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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

2. 7. 2014 - 15:42

Ein Stück vom Paradies

Die Schlager-Bühne am Donauinselfest.

Sie ist schon da. Sie kommt jeden Tag am frühen Nachmittag mit einem riesigen schwarzen Fotoalbum in der Hand und eine orange Baseballkappe auf dem Kopf. Sie ist eine Frau ohne Alter. Jeden Tag kommt sie um diese frühe Uhrzeit und geht als letzte nach Hause. Sie wartet geduldig auf ihren Liebling. Wenn der nächste Schlagerstar die Bühne betritt, leuchten ihre Augen. In ihrem Blick liest man reines und unverfälschtes Glück.

Die anderen Fans sind wie Gelsen, die ihre Fragen hinausbrummen. „Entschuldigung, Entschuldigung, wann spielt denn Nik P.? Kann ich mir ein Foto mit ihm machen? Gibt er mir ein Autogramm? Kann ich ihn auch berühren? Wird auch der Willi Gabalier da sein? Wird er für mich tanzen? Kann ich ein Foto mit ihm machen?“ Die Frau mit dem schwarzen Album aber wartet ruhig auf ihre Idole und wenn sie an der Reihe ist, gibt sie ihnen das Album zum Signieren und ihr Gesicht leuchtet.

Nik P.

Donauinselfest

Es ist zwei Uhr Nachmittags. Eine unmenschliche Hitze quält Wien und die Besucher des Donauinselfests, der größten Open-Air-Veranstaltung Europas. Die Menschenmassen werden bald die Insel wie Ameisen überfallen, um gratis ihre Idole zu sehen, Freunde zu treffen oder sich einfach anzusaufen. Vor der Schlagerbühne ist es noch ruhig. Nur zwei Betrunkene wälzen sich auf dem Boden. Der aufwärmende Akkordeonist spielt Melodien über die Liebe. Die Frau mit dem schwarzen Album wartet geduldig.

Als der Headliner Nik P. die Bühne betritt, haben sich über 10.000 Menschen versammelt. Sie empfangen ihn mit einem lauten Schrei, so als ob Pink Floyd gerade auftreten würde. Nik P. verkündet, dass er nur drei Wochen nach der Herausgabe seines neuen Albums schon Platinstatus erreicht habe. Das Publikum begrüßt diesen Fakt mit Begeisterung. Ich habe bis zu diesem Tag nie den Verdacht gehabt, dass Nik P. oder Willi Gabalier existieren. Sie sind Teil einer Kultur, der ich bisher nie begegnet bin. Das Publikum kennt sie aus dem Fernsehen und ihr Ruhm ist unglaublich. Ich versuche zu erfahren warum. Ich kann keines der Lieder von Nik P. von den anderen unterscheiden. Ich weiß nur, dass er über die Liebe singt. Auf maximal drei Akkorden. Das Publikum trinkt Wein aus Tetrapacks und kennt offenbar alle Texte.

Die Bands, die am Nachmittag spielen, singen meistens Coverversionen der Hits von ihren bekannteren Kollegen, die am Abend spielen. Seit drei Tagen höre ich deshalb Lieder, die sich ständig wiederholen. So merkt man sich also die Texte. Am dritten Tag singe ich auch mit. Vielleicht stehe ich nächstes Jahr mit einer Ziehharmonika als Aufwärmer auf der Bühne.

Die am meisten besungene Liebe, ist die Liebe zur Heimat. Fast jeder von den Auftretenden verkündet, dass Österreich das schönste Land der Welt ist. Fast jeder singt die österreichische Hymne und weht die österreichische Fahne. „Warum brauchen wir die weite Welt, wenn wir unser schönes Österreich haben!“ Das Publikum ist begeistert. Eine Sängerin in super-engen Lederhosen hat sich das Wappen Tirols auf der rechte Seite ihres Kopfes tätowiert. Vielleicht bedeutet das, „die Heimat im Kopf zu tragen“.

Im Kommunismus in Bulgarien gab es auch oft Lieder, die Bulgarien als ein Stück vom Paradies beschrieben. Das Ziel war es, den Leuten zu erklären, dass es nirgendwo auf der Welt so schön ist wie im sozialistischen Bulgarien. Die meisten betrachteten aber diese These mit einem Lächeln. Das, was sich die Ideologen des realen Sozialismus in Bulgarien erhofft haben ist auf der Donauinsel Fakt.

Es ist schon dunkel. Nik P. hat seinen letzten Akkord gespielt, das Publikum ist auf dem Weg nach Hause. Starker Regen wäscht die Überreste des Donauinselfestes weg. Vor der Bühne steht nur sie. Die Frau mit dem schwarzen Album und der Kappe. Bühnenarbeiter bringen das Bühnenbild und die Ausrüstung weg. Sie will aber nicht, dass alles zu Ende ist. Sie schließt ihre Augen und lächelt. Danach lächelt sie auch mich an. Wie ein Engel, der auf der Erde gekommen ist. Es gibt Liebe für jeden, sogar für mich. Vielleicht ist Österreich doch das Paradies auf Erden. Der Regen tropft unermüdlich weiter.