Erstellt am: 2. 7. 2014 - 12:56 Uhr
Drei, Spotify und die Netzneutralität
Die Freiheit und Vielfalt, die wir im Internet während der letzten Jahrzehnte kennengelernt haben, ist einzigartig in der Geschichte der Menschheit. Eine ihrer Voraussetzungen ist das Prinzip der Netzneutralität. Dank ihr haben der Blog von Herrn Meier und das kleine Start-up-Unternehmen von Frau Müller die gleichen Chancen, im Netz transportiert und bemerkt zu werden, wie die Websites großer Konzerne.
Netzneutralität bedeutet, dass Provider alle Datenpakete gleich behandeln müssen. Immer wieder aber wird dieses Prinzip von einzelnen Internet-Providern missachtet. Der aktuellste Fall in Österreich wurde Anfang Juni bekannt, als der Mobilfunk-Netzbetreiber Drei einen neuen Sondertarif vorstellte. Der Musikstreamingdienst Spotify wird als Zusatzdienst angeboten, dessen Datenverbrauch vom monatlichen Internet-Volumen nicht abgezogen wird.
CC BY-SA 2.0 von Garry Knight flickr.com/garryknight
Was auf den ersten Blick vorteilhaft klingt, heißt in der Praxis: Wenn man am Smartphone das monatliche Volumen verbraucht hat, werden alle Internet-Dienste auf langsame 64 kbit/s gedrosselt - außer Spotify. Ein Internet-Dienst erhält also Vorrang auf der Datenautobahn, weil er dafür bezahlt hat.
Thomas Lohninger von der Initiative für Netzfreiheit warnt, dass ein solches Zusatzangebot nicht mehr Freiheit für den Kunden bedeute. "In Wirklichkeit entscheidet der Provider, welche Dienste mir angeboten werden. Er macht eine Vorauswahl aus den Millionen von Internetdiensten, die es da draußen gibt, und entscheidet selbst, wer die Gewinner und wer die Verlierer sind."
Regulierungsbehörde kritisiert Drei
Diese Ansicht teilt auch die Regulierungsbehörde. In einer Anfrage von Thomas Lohninger zum Drei-Spotify-Tarif antwortet deren Geschäftsstelle RTR: "Sowohl die kommerzielle als auch die technische Bevorzugung von Spotify widerspricht dem Prinzip der Netzneutralität und steht daher nicht im Einklang mit dem Positionspapier der RTR-GmbH. Mittel- und langfristig gefährden solche Verstöße gegen die Netzneutralität die Innovationskraft des Internets, da andere ähnliche Dienste benachteiligt und der Wettbewerb auf diesen Markt verzerrt wird."
Drei beschwichtigt
Mit der Meinung der RTR konfrontiert antwortet Tom Tesch, Pressesprecher von Drei: "Wir sehen durch unsere Vertriebspartnerschaft mit Spotify die Innovationskraft des Internets nicht gefährdet. Wir stehen prinzipiell allen Anbietern für Gespräche offen". Im Klartext: Jede andere Firma, die bereit ist zu zahlen, darf eh auch die Überholspur verwenden. Tesch relativiert das vieldiskutierte Prinzip auch gleich semantisch mit dem Satz: "Selbst der Begriff Netzneutralität ist nicht abschließend definiert". Doch, das ist er. Daran ändern auch PR-Nebelgranaten nichts. Netzneutralität ist das Prinzip, Datenpakete gleich zu behandeln, unabhängig von Sender, Empfänger, Inhalt und Anwendung.
CC BY 2.0 von davitydave flickr.com/dlytle
Trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen RTR und Drei ist fraglich, ob die Regulierungsbehörde eine Handhabe gegen die Verletzung der Netzneutralität seitens Drei hat. "Zwar hat die Regulierungsbehörde in der Vergangenheit einiges Drohpotential gegenüber der Industrie bewiesen, um für den Erhalt der Netzneutralität zu sorgen", schreibt Thomas Lohinger auf netzpolitik.org – eine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt es in Österreich (im Gegensatz zu den Niederlanden, zu Slowenien oder zu Chile) aber nicht. Ob die derzeitige Geschäftsführung der RTR genauso konsequent agiert wie die vorige, wird sich noch zeigen - ihr neuer Geschäftsführer Johannes Gungl war von 2008 bis 2013 selbst bei Orange, einem Mobilfunker, der inzwischen von Drei gekauft wurde.
Europaweite Regelung?
Die Initiative für Netzfreiheit fordert schon seit Jahren eine europaweite gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität – gerade auf EU-Ebene hätte man derzeit die Möglichkeit, im Rahmen der Verhandlungen zur Telekom-Binnenmarktverordnung zu einer befriedigenden Lösung zu finden.
Die Industrie jedenfalls ist weiter damit beschäftigt, Fakten zu schaffen und Schritt für Schritt das Prinzip der Netzneutralität abzuschaffen. Spotify bezahlt nicht nur in Österreich für eine Sonderstellung im Zweiklassen-Internet, sondern hat einen solchen Deal bereits in mindestens 25 Ländern abgeschlossen. Thomas Lohninger: "Man stelle sich vor, dass das, was jetzt mit Spotify in Ansätzen passiert, wirklich Schule macht. Dann kaufen wir in einigen Jahren nicht einfach nur einen Internetanschluss mit Millionen von Diensten, die inkludiert und gleichberechtigt sind – sondern wir müssen Zusatzdienste extra bezahlen. Dann muss ich mir vielleicht Youtube auswählen, damit ich es effektiv und in HD nutzen kann oder ich muss Skype extra dazu kaufen."
Ein solches Internet, segmentiert wie Kabelfernsehen, wäre nicht nur teurer und unbequemer für die Kunden, sondern würde es vor allem nichtkommerziellen Diensten schwerer machen, im Internet Aufmerksamkeit zu finden. Somit ist das Prinzip der Netzneutralität auch ein wichtiger Baustein für Meinungs- und Pressefreiheit.