hummels, 4 Höwedes; 6 Sami Khedira, 16 Lahm (K), 18 Toni Kroos; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 19 Götze
Gegen die USA kam Schweinsteiger statt Khedira, Podolski statt Götze, whatever: 1 Neuer, 20 Jérôme Boateng, 17 Mertesacker, 5 Hummels, 4 Höwedes; 18 Toni Kroos, 16 Lahm (K), 7 Schweinsteiger; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 10 Podolski
Das Achtelfinale bestritt Löw mit
1 Neuer; 21 Mustafi, 17 Mertesacker, 20 Jerome Boateng, 4 Höwedes; 18 Toni Kroos, 16 Lahm (K), 7 Schweinsteiger; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 19 Götze
Das alles immer im 4-3-3, auch nachdem Löw in der Schlußphase Lahm wieder in die Abwehr zurückzog.
Wird sich das heute ändern?