Erstellt am: 2. 7. 2014 - 18:45 Uhr
Lust For Life, Deluxe Edition
Diese Spotify-Playlist gibt einen guten Soundtrack zu diesem Text ab...
Wenige Dinge legen die vergleichsweise Belanglosigkeit vom musik-journalistischen Alltagslärm der heißen Tracks, Trends und Hypes so brutal offen wie der Tod. Beim Betreten der Wiener Oper fällt mir das wieder ein: Letzten Juli stand hier nämlich noch der große Bobby Womack auf der Bühne, jetzt ist er nicht mehr da - Rest in Peace!
Christof Moderbacher
Im Sommer 2013 war sich währenddessen die Soulsängerin Sharon Jones nach einer Krebs-Diagnose alles andere als sicher, ob sie Weihnachten noch erleben würde. Sie hat und stand schon im Jänner, nur vier Tage nach ihrer letzten Chemotherapie, wieder auf der Bühne. Dass sie sich entgegen der Einschätzung ihrer Ärzte so schnell und gut erholt hat und jetzt sogar mehr Energie hat als vorher, schreibt die 58jährige New Yorkerin im Interview vor allem gesunder Ernährung und viel "grünen Säften" (unter anderem aus Spirulina-Algen, Spinat und Grünkohl) zu.
Jones ist die Gallionsfigur von Daptone Records, das für diesen Abend im Rahmen des Jazz Fest Wien eine Super Soul Revue im Geiste von James Brown oder Stax Records versprochen hat. Also: Mehrere Sänger/innen, teils mit der selben, aber auch mit wechselnden Bands im Rücken - jedenfalls alles möglichst aus einem Guss. Dass dieses Konzept sehr gut aufgeht, steht bereits nach dem Intro der Dap-Kings, den neu vorgestellten Saun & Starr und den funky Instrumentalisten der Sugarman Three eindeutig fest.
Christof Moderbacher
Obwohl da jetzt noch keine großen Stars zu sehen waren, hat der kraftvolle und traditionsbewusste Soul-Sound die Leute bereits mehrmals aus den bequemen Opernsesseln gerissen. Und dann kommt Charles Bradley in einem blau schimmernden Bühnenanzug auf die Bühne und steigert die Dringlichkeit noch weiter. Dass seine ohnehin sehr raue Stimme heute noch etwas mehr zu kratzen scheint, hält den Soul-Veteranen mit tragischer Lebensgeschichte nicht davon ab, sie ohne Rücksicht auf Verluste einzusetzen.
Christof Moderbacher
Auch körperlich gibt Bradley alles: Bühnen-Akrobatik aus seiner Zeit als James Brown-Imitator wechselt sich mit lasziven Hüftbewegungen und Yoga-Übungen Marke Flatternder Kranich ab. Die etwas rockiger vorgetragenen Lieder aus seinen bisher zwei Alben begeistern trotzdem oder gerade deswegen - und Charles Bradley ist sichtlich glücklich und gerührt, hier sein zu dürfen.
Christof Moderbacher
Während ihr Bühnen-Vorgänger noch die ersten paar Sitzreihen umarmt, haben sich auf der Bühne - wie zuvor ohne merkbare Umbaupause - schon die zwölf Herrschaften von Antibalas bereit gemacht. Ihr mit lateinamerikanischen und karibischen Elementen versetzter Afrobeat sorgt dafür, dass ich bis zum Ende ihres Sets nicht mehr zum Sitzen kommen. Die druckvolle Blechbläser-Sektion, die wirbelnden Percussions und das funky Grundgerüst aus Schlagzeug und Bass sind körperlich ansteckend. Kein Wunder, dass Antibalas vom Management des Afrobeat-Königs Fela Kuti persönlich als Band für das Musical über dessen Leben vorgeschlagen wurden. Als einziger Wermutstropfen an diesem sensationellen Konzert bleibt der Fakt, dass der energetische Funke in einem kleineren Raum ohne weiche Sitze wohl noch um einiges intensiver aufs Publikum übergesprungen wäre...
Christof Moderbacher
Nach einer kurzen Überleitung vom Zeremonienmeister und Dap Kings-Gitarristen Binky Griptite ist dann auch schon die First Lady Of Daptone da - und tatsächlich würde man bei dieser vor Energie sprühenden Frau niemals auf die Idee kommen, dass sie vor einigen Monaten noch als todkrank galt. Sharon Jones tanzt und schreitet die Mitte der Bühne (mitunter auch an der Seite von Gästen aus dem Publikum) dermassen kraftvoll auf und ab, dass sie irgendwann ihre Schuhe ausziehen muss.
Christof Moderbacher
Die Songs ihres letzten Albums Give The People What They Want sind allesamt vor ihrer Diagnose entstanden, aber Ms. Jones deutet sie jetzt einfach teilweise um. Bestes Beispiel: Get Up And Get Out, das Autor und Dap Kings-Drummer Homer Steinweiss ursprünglich an Bettwanzen adressiert hatte und das von Sharon Jones am Album noch an einen Mannes gerichtet wird. Live auf der Bühne kanalisiert die Dame mit der Jahrzehnt-Stimme die Energie von Tina Turner, um schließlich ihre bösen Zellen mit dieser Zeile zu exorzieren: Get Up And Get Out!
Christof Moderbacher
Das Publikum ist zu diesem Zeitpunkt schon hochgradigst enthusiasmiert, es soll aber noch besser kommen: Nach und nach scharen sich weitere Musiker aus den vorhergehenden Bands zu den Dap Kings, schließlich stehen inklusive Charles Bradley und Antibalas-Sänger Amayo gute 30 Menschen auf der Bühne. Man gibt zusammen eine extrem druckvolle Version von Sly & The Family Stone's Family Affair, mischt noch etwas We Are Family dazu und wir Menschen im Publikum sind sehr froh, für knappe drei Stunden ein Teil der erweiterten Daptone-Familie gewesen zu sein. Was für ein Abend!
Christof Moderbacher