Erstellt am: 1. 7. 2014 - 08:30 Uhr
Sieben Meter Elend
Joe Sacco setzt in seinen Arbeiten dort an, wo passende Worte fehlen. Wie kaum ein anderer hat Joe Sacco in den letzten Jahren aus Kriegsgebieten in Comicform erzählt: Palästina, Bosnien oder Gaza sind sowohl Schauplatz als auch Titel seiner mehrfach ausgezeichneten Bücher. Zu Recht gilt er als Erfinder der Comic-Reportage.
Edition Moderne / Joe Sacco
Eigentlich wollte er keine Kriegsszenen mehr zeichnen, dennoch hat er sich zu einem Projekt über den Ersten Weltkrieg überreden lassen, dem Krieg, der ihn schon seit seiner Kindheit beschäftigt.
Bereits als Zehnjähriger habe er darüber Bücher gelesen und sei schockiert gewesen über diese unvorstellbare Anzahl von Toten für Nichts und wieder Nichts. Im Laufe der Jahre habe er viele Bücher über den Ersten Weltkrieg gesammelt und gelesen – das Hauptthema in seinen Bücherregalen. Und irgendwann wollte er nicht mehr länger wie ein Geschichtsvoyeur zuschauen, sondern etwas darüber machen, erzählt er.
Joe Sacco wählte die Schlacht an der Somme in Frankreich, die am 1. Juli 1916 begann - eine der tragischsten und größten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Über eine Million Soldaten wurden allein in dieser Schlacht getötet, verwundet oder vermisst.
Davon zeichnet er ein Panorama – in einem beeindruckenden Leporello mit 24 Seiten, das auseinandergefaltet sieben Meter lang ist.
In Schwarz-Weiß erzählt es chronologisch den Tagesablauf des 1. Juli 1916: Am Anfang der Morgenspaziergang von General Haig und am Ende das Schaufeln der Gräber für die über 21.000 gefallenen Soldaten.
Edition Moderne / Joe Sacco
Dazwischen sieht man Soldaten, die Waffen transportieren, neben anderen, die für Essen anstehen, dahinter marschieren welche, schaufeln Schützengräben, drängen sich darin, werden bombardiert, kämpfen, retten Verwundete oder begraben Tote.
Joe Sacco verzichtet auf realistische Perspektiven und Proportionen und zeichnet sehr detailverliebt. Er habe sich an der mittelalterlichen Kunst orientiert, erzählt er. Manches sei stilisiert – wie die Explosionen. Beim Equipment und den Uniformen etwa habe er sich an die Ergebnisse seiner intensiven Recherche, etwa im Fotoarchiv des Imperial War Museum in London, gehalten.
Für ihn sei das Schwierige: Wie viel zeige man wovon.
Einerseits wolle er den Schrecken und das Elend des Krieges darstellen, andererseits soll sich die Leserschaft nicht abwenden, wenn er verwundete und tote Soldaten zeichnet. Aber letztlich entscheide er aus der Sicht des Künstlers.
Edition Moderne / Joe Sacco
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In einem beigelegten Booklet findet sich ein Essay des Autors und Journalisten Adam Hochschild zum 1. Juli 1916 und etliche Erklärungen zu dem Leporello. Ansonsten aber hat Joe Sacco auf Text verzichtet. Das habe sich anfangs ganz natürlich so ergeben - als er gefragt wurde, ob er ein Panorama zeichnen wolle, habe er gleich an eine Illustration gedacht, nicht an einen Comic. Text braucht er nicht. Er sei kein Historiker und wollte etwas zeigen, das alle verstehen – "and I wanted the pictures speak for itself".