Erstellt am: 1. 7. 2014 - 13:25 Uhr
Geister
"Nur im Web!" ist hierzulande eine außergewöhnliche Ansage für ein Filmprojekt. Judith Zdesar gibt ab heute ihre experimentelle Web-Doku Geister zur Ansicht frei - mit dem freundlichen Hinweis: "Die Benutzung der Seite ist kostenfrei".
Und ehe man Verweise auf filmische Werke aus Dänemark, Japan und Nordamerika sucht, will die Eigenständigkeit der Unternehmung anerkannt werden. "Bis jetzt war es so: Man macht einen Film und reicht ihn zu Festivals ein. Idealerweise läuft er in Kinos oder einmal im Fernsehen", sagt Judith Zdesar, die für ihren ersten Langfilm "Farben einer langen Nacht" nach Grönland zog, um das Fürchten zu lernen und mit Kurzfilmen wie "Spass mit Hase" auf der Diagonale beeindruckte. Nun nimmt sie einen mit auf ein Abenteuer, das sich im Netz auftut:
Judith Zdesar
"Poveglia ist eine verlassene und unbewohnte Insel südlich von Venedig. Der Legende nach gab es dort im 18. Jahrhundert eine Psychiatrie... Seitdem wird immer wieder von mysteriösen Vorkommnissen und Erscheinungen auf der Insel berichtet", so der Text im Videoclip. Dazu schwankt die Kamera mit dem Boot, auf dem sie sich der Insel vom Meer aus nähert. "Uschi, Heike und Florian untersuchen paranormale Erscheinungen. Wir verbringen eine Nacht mit ihnen auf der Insel". 27 Sekunden, 39 Sekunden. Der Clip ist zu Ende, und man ist getriggert von den Bildern, die alles offen lassen und die Fantasie doch fluten.
Aus dem Einstiegsszeneario eines Klassiker des Horrorgenres macht Zdesar eine Webdoku. Vorausgesetzt, man klickt weiter. Denn die experimentelle Web-Doku "Geister" umfasst 150 Clips, die sich sehr nach dem Zuschauer-Verhalten zu einer größeren Erzählung fügen können. Nach jedem gesehenen Clip bekommt man neun weitere Clips vorgeschlagen. Und man muss auch gar nicht auf der Spukinsel starten.
Die Grundidee ist ein clusterförmiger Film mit einzelnen Clips, durch die man sich manövrieren kann. 2011 hat Judith Zdesar dieses Format im Rahmen des Pilotprojekts "Innovative Filmformate" des bmukk entwickelt.
Judith Zdesar
Ausgangspunkte für den Zuschauer sind drei Orte, von denen man einen wählen kann: In Wien ist es die Per Albin Hansson-Siedlung in Favoriten, wo in den 1980er Jahren drei Mädchen ermordet wurden, eines davon direkt in einem Wohnblock. Dann gibt es das fast menschenleere Dorf in Friaul, das seit einem Erdbeben Ende der 1970er Jahre leersteht. Nur ein einziger, älterer Mann verblieb in einem der Gebäude, in den Bergen. Der dritte Ort ist die Spukinsel Poveglia.
Judith Zdesar
Das reizvolle Unbekannte
Als Jugendliche – wo die Beschäftigung mit Geistern und Übersinnlichem ja durchaus üblich ist – hat Judith Zdesar stets einen Bogen um das Thema gemacht, aus Respekt und auch mangelndem Interesse. Es habe sie auch ein wenig verängstigt. Erst durch ihre experimentelle Webdoku und ihren kommenden, regulären Dokumentarfilm "Die andere Seite" hat sie sich mit Geistern, der Suche nach Transzendenz und der Angst vor der Vergänglichkeit auseinandergesetzt.
Der Begriff Geister ist dabei recht weit gefasst und geht vom "Spukgeist" bis hin zu den Dingen, die in unseren Köpfen herumspuken, die Erinnerungen oder Träume sind. Dinge, die man nicht abbilden kann, abzubilden, hat die Filmemacherin gereizt.
Clips und Sounds streifen das Horrorgenre. Immer wieder gibt es gruselig-wohlige Momente. Erster Impuls: Weiterklicken, weiterschauen.
Judith Zdesar
Dämonen und andere Phänomene
Von den USA kennt man Geschichten von regelrechten Geistesaustreibungen, aber wie ist hierzulande das Verhältnis zu Geistern? Die Wenigsten, so Zdesar, würden das Wort in den Mund nehmen, derart besetzt wäre es. In Österreich waren die Menschen sehr zurückhaltend bis ablehnend, das wäre alles ein Schmarrn, den es gar nicht gäbe. Das waren die Reaktionen bei den ersten Begegnungen.
Judith Zdesar
In der Per Albin Hansson-Siedlung hat niemand über klassische Geistergeschichten gesprochen. Hier stehen Geister für Erinnerungen und für etwas, das sich im Haus noch manifestiere. Keine Show. "Was mir begegnet ist, war immer eher klein und trotzdem emotional aufwühlend", erzählt Judith Zdesar. Der emotionale Kern interessiert sie auch mehr als das Spektakel. Es geht um Geschichten, in denen etwas passiert, das eine Grenze überschreitet, und nicht mehr verstanden werden kann, und um die Frage: Was passiert nach dem Verstehen?
Judith Zdesar
Gibt es etwas, das Judith Zdesar heute, drei Jahre nach der Formatentwicklung, anders machen würde? "Jein. Das Format hat sich von der Idee bis jetzt so entwickelt, dass ich das Gefühl habe, je einfacher, desto interessanter und spannender ist es. Und es wurde noch einfacher."
Einzig unterschätzen würde Zdesar die Filmarbeit dezidiert für das Netz nicht mehr. Was man zu sehen bekommt, haben ein Filmteam von vier Personen und der Programmierer Gerhard Sinnhuber geschaffen.
Judith Zdesar
Die Regisseurin empfiehlt, sich abends zuhause alleine vor dem Monitor oder am Laptop Geister anzuschauen. 300 Minuten Film stehen bereit. Da kann man sich mehrfach in Geisterwelten begeben.