Erstellt am: 1. 7. 2014 - 18:32 Uhr
Oh là là: Jack White à Paris
Geht man bei der mit tausenden von Liebesschlössern behangenen Brücke von Pont Neuf über die Seine, vorbei am Louvre zur Opéra und biegt dort vor den Galeries Lafayette links ein in Richtung der riesigen Madeleine Kirche, die sich am Ende des langen Boulevards auftut, dann streckt sich bald rechts zwischen zwei noblen Wohnhäusern ein schmales Gebäude aus dem vorletzten Jahrhundert in die Höhe. Über dem Eingang leuchten weiße Buchstaben: "Olympia". Darunter brennt es groß in rot: "Jack White".
Lina Simon
Französische Straßennamen im von Franzosen gegründeten Detroit (Détroit), der Geburtsstadt von Jack White.
"Mar-an-tette, Leverette, Lannette, Lafayette, Livernois, Labrosse, Louis, Mettetal, Rochelle, Marseilles, Riopelle, Manistique, Armour! Mercier, Lemay, Tournier, Saliotte et Leroy, Montlieu, Cadieux, Neveaux, Avenue en Detroit! Well, I'm ready, I'm ready, I'm ready, ready, teddy to rock and roll!"
(Lafayette Blues, The White Stripes)
Die grellsten Töne schneiden aus den Lautsprechern. Jack White gibt ein Solo am höchsten Ende seiner glitzernden Gretsch, tauscht sie im selben Takt für eine Fender, verheiratet Jimmy Page und Van Halen, lässt seine Stimme hysterisch überschlagen und ist Rock. Er lehnt sich weit über denselben Bühnenrand, wie Hendrix im Gründungsjahr seiner Jimi Hendrix Experience auf der French Tour 1966 und dehnt straffe White Stripes Songs auf psychedelische Zehn-Minüter aus. Das Interieur des legendären Olympia passt – die bestuhlten Sitzreihen sind mit blutrotem Samt überzogen, die Bar ist schwarz-weiß-rot poliert, und sogar die Toilettes in der ältesten Konzerthalle von Paris scheinen den White Stripes gewidmet.
Lina Simon
Gleichzeitig ist die Bühne in kühles Blau getaucht und Jack White ist Blues und Gruselkabinett. Zwischen Lichterketten und einsam flackernden Kerzenattrappen musizieren sechs Schatten wie in einem obskuren Spuk-Saloon. Rechts bespielt die einstige Sängerin der mittlerweile aufgelösten Familienband Jypsi Lillie Mae Rische mindestens vier kleine Saiteninstrumente, hält eine Ukulele, zupft und strummt an ihrer Fiddle, lässt die Schultern hängen und sieht aus wie ein Geist mit Lippenstift. In der Mitte, à la Tim Burton, Jack White mit Jack White Frisur – kinnlang, nachtschwarz, mittig gescheitelt und so zersaust, als ob sich ein Rabe darin gerade ein Nest bauen würde. Darunter brennen seine Augenlider rot und ein seltsam bübisches Grinsen blitzt über das blasse Gesicht. Grinnin’ In Your Face von Son House ist der beste Song aller Zeiten meint Jack White und singt von überkochendem blauen Blut, spielt Lieder von Howlin’ Wolf und Robert Johnson und besprenkelt das Publikum mit Schweiß und Weihwasser.
David James Swanson
Lina Simon
Jack White war kürzlich unser Artist of the Week.
Für seinen Ocean of Sound schöpft White aus unendlich verschiedenen heiligen Quellen. Er schunkelt mit Pedal-Steel- und Slide-Gitarre im Hank Williams Country, für dessen posthumes Lost Notebooks Album er Textfragmente vertont hat, covert den Folk von Bob Dylan und reitet mit Isis durch den Wilden Westen und surft mit Misirlou von Dick Dale auf der New Wave von Message In A Bottle. Der Police Song lodert kurz während Steady As She Goes auf, das vor Hypocritial Kiss übergroß auf die ausverkaufte Halle losstürzt.
Das ganze Konzert wirkt wie ein langer Jam zwischen den durchgehend in fahlem Blau beleuchteten, brillanten Musikern, in dem sich Covers und Songs von Whites Solo Alben, The Dead Weather, den Raconteurs und den White Stripes fließend und neuartig ineinander morphen. Neben White selbst gibt vor allem der früher auch an The Mars Volta kontribuierende Pianist Ikey Owens überschäumende Soli, wechselt zwischen vier verschiedenen Klaviaturen, wirft die Arme wie im Fieber in die Luft und auf die Tasten. Gemeinsam mit Jack White im Rücken macht er Dead Leaves And The Dirty Ground zum aggressiven Klingstück für zwei in Acid getränkte Jazzklaviere- bzw. Orgeln, bevor White sich noch im zweiten Chorus für ein außerirdisches Riff wieder die Gitarre umschnallt.
David James Swanson
David James Swanson
Den Text deklamiert White mit pochender Halsschlagader wie in einem Rap Battle. Nicht zuletzt für sein neues Soloalbum Lazaretto borgt er sich die geschimpften Ausrufezeichen von den Beastie Boys und die klassisch übersteigerte Hip Hop Attitüde eines Kanye West. "I got three women, red, blonde, and brunette. It took a digital photograph to pick which one I like," behauptet er in Three Women. Gott ist eine Frau, sagt der Titeltrack Lazaretto, gleichzeitig weiß sich White als götter- bzw. yeezusgleich: "And even God herself has fewer plans than me."
Nachdem White mit Jay-Z einige Nummern produziert hatte, die bisher trotz ihrer, laut White "unbelievable sounding"-Qualitäten unveröffentlicht sind, hätte der Rockstar ursprünglich mit dem anderen Teil von The Throne am Yeezus Album arbeiten sollen – doch Kanye hat zur Enttäuschung Whites dann nicht mehr zurückgerufen. White übt sich seit seiner Kolloboration mit dem Detroiter Rapper Black Milk 2011, seinem ersten Hip Hop Act auf Third Man Records, inzwischen als Hip Hop Produzent, wählt für die Playlist in Paris, die unmittelbar vor seinem Konzert gespielt wird, ausnahmslos Hip Hop Tracks aus und lässt sich für seine Liveauftritte von Kanyes Bühnen-Posen inspirieren. "That might have been the greatest show I've seen in my life," meint White über sein erstes Kanye West Konzert, "it was more punk, more in-your-face than anything I've seen."
David James Swanson
Für seine Lazaretto Tour spielt Jack White hauptsächlich in den USA. Bisher bestätigte Konzerte in Europa:
- 1.7. - Amsterdam
- 3.7. - London
- 4.7. - Gdynia
- 16.11. - Brüssel
- 17.11. - Leeds
- 18.11. - Glasgow
- 19.11. - London
Trotz des majestätischen Herumgespuckes zeigt sich Jack White im Pariser Olympia sympathisch (im Gegensatz zu Kanye ganz generell) und emotional. Seine Lieder über die dunkelste Herzensqual finden in der Stadt der Liebenden besonders viel Verständnis. Vor allem bei Seven Nation Army, das White tatsächlich auch während oder gerade wegen der WM wie in einem Anfall von Manie zum Besten gibt (vorm Öffnen der Vorhänge am Anfang des Konzertes winkte der MC zum Aufheizen noch etwas mit einer riesigen Frankreich-Flagge), macht sich der kurz vorher besiegelte französische Einzug ins Viertelfinale von den Rängen aus ohrenbetäubend bemerkbar. "Come on Paris, let’s go!", ist einer der wenigen gesprochenen Sätze, die White von sich gibt. Lieber hört er den verstaubt metallischen Sound seiner elektrisch geladenen Gitarre, rauscht durch ein Spiel von zerklüfteten Tempowechseln und zergeht in seinem konzentriert geilen, schwarzen Rock and Roll Sirup.
David James Swanson
David James Swanson
Jack, merci beaucoup!