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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 6. 2014 - 17:20

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 66.

AF5 - Doch keine Talentprobe: Frankreich und Nigeria verschlafen ihr Spiel, der etwas früher Erwachte gewinnt es dann. #FRAvsNGA

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Was bisher geschah:
AF1: Brasilien - Chile

AF2: Kolumbien - Uruguay

AF 3: Niederlande - Mexiko

AF 4: Costa Rica - Griechenland

Das waren Frankreich - Honduras und Iran- Nigeria

Dann Schweiz - Frankreich und Nigeria - Bosnia

Und schließlich Nigeria - Argentinien und Ecuador - Frankreich.

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Kam das nur mir so vor, oder war da viel zu wenig Leben drin in diesem Match? Ist doch ein WM-Achtelfinale, wirkte aber wie ein Übungskick zur Saisonvorbereitung. Nicht was Tempo oder Technik/Taktik betrifft, sondern so von der Grundhaltung her. Dass man dann, wenn etwas nicht gelingt, halt mit der Schulter zuckt und sich auf die nächste Szene vorbereitet; und dann wieder; und dann wieder.

Nigeria hat gut begonnen, aus der überraschenden Überlegenheit aber nichts gemacht; und sich dann im Schulterzuck-Modus selber eingelullt.
Frankreich wäre mitgegangen, hätte Deschamps nicht seinem Chef Benzema dann in Halbzeit 2 den jungen Griezmann hingestellt. Plötzlich gab es ein paar Szenen, und die zündeten die Minimal-Flamme die heute hier gereicht hat.

Ein komisches Spiel trotzdem.

Halbzeit 2: eine kleine Umstellung macht den Unterschied

Wieder beginnt Nigeria mit fast überfallsartigen Angriffen, noch immer bestaunt vom immer noch inaktiven französischen Team. Es gibt keine taktischen Ausreden
Die erste Karte im Spiel (54.): Gelb für Matuidi, der seinem Gegner arg auf den Fuß tritt; Onazi (schon wieder er) wird ewig lang behandelt und muss runter. Zunächst war Azeez bereit, jetzt (60.) kommt aber 4 Reuben Gabriel, ein zentral defensiver.

In Min 63 kommt 11 Griezmann für den völlig enttäuschenden 9 Giroud -> Benzema geht ins Sturmzentrum, Griezmann übernimmt die linke Seite.

In der 70. Minute setzen sich die beiden per Doppelpass toll durch, Enyeama und Moses verhindern aber das sichere Tor. Ist das der hallowach-Effekt? Ambrose verletzt sich in dieser Aktion, Nigeria danach wie schon zuvor bei Onazi minutenlang in Unterzahl.

Und dann geht es in dieser Tonart weiter - in Min 73 eine Doppelchance für Benzema (Schuss vor der Linie geblockt) und Cabaye (Latte). Frankreich ist jetzt endgültig im Spiel, will es übernehmen und entscheiden. Nigeria ist gefühlt immer noch einer weniger. Zwei Minuten später rettet Enyeama bei einem Benzema-Kopfball toll.

Und der erste und vielleicht einzige leichte Fehler Enyeamas im Turnier, er kriegt einen Valbuena-Corner nicht optimal weg, Pogba köpft hinter ihm sicher ein - 1:0 in der 80. Minute.

Griezmann, der personalisierte Umschwung der Partie, setzt mit einer guten Szene nach, aber so richtig aufwallend wird weder die französische Gier nach mehr noch die nigerianische Gegenwehr. Das Match bleibt in Halbzeit 2 blass - obwohl es um was geht und hier für beiden noch viel möglich wäre.

Die Schlussphase vermittelt mir nicht den Eindruck, dass Nigeria noch zurückkommen kann. 19 Uche Nwofor
kommt viel zu spät (89.) für Moses. Und in der Nachspielzeit rollt Griezmann einen Cornertrick-Cross über die Linie - 2:0, jetzt ist es fix. 18 Sissoko kommt noch für 8 Valbuena, whatever.

Griezmann war der Sturmpartner, der Benzema heute vorne gefehlt hat - und das war in Halbzeit 2 der kleine Unterschied der gereicht hatte.

Eine seltsame Halbzeit: Nigeria spielt und Frankreich staunt

Bei Nigeria sind die offensive 4 durch die Hereinnahme von Moses wieder deutlich fluider und unberechenbarer. Musa taucht links wie rechts auf, Odemwingie rechts und zentral, so wie Victor Moses, der aber auch manchmal nach links rochiert; nur Emenike ist fast immer ganz vornedrin, darf aber auch abtauchen - und wird dann durch Moses ersetzt. Insgesamt ein hervorragend orchestriertes Spiel dieser vier großen Individualisten von Fener, Stoke, ZSKA und Liverpool.

Offensiv spielt Nigeria ein 2-4-4, defensiv wird ein 4-3-3 (Odemwingie hilft) oder gar ein 4-5-1 draus

Cabaye drückt die Innenverteidiger nach außen, die drücken also die Außenverteidiger nach vorne - das macht offensiv also ein 3-4-3. Defensiv steht man gerne 4-5-1.

In Minute 13 bleibt Onazi blöd hängen und dann verletzt liegen - sieht schlecht aus, geht aber gut. Kommt Reuben Gabriel? Not yet.

Die erste Viertelstunde gehört - Überraschung! - den anrennenden Nigerianern, die mehr Druck hinter ihre Läufe und Pässe legen und so immer wieder in die Gefahrenzone kommen. Das Offsidetor von Emenike in Minute 18 zeugt davon.

Frankreich wirkt noch zögerlich, unschlüssig wie (und ob) man dieser doch nicht so dreist erwarteten Gegenwehr Herr werden soll.

Erst ein Vorstoß von Pogba, dem in der Anfangsphase einzig konstantem Faktor in Minute 22 öffnet den heute nur zweifarbigen die Tür zum Match. Aber auch nur bedingt. Nigeria ist weitaus engagierter, weitaus forscher, deutlich kombinationssüchtiger.

Frankreich sieht immer noch erstaunt zu. Das wird auf Dauer wohl zu wenig sein. Ein Konter der beiden Rechten (Valbuena und Debuchy) als einzig erwähnenswerter Abschluss?

Emenikes Kanonenschuss eine Minute vor der Halbzeitpause sollte als letzte Warnung laut genug gewesen sein.

Die Aufstellungen

Frankreich in weiß-blau mit
1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 21 Koscielny, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 9 Giroud, 10 Benzema

Deschamps ohne viel Personalprobleme: 5 Sakho ist nicht fit, 18 Moussa Sissoko muss weichen. Evra und Pogba sind belastet.

Nigeria in grün mit
1 Enyeama; 5 Ambrose, 2 Yobo (K), 22 Omeruo, 13 Oshaniwa; 17 Onazi, 10 John Obi Mikel; 7 Musa, 8 Odemwingie, 9 Emenike, 11 Victor Moses

18 Babatunde ist ebenso wie 14 Oboabona verletzt, überraschenderweise ist dafür Moses zurück. Gelbbelastet sind Mikel, Omerua und Oshaniwa.

Im Estádio Nacional de Brasília Mane Garrincha in der Hauptstadt Brasília leitet Mark Geiger (USA) die Partie.

Was vor dem Match zu sagen ist

Es mag hart klingen, aber: es gibt bei diesem Turnier bis dato nur eine einzige europäische Mannschaft, die mir durchgehend Freude gemacht hat; ganz ohne aufkommende Zweifel wie im Fall ihrer kleinen nördlichen Nachbarn - und auch ohne die Einschränkungen ihres befehdeten Kanal-Gegenübers, dessen Mannschaft ich wohl schon zu sehr in der Verfassung von in zwei Jahren vor mir sehe.

Frankreich jedoch hat sich gemacht, von Anbeginn an, ist mit beiden Füßen vorneweg ins Turnier gesprungen und hat sich ohne Netz und doppelten Boden freigespielt.
Das ist angesichts der mühseligen letzten Jahre, der verkackten WM 2010 und der mäßigen Euro '12, der teaminternen Querelen, der andauernd aufpoppenden Egos durchaus überraschend. Und es ist erstaunlich (und, ja, ich weiß, ich wiederhole das jetzt zum ca. siebtenmal, aber es ist der Schlüssel, j'en suis sûr...) dass es in Abwesenheit der Personen geschieht, die als WM-Stars vorgesehen waren, allen voran Franck Ribery.

Ribery ist ein großer Kicker, aber wohl auch ein Mannschaftsklima-Zerstörer. Nicht unbedingt dort wo er lebt (also in München) - dort kackt er nicht rein; aber bei den Besuchen beim Nationalteam geht sich das scheinbar aus. Jetzt ist Ribery raus und Frankreich läuft ohne ihn so viel besser; auch weil seine teilweise schon rechthaberischen Flanken- und Querläufe, die viel Energie der Kollegen mitverbrauchen im Team nie so wirklich gefruchtet hatten.

Didier Deschamps jedenfalls hat, rechtzeitig für die Heim-Euro 2016 eine gute Philosophie und einen entsprechenden Grundstock an Personal gefunden. Für ihn und das Team ist ab jetzt jedes weitere Match eine Chance für eine weitere Talentprobe, ohne allzu viel Druck.

Das ist eine echt gute Ausgangsposition.

Frankreich idealstartet gegen Honduras mit einem fast fröhlichen Favoritensieg mit 1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 10 Benzema, 11 Griezmann

Gegen die Schweiz gelingt dann ein Kantersieg des Spielwitzes mit einer leicht umgestellten Truppe - 1 Lloris (K); 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 18 Moussa Sissoko, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 9 Giroud, 10 Benzema
Benzema, der heimliche Chef, kam von Linksaußen und war da genauso wertvoll wie als Center.

Gegen Ecuador fehlte der nicht ganz fitte Varane und der gesperrte Cabaye, dazu wurden Debuchy und Evra geschont, und wieder eine neue Sturm-Variante probiert: 1 Lloris (K); 15 Sagna, 21 Koscielny, 5 Mamadou Sakho, 17 Digne; 19 Pogba, 22 Schneiderlin, 14 Matuidi; 18 Moussa Sissoko, 10 Benzema, 11 Griezmann

Letztlich bleibt Deschamps aber immer im 4-3-3 mit einem Sechser, zwei Achtern davor, wild anrennenden Außenverteidigern und einer Dreier-Offensive, die sehr viel rochiert. Das sieht auf dem Papier simpel aus, ist aber ausgesprochen schwer niederzuspielen.

Nigeria hatte eine holprigen Start, schaffte dann den Turnaround und bot bei seiner einzigen Niederlage (gegen Gruppensieger Argentinien) die beste Leistung, hatte Messi und Co einigemale echt auf der Schaufel.

Die recht eingängige Strategie von Stephen Keshi - der wegen des Überangebots an guten Stürmern sein eigentliches 4-3-3 in ein 4-2-4 verwandelt hat - greift dann, wenn die Mannschaft in vollem Lauf daherkommt. Das könnte bei einem flotten Hin-und-Her mit den ebenfalls stark nach vorn orientierten Franzosen ein echter Schlagabtausch werden.

Nigeria fehlt seit dem 1. Spiel Innenverteidiger Oboabona, mehr darf hinten nicht mehr passieren, die Personaldecke ist schon dünn.

Das war das nicht ganz so gelungene 4-3-3 im 1. Spiel gegen den Iran: 1 Enyeama (K); 5 Ambrose, 14 Oboabona, 22 Omeruo, 13 Oshaniwa; 17 Onazi, 10 John Obi Mikel; 5 Ramon Azeez; 7 Musa, 9 Emenike, 11 Victor Moses.

Azeez und Moses flogen für Spiel zwei, in dem man Bosnien niederringen konnte, aus dem jetzt im 4-2-4 aufgestellten Team: 1 Enyeama; 5 Ambrose, 2 Yobo (K), 22 Omeruo, 13 Oshaniwa; 17 Onazi, 10 John Obi Mikel; 18 Babatunde, 8 Odemwingie, 9 Emenike, 7 Musa.

Und genauso ging man dann auch ins Spiel gegen Argentinien. Musa ist der Player to watch, Odemwingie der eigentliche Leader vorne drin, noch zu sehr Wackelkandidat. Keshi wird wohl dennoch nicht viel wechseln.

Keshi war Teil des großen Teams, das bei den WMs 94/98 dabei und dort gefühlt viel weitergekommen ist als nur ins Achtelfinale.

Die Prämienstreiterein der letzten Woche sind (leider) nichts ungewöhnliches, sollten sich also nicht belastend auswirken.