Erstellt am: 4. 7. 2014 - 14:30 Uhr
Harte Gefühle, Beat-Bestrafung
Urban Art Forms
Alles rund ums Festival auf fm4.orf.at/urbanartforms2014
Wilde, unerschrockene Männer flogen durch die Luft. Auf ihren Motorrädern schossen sie von Rampen und vollführten in höchsten Höhen kaum für möglich gehaltene Drehungen. Die haarsträubende Motocross Freestyle-Show "Masters of Dirt" war am Eröffnungstag des Urban Art Forms Festivals der einzige auf bzw. vor die Mainstage gebuchte Programmpunkt. Man ahnt es schon: Mit Musik hatten die "Masters of Dirt" nicht viel zu tun.
Selbst wenn man für sportliche Abendunterhaltung wenig empfänglich ist, bot die Show einiges an aufschaukelndem Nervenkitzel, allein: Was derlei Zirkusattraktion als Hauptsensation auf einem Musikfestival zu tun hat, bleibt fraglich. Sicherlich, der Adrenalin-Pegel im Publikum wollte nach oben getrieben werden und zweifellos dürfte Motocross eine urbane Kunstform sein.
Florian Wörgötter / Radio FM4
Die Begleitmusik zu den gefährlichen Ritten auf heißen Maschinen besorgte ein DJ, der sich erwartungsgemäß kaum in Subtilität übte: Die von jeglicher Zerbrechlichkeit, Feingeistigkeit, Spannung und Idee befreite Spielart von Dubstep namens "Bro-Step", die einzig auf feierlaunige Männlichkeits-Riten und Faust-in-die-Luft-Momente abzielt, war selten so nahe dran an stumpfsinnigstem Thunderdome und endgültiger Autodrom-Beschallung wie hier. Dö-dö-dö-dö-dö-dö-dö-dö.
Die glanzlose Pracht des US-amerikanischen Stadion-Phänomens "EDM" hat Zentraleuropa erreicht – am Donnerstag konnte man Zeuge des Moments werden, an dem die Blase platzte. Auf der Bühne heizten knapp bekleidete Go-Go-Girls das Geschehen an.
Es war nicht alles schlecht. Abgesehen von der Hauptbühne, die ab Freitag zu vollem Einsatz kommen wird, bespielt das Urban Art Forms Festival am Schwarzlsee fünf bis sechs Hallen, Zelte und Mini-Bühnen mit diverser elektronischer Tanzmusik zwischen Techno, Dubstep, Drum'n'Bass, Shampoowerbungs-House, Ballermann-"Electro" und da und dort, wenn man schaut, auch ein bisschen filigraner geschnitzter Beat-Lehre.
Florian Wörgötter / Radio FM4
Eine von einem Wodka-Hersteller unterstützte Bühne für im weitesten Sinne Techno und TechHouse war solide gebucht, so konnte beispielsweise dort der weltberühmte Schranz-Großmeister Chris Liebling die Menge hart, aber doch gerecht mit seinem Set im besten Sinne bestrafen. Sie wollte es nicht anders.
In der Beat Throat Stage waren die Headliner der Herzen am Start: Das übel beleumundete österreichische Duo Klangkarussell war mit einer Live-Performance zu sehen. Will heißen, die zwei Herren von der Kernbesetzung hinter dem Elektronik-Pult, plus ein Drummer und ein Mann an Synthesizer und Gitarre. Ab und zu wurde gesungen.
Man muss Klangkarussell nicht allzu übelnehmen, dass sie ein bisschen mit Fertigteilen herumprobiert haben und dass am Ende dabei dann ein Superhit rausgekommen ist. Viel mehr Folkgitarren-Düdel-House für die H&M-Kabine muss jetzt aber auch wirklich nicht mehr sein. Die Nummer "Sonnentanz" wurde dann auch recht unambitioniert dargeboten. Pflichterfüllung. Ein echtes Saxophon wäre schon drin gewesen. Das australische Duo Knife Party "interpretierte" danach Dubstep und Techno als einzige immerwährende Signalhupe. Wenn es nicht knallt, dann kann es scheinbar nichts sein.
Florian Wörgötter / Radio FM4
Der Höhepunkt des Tages, des Abends und der Nacht war aber ein Act, der nicht mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit heischen muss. Ein Mann, den auch so gut wie kein Mensch kennt: DJ Xee aus Südafrika, der sich vom frühen Abend an ungerührt, jedoch gut gelaunt und geschmeidig auf der kleinen von einem, wie es so heißt, Energy-Drink-Hersteller ausgerichteten Bühne von Dub und Reggae, über HipHop (Klassiker im Gepäck: KRS-ONE, A Tribe Called Quest) zu tatsächlich deepem, gefühlvollem House bewegte. Sehr gut.
Florian Wörgötter
Florian Wörgötter
Ein ernüchternder Warm-Up-Tag. Ab Freitag wird alles besser, viel besser. Mit Beatschmieden wie Rustie, TOKiMONSTA, salute. oder, ja auch, Partykanone Fatboy Slim, die wissen, dass in dem weiten Feld zwischen dem Zillertaler Weinfest, GTI-Treffen, Steve Reich und Stockhausen noch so einiges Terrain zu bespielen ist.
"Dance Music as it is perceived now – soul, disco, funk, techno and the many mansions of house – is, I believe, the one form of music which, even in its most degraded form, is bound up in something that closely resembles Roland Barthes' notion of jouissance, that is, rapture, bliss or transcendence."
(John Gill, "Queer Noise"; London, Cassell, 1995, p. 134)