Erstellt am: 1. 7. 2014 - 19:10 Uhr
NSA von allen Seiten unter Druck
Ein Jahr nach dem Start der Enthüllungen steht die NSA sowohl in den USA wie international, wirtschaftlich wie politisch mittlerweile von allen Seiten unter Druck. Für Donnerstag ist ein weiterer Stresstest für die ohnehin belasteten Beziehungen der USA zum engen Verbündeten Deutschland zu erwarten.
Im NٰSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags werden mit Thomas Drake und William Binney zwei hochrangige Ex-Mitarbeiter der NSA befragt. Vor allem von Drake, der fließend Deutsch spricht, werden neue Einsichten in das Verhältnis zwischen dem Deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) und der NSA erwartet. Im Vorfeld dieser Befragung, die weitere transatlantische Spannungen garantiert, gab es bereits die nächste schlechte Nachricht für die IT-Unternehmen aus den USA für den Standort Deutschland.
Am Donnerstag hatte das deutsche Innenministerium überraschend bekannt gegeben, dass die seit 2005 bestehenden Verträge der Bundesregierung mit dem US-Netzbetreiber Verizon bis 2015 beendet werden. "Die im Zuge der NSA-Affäre aufgezeigten Beziehungen von fremden Nachrichtendiensten und Firmen" hätten gezeigt, "dass für die sicherheitskritische Kommunikationsinfrastruktur der Bundesregierung besonders hohe Anforderungen zu stellen sind" hieß es dazu aus dem Ministerium.
APA
Drake, Binney und "Trailblazer"
Die Kündigung erfolgte nur wenige Tage, nachdem das deutsche Nachrichtenportal netzpolitik.org aufgedeckt hatte, dass sowohl der deutsche Bundestag wie auch das gesamte deutsche Verwaltungsnetz ihre IT-Infrastruktur von diesem US-Unternehmen beziehen.
Update 2014 07 22
Dieser Absatz wurde upgedated und um eine Stellungnahme von CSC Deutschland ergänzt.
Davor war bereits die US-Beratungsfirma CSC, deren deutsches Tochterunternehmen ebenfalls Aufträge der öffentlichen Hand erhalten hatte, in die Schlagzeilen geraten. Bei diesem US-Konzern handelt es sich nicht nur um eine der ältesten Vertragsfirmen des US-Geheimdienstkomplexes. CSC war auch an einem NSA-Projekt namens "Trailblazer" beteiligt, das die NSA-Karrieren von Thomas Drake und William Binney abrupt beendet und beide Ex-Agenten finanziell ruiniert hatte.
Von CSC-Deutschland kam auf Anfrage von ORF.at folgende Stellungnahme: "Die deutschen CSC Unternehmungen handeln stets im Einklang mit den deutschen Gesetzen. Diese deutschen CSC Unternehmungen stehen in keinerlei vertraglicher Beziehung zu der US-Regierung."
Der Umstand, dass Verizon bis jetzt als Internetprovider für den deutschen Bundestag wie für die Verwaltung abwickelt, wurde bei Netzpolitik.org als "Arbeitserleichterung für die NSA" bezeichnet
Bemühte Schadensbegrenzung
Am Freitag war der neue NSA-Direktor Admiral William Rogers an die Öffentlichkeit getreten und war dabei sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht. In einem Interview mit der New York Times spielte der NSA-Direktor die Auswirkungen der Enthüllungen durch Edward Snowden herunter. Der Schaden sei zwar beträchtlich, aber deswegen würde der NSA der "Himmel auch nicht auf den Kopf fallen" sagte Rogers, dessen Äußerungen in scharfem Kontrast zu jenen seines geschassten Vorgängers Keith Alexander stehen. Der hatte von der größten Katastrophe des US-Geheimdienstwesens gesprochen, was der Realität schon eher entspricht.
Gleichwohl musste Rogers eingestehen, dass es für die NSA nun schwieriger geworden sei, Zugriff auf die Datennetze zu erhalten. Firmen wie Verizon und andere würden vor allem Daten ihrer ausländischen Kunden nicht mehr freiwillig sondern nur noch unter Zwang ausliefern.
"Verizon dient der Intelligence Community"
Vor einem Jahr hatte die Großkundenabteilung von Verizon noch so um Aufträge von Geheimdiensten geworben: "Verizon dient der 'Intelligence Community' seit mehr als 25 Jahren. Wir kennen uns aus in Technologie und haben die Experten, die den Erfolg von Geheimdienstmissionen sichern helfen." Das betreffende Angebot ist längst aus dem Netz verschwunden, denn im weiteren Verlauf der NSA-Enthüllungen verdichtet sich der Verdacht, dass es sich bei jenem ungenannten Carrier, der NSA-intern für sein "aggressive Datenweitergabepraxis" gerühmt wurde, ebenfalls um Verizon handle.
Der im Juni 2013 veröffentlichte "National Security Letter" wird Verizon da als "on behalf of MCI Communication Services" genannt. Der US-Telekomkonzern MCI war aber bereits 2005 von Verizon übernommen worden. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser generelle Durchsuchungsbefehl seit mindestens 2005 besteht und seitdem nur alle drei Monate inhaltsgleich erneuert wird.
Auch das erste von Glenn Greenwald vor einem Jahr veröffentlichte NSA-Dokument betraf diesen weltweit tätigen US-Telekomkonzern, einen der weltgrößten Anbieter von Telefonie- und Datenverbindungen. Laut dieser Verfügung des geheimen Gerichtshofs "Foreign Intelligence Surveillance Court", war Verizon angewiesen, sämtliche Verbindungsdaten aller Telefonate aus dem Ausland in die USA und umgekehrt, sowie die Verbindungsdaten aller Inlandsgespräche auf "täglicher Basis" bereitzustellen. Bei 150 Millionen Verizon-Kunden weltweit sind das pro Tag Datensätze - sehr konservativ geschätzt - im einstelligen Milliardenbereich.
Der Kurswechsel
Іn Folge änderte der Netzbetreiber, der global um die 100 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt, seine Politik. Anfang 2014 erschien plötzlich eine Art Transparenzbericht auf der Website des Unternehmens, der allerdings wenig zur Beruhigung beitrug. Allein 2013 hatte Verizon zwischen 1.000 und 2.000 solch pauschaler Überwachungsanordnungen erhalten, damit war davon auszugehen, dass der gesamte Datenverkehr dieses US-Weltkonzerns bei der NSA landet.
Thomas Drake hatte diese Praxis von Verizon in einem seiner ersten Interviews nach Bekanntwerden des Überwachungsskandals als "neue Normalität" bezeichnet, seitdem touren er und sein Kollege Binney um die Welt und nehmen sich dabei kein Blatt vor den Mund. Beide haben gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber nämlich noch eine Rechnung offen.
Die "Whistleblower" von der NSA
Drake wie Binney verloren im Zuge ihres Widerstands gegen die totalen Überwachungspläne der Regierung George W. Bush nicht nur ihre hochdotierten Posten im Geheimdienstapparat, sondern auch alle Pensionsansprüche. Zudem sorgte die NSA dafür, dass beide auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Geheimdienst keinen Fuß mehr auf den Boden bekamen und bald finanziell ruiniert waren.
Anders als Internetkonzerne, die bereits nach dem Auffliegen des Prism-Programms der NSA im Juni 2013 an die Öffentlichkeit gegangen waren, hatten die beiden führenden US-Telekoms Verizon und AT&T eisern zum Thema NSA geschwiegen. Der Schwenk Verizons im Dezember legt nahe, dass der internationale Druck auf die Konzerne schon da enorm gestiegen war.
Binney hatte sich seit seinem Eintritt im Jahr 1970 NSA-intern einen legendären Ruf aufgebaut, weil er über Expertise in gleich mehreren Fachgebieten verfügte. Anfang der 90er Jahre war er als leitender Techniker an der Automatisierung der NSA-Signalverarbeitung beteiligt, dazu galt er als glänzender Analyst und ebensoguter Code-Brecher wie Mathematiker.
Dienstantritt 11. September 2001
Thomas Drake wiederum war nach einer langen Karriere bei den Geheimdiensten von Air Force und Navy und danach bei Vertragsfirmen zur NSA gestoßen, sein Dienstantritt dort war ausgerechnet am 11. September 2001 erfolgt. Zusammen mit Binney, damals bereits Technischer Direktor, hatte sich Drake mit Eingaben beim NSA-Generalinspektor gegen das vom damaligen NSA-Direktor Michael Hayden favorisierte "Trailblazer"-Programm unbeliebt gemacht. Das von einem Іndustriekonsortium entwickelte "Trailblazer"-Programm sei erstens um ein Vielfaches teurer als das NSA-intern entwickelte "Thin-Tread-Programm", warnten die Experten, zudem sei der Ansatz dabei so fehlerhaft, dass dieses extrem breit angelegte Überwachungsprogramm nicht funktionieren werde.
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Zwei Jahre später wurde die Entwicklung an "Trailblazer" eingestellt, mit Kosten von einer Milliarde Dollar war dies der teuerste Fehlschlag in der Geschichte der NSA. Binney schied nach mehr als 30 Dienstjahren im Groll aus der Agency und versuchte mit anderen Aussteigern die Eigenentwicklung "Thin Thread" mit einer eigenen Firma an verschiedene US-Regierungsstellen zu vermarkten.
Abgeschoben, bankrott und angeklagt
Als Drake 2003 vor dem Kongessausschuss zur Untersuchung des Versagens der Geheimdienste bei den Attentaten von 11. September 2001 aussagte, war sein Ende als technischer Direktor für Software-Implementation bei der NSA bereits besiegelt. Erst wurde Drake, der wie Binney über mehr als nur eine Qualifikation verfügt, an die National Defense University abgeschoben, seine Gastprofessur für Verhaltensforschung endete 2007 abrupt, als seine "Top Secret" Clearance für ungültig erklärt wurde.
Zur selben Zeit wurde Binney vom FBI verhaftet, in Folge ging auch seine Firma bankrott. Beide wurden plötzlich verdächtigt, interne NSA-Informationen an die Presse weitergegeben haben. Gegen Drake, der mittlerweile als Verkäufer in einem Apple-Shop arbeitete, wurde 2010 Anklage erhoben, die Anschuldigung lautet auf Spionage, angedroht waren 35 Jahre Haft. Die Indizienlage dafür war allerdings so schwach, dass Drake im Jahr darauf in allen wesentlichen Punkten freigesprochen wurde.
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Keith Alexander, Geheimnisverrat
Die gnadenlose Verfolgung dieser beiden Whistleblower, die ihre Erkenntnisse und Warnungen vor "Trailblazer" zuallererst nur NSA-intern kommuniziert und Vorgesetzte wie Kontrollorgane erfolglos informiert hatten, setzt erst mit dem Amtsantritt Keith Alexanders als NSA-Direktor ein. Anders als seine Vorgänger, die alle in der Geschäftsführung von NSA-Vertragsfirmen landeten, hatte sich Alexander nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst eine Sicherheitsberatungsfirma für Firmen aus dem Finanzsektor aufgemacht und bietet seine Dienste nun ab 600.000 Dollar im Monat an.
Da solch hohe Summen auch in der Finanzwelt für Consultants absolut nicht üblich sind, steht nun der mögliche Verdacht auf den Verrat von Staatsgeheimnissen durch den ehemaligen NSA-Direktor im Raum. In einem Schreiben an die großen Lobbyverbände der Finanzwelt warnte der Abgeordnete Alan Grayson (D) quasi öffentlich davor, dass hier womöglich hochgeheime NSA-Interna verkauft würden.
Weitere Rückschläge erwartet
Die Kündigung der deutschen Bundesregierung wird sehr wahrscheinlich nicht der letzte, sondern nur der erste Rückschlag für Verizon in Europa sein. Am Montag hatte die Washington Post eine neues Snowden-Dokument veröffentlicht, das eine Liste mit ausländischen Zielen der Überwachung enthält. Dort ist auch die Europäische Zentralbank explizit aufgelistet, deren Internetprovider ebenfalls noch Verizon ist.