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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 6. 2014 - 17:28

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 64.

AF3 - und wieder einmal trifft Montezuma auf Cortés, und scheitert am Finanzwirtschafts-Modell Van Gaals #NEDvsMEX

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Was bisher geschah:
AF1: Brasilien - Chile

AF2: Kolumbien - Uruguay

Das waren Mexiko - Kamerun und Spanien - Niederlande

In Runde 2 dann Brasilien - Mexiko und Australien - Niederlande

Und schließlich noch Niederlande - Chile und Kroatien - Mexiko

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Ich kann dem vor dem Spiel Geäußerten nichts hinzufügen: Mir kommt der Brechreiz hoch bei einer Spielanlage, die auf reine Destruktivität ausgerichtet ist, aus einer klinisch toten, reaktiven Position heraus auf einen lucky punch hofft, und sich dann erst im Fall eines eigenen Rückstands bequemt ernsthaft am Fußballspiel teilzunehmen.

Mich interessiert nicht eine Sekunde lang, ob ein solches Spiel erfolgreich ist - es ist obszön und ein Verbrechen.

Das Spiel der Niederlande funktioniert wie ein autokratisches Regime, ich brauche gar keine Namen und Nationen zu nennen - auch die sind wirtschaftlich, also resultatmäßig, erfolgreich; aber zutiefst antidemokratisch und gegen die Menschenwürde gerichtet. So wie dieser holländische Ansatz gegen den Fußball, gegen das Spiel, gegen den Sport an sich gerichtet ist.

Die Niederlande spielen so, wie es die Ratingagenturen dieser Welt lässig finden: auf Erfolg, ohne selber etwas einzusetzen. Effizienz auf Kosten der realwirtschaftlichen Regeln. Van Gaal hat die Untaten der Finanzwirtschaft auf den Fußball umgelegt. Und verdient damit nicht nur meinen Hass.

Und dann die Schlussphase, die Holland gehört

Nach 70 Minuten steht Mexiko jetzt massiv unter Druck - stärker als je gegen Brasilien, aber ohne die Chancendichte (die damals Tormann Ochoa zunichte machte). Die Holländer setzen am ehesten auf eine Robben-Schwalbe und einen Elfer. Van Persie ist nicht so recht in der Partie, alles hängt an Sneijder, Depay und dem Fallsüchtigen. Die Passqualität aus dem Defensivverbund ist ebenso mau wie in Halbzeit eins, wo ja auch nur ein, zwei Bälle durchgingen.

Robben scheitert nach 75 Minuten an der rechten Stange an Ochoa, und dann der übliche Tausch 14 Chicharito Hernandez für 19 Peralta, und eine Minute später dann 19 Huntelaar für den wirkungslosen 9 Van Persie. Kapitän ist jetzt Robben.

Trinkpause in Minute 76.
Van Gaal in der Schlussphase jetzt mit 1 Cillessen; 15 Kuyt, 3 De Vrij, 2 Vlaar, 4 Martins Indi; 20 Wijnaldum, 5 Daley Blind, 10 Sneijder; 11 Robben (K), 19 Huntelaar, 21 Depay - im 4-3-3.

Aquino zerrt das Spiel geschickt auf den rechten Flügel der Mexikaner, auf die schwache Martins Indi-Seite der Holländer. Defensiv reiht er sich jetzt in ein 5-4-1 ein, links neben Herrera.

Das 1:1 fällt dann in Minute 88., nach einem Corner erwischt Sneijder den Rebound aus 20 Metern perfekt, flach, links, unhaltbar. Richtige Chancen hatte man sich davor (außer einmal Huntelaar offside) nicht erarbeitet.

6 Minuten werden nachgespielt - und dann zieht Robben seinen Elfer, fällt über Marquez, wieder eine Showeinlage, wieder fällt ein Schiri drauf rein. Marquez kriegt gelb, wäre im nächsten Match gesperrt, ist aber grade ganz egal.
Huntelaar nimmt den Ball und macht das 2:1, flach links, sicher.

Das Match ist gelaufen.

Mexiko knackt die Nuss und dann kommt Holland endlich

Halbzeit 2, 5 Diego Reyes kommt um 19:05 für den verletzten Moreno als linker Innenverteidiger.

Minute 48: Giovani dos Samtos kriegt einen Ball 20 Meter vorm Tor, geht noch ein Stück und macht das Optimum draus - 0:1.

Extrem wichtig ist das, denn jetzt wird sich rausstellen: Was kann Holland wirklich? Hintenreinstellen und querspielen und auf den lucky punch warten wird jetzt nicht reichen. Es braucht eine Idee, eine Änderung des Matchplans, der Philosophie dieser WM.

Zunächst setzt aber El Tri nach (Peralta kriegt auch einen guten Schuss) - die Elftal braucht Minuten, um auch nur in Strafraumnähe zu kommen.

Van Gaal stellt um, bringt nach elf Minuten 21 Depay für 12 Verhaeg. Kuyt geht nach rechts in eine Viererabwehr, Depay ist jetzt linker Flügel, Robben rechts, also das alte 4-3-3 mit Sneijder als vorderstem Mann im Mittelfeld.

Nach einem Corner eine Minute später kriegt Ochoa wieder mit einem Reflex einen De Vrij-Ball an die Innenstange und raus. Der Druck der Oranje ist jetzt also da - und die mexikanische Konterqualität kann jetzt schlagend werden.

Mexiko wechselt (61.), um zu reagieren: 20 Javier Aquino, ein schneller Außenspieler kommt für 10 Dos Santos.

Die Charakteristik des Spiels hat sich total gewandelt: Aus einem reaktiven Witz ist das hyperaktive Gegenteil geworden. Robben spielt jetzt, statt nur mit Aua! hinzuplumpsen; und das kann er sogar noch besser. Das Match läuft über ihn und Depay auf der linken Flanke, die anderen tragen noch nicht allzuviel bei.

Mexiko erholt sich nur langsam aus der aktuellen Druckphase, mit einem Offsidetor aus dem ersten guten Gegenkonter (Min 67.). Gelb für Aguilar - der zieht eine Matchsperre fürs Viertelfinale.

Halbzeit 1: Mexiko führte den Gegner ohne Absicht vor, die Niederlande dekonstruiert sich selber

Mexiko beginnt forsch, vor allem über Layun und Herrera, die mit beherzten Läufen zeigen, wo das holländische Spiel Schwachstellen hat: in der Beantwortung schneller Antritte und bissiger Passes.

Robben beginnt weit links draußen. De Vrij und Vlaar spielen heute vertauscht. Vlaar hat den Auftrag Peralta niederzutreten. Kuyt ist wieder linker Außenverteidiger
Nach 9 Minuten humpelt 6 de Jong angeschlagen raus, für ihn kommt 4 Martins Indi, der geht in die halblinke Innenverteidiger-Position, dafür geht 5 Daley Blind in die Zentrale neben Wijnaldum.

Die Elftal hat in den ersten zehn Minuten nichts Sinnhaftes unternommen, wie immer bei dieser WM nur reagiert. Was funktioniert: das diesmal etwas höher angesetzte Pressing. Was nicht funktioniert: Mexiko rauszulocken wie Spanien oder Chile und sie dann totzukontern.

Mexiko schafft es trotzdem sich in aller Vorsicht in Tornähe und -gefahr zu bringen - einfach durch bessere Kombinationen, Passes, Dribblings (in Unterzahl gegen die oft 9-köpfige Abwehr). Und so rollt in der 17. Minute Herrera den Ball nach einer guten Aktion nach dummem Martins Indi-Fehler knappest neben der Stange vorbei.

Umgekehrt schafft es Mexiko tatsächlich ein-, zweimal Holland in einen Angriff zu zwingen und ihnen dann dort vorzuzeigen, wie lächerlich und ideenlos sie dann rüberkommen.

Was heute besonders augenfällig wird: Cillessen ist nur ein recht durchschnittlicher Tormann.
Was besonders überrascht: die klare technische Überlegenheit der Mittelamerikaner.

Die Holländer sehen da echt alt aus, erschütternd ist das, Bälle hoch rausdreschen, querschieben, hinterherrennen und dann den einen langen Ball in die Spitze spielen, aus dem ein Einzelner dann das Tor machen soll.

Sowas findet Herr Koller toll? Vielleicht tut ihm die Hitze nicht gut. Trinkpause nach 30 Minuten.

Den Holländern bei diesem Quergeschiebe zusehen zu müssen, tut unendlich weh; mir zumindest, der ihren Fußball und ihren Zugang über alles liebt, nein, geliebt hat. Wer das neue holländische Spiel toll findet, dem kann ich echt nur empfehlen sich helfen zu lassen.

Mit einer Dos-Santos-Chance, einmal Martins Indi-Nachtreten (ohne Konsequenz), dem nicht gegebenen Elfer (ausgleichende Robben-Gerechtigkeit) und der Verletzung von Moreno taumelt das Match in die Halbzeitpause. Und wieder einmal ist der holländische Albtraum prolongiert worden.

Die Aufstellungen

Die Niederlande in Orange mit
1 Cillessen; 12 Verhaeg, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 5 Daley Blind. 15 Kuyt; 20 Wijnaldum, 6 Nigel de Jong; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K)

Van Gaal also wieder im 5-2-3. Paul Verhaeg ersetzt 7 Janmaat, 17 Lens ist draußen, 4 Martins Indi weiter verletzt, Wijnaldum erhält weiterhin vor 8 De Guzman den Vorzug. Gelbgefährdet sind de Vrij und Blind.

Mexiko spielt in Grün-Weiß mit
13 Guillermo Ochoa; 22 Paul Aguilar, 2 Maza Rodriguez, 4 Rafael Marquez (K), 15 Hector Moreno, 7 Layun; 6 Hector Herrera, 3 Salcido, 18 Guardado; 10 Giovani dos Santos, 19 Peralta

Miguel Herrera muss seinen zentralen Mittelfeldmann, den gesperrten 23 Jose Juan Vasquez ersetzen - ein unauffälliger aber schwerwiegender Vorfall, denn ob der alte Salcido gleichwertige Arbeit abliefern kann...
Edeljoker ist wie immer 14 Javier Chicharito Hernandez. Gefährdet sind Marquez, Moreno und Aguilar.

Im Estádio Castelão in Fortaleza pfeift Pedro Proenca aus Portugal, auch so ein Finalkandidat. Es ist schweineheiß, trinkpausenheiß.

Was vor dem Spiel zu sagen ist

Marcel Koller ist vom Spiel der Holländer begeistert. Und ich kenne noch andere, durchaus kompetente und meinungssichere Menschen, die ebenso oder zumindest so ähnlich denken.
Ich kann damit auch weiterhin nicht dienen. Das schöne Spiel der Holländer, mit dem ich 1972/3 als Kind in die Welt des Fußballs hineingeholt worden bin, das seitdem all meine fußballerischen Partnerwahlen geprägt hat, ist mir im Finale 2010 verlorengegangen und wurde seitdem nicht mehr wieder auf den Spielplan gesetzt.

Schlimmer noch: Louis Van Gaal hat den neuen, in jeder Hinsicht (ob von der Härte, dem Dauer-Gemaule, der Schwalben-Krankheit oder der Philosophie, der Spielanlage) destruktiven Ansatz der Oranje noch perfektioniert (ich meine: perfidiert) indem er ihm auch noch das hässliche Gesicht einer Fünfer-Abwehr ganz alten Schlags verpasst hat. Davor zwei stumpfe Sechser und davor drei Kreative, die es mit ein bissl Unterstützung der Außen, mit langen Bällen, mit Fallsucht und anderen Tricks mehr gefälligst allein probieren sollen. Und das bislang auch geschafft haben.
Auch wenn mittlerweile jedem WM-Schiri klar sein sollte, dass nur jeder zehnte Sturz von Robben auch ein Foul ist.

Das, was Van Gaal macht, ist raffiniert - zuletzt etwa Dirk Kuyt als linken Verteidiger aufzustellen, hat sogar was Freibeuterhaftes. Aber genau das finde ich obszön: eine Nationalmannschaft, die über genügend Akteure verfügen kann, deren taktisches, technisches und spielerisches Potential wirklichen Weltklassefußball auszulösen vermag, mit echten Stars und Leaderfiguren, mit allen notwendigen Typen, mit einer multinationalen Mischung, die Geert Wilders regelmäßig zur Weißglut treibt, lässt sich dann dazu hinreißen wie eine Truppe mit höchst limitierten Mitteln aufzutreten, die ihren destruktiven, reaktiven Fußball spielen muss, weil sie nicht anders kann; wie Griechenland etwa.

Nun sind die Griechen arm dran, weil sie's echt nicht anders können. Die hassen zwar alle (sportlich), aber niemand würd's ihnen zum Vorwurf machen. Den Holländern steht dieses Recht aber sehr wohl zu. Wenn sie bei dieser WM auf Edel-Grieche machen, brauchen sie alle Vorwürfe der Fußball-Welt.

Spiel 1 gegen Spanien bestritt Van Gaal mit 1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 4 Martins Indi, 5 Daley Blind; 6 De Jong, 8 De Guzman; 10 Sneijder; 11 Robben, 9 Van Persie (K), also dem seitdem maßgeblichen 5-2-3.

In Match 2 gegen Australien, als zb Mehmet Scholl, doch mehr Showman als echter Experte, eine logische Änderung erwartete, gab es die identische Grundformation.

Und in Spiel 3, dem Finale um den Gruppensieg gegen Chile änderte Van Gaal nur das Personal: 1 Cillessen; 7 Janmaat, 2 Vlaar, 3 De Vrij, 5 Daley Blind. 15 Kuyt; 20 Wijnaldum, 6 Nigel de Jong; 10 Sneijder; 11 Robben (K), 17 Lens.
Martins Indi war verletzt, Van Persie gesperrt und De Guzman zu schwach.

Warum sich also gegen Mexiko jetzt im Achtelfinale verändern?

Mexiko hat sich in einem guten Spiel gegen Kamerun, einem sehr sehr guten Spiel gegen Brasilien und in einem bestätigend guten Spiel gegen Kroatien against all pre-odds (auch meine) durchgesetzt. Unter anderem, weil sie auch auf eine Fünfer-Abwehr umgestellt hatten - um die schlechte Quali zu vergessen.
Nur: Das mexikanische 5-3-2 steht defensiv zwar noch sicherer als Holland (man hat ja auch weniger Tore kassiert), denkt aber strukturell stets offensiv, ist in jeder Situation aktiv, nie reaktiv.

Und selbst wenn sich einmal eine Spielsituation einstellt, die einen solchen Augenschein erlaubt (wie gegen Brasilien, als man zu keiner wirklichen Torchance kam, mit dem 0:0 zufrieden war) - Mexiko als vergleichsweise kleiner Player der Fußball-Geschichte dürfte das sogar.

Schließlich hat der Primus der Nord/Mittelamerika-Zone es in der Neuzeit noch nie übers Achtelfinale hinaus geschafft. Im übrigen ist auch deshalb meine Hoffnung, dass die konstruktive Defensive Mexikos die destruktive Defensive der Niederlande stoppt, recht gering. So wie Moctezuma eben auch jeden weiteren Kampf gegen Cortes unter denselben Umständen wohl verlieren würde.

Mexiko bestritt alle Spiele bislang mit derselben Start-Formation:
13 Guillermo Ochoa; 22 Paul Aguilar, 2 Maza Rodriguez, 4 Rafael Marquez (K), 15 Hector Moreno, 7 Layun; 6 Hector Herrera, 23 J.J. Vasquez, 18 Guardado; 10 Giovani dos Santos, 19 Peralta.
Als Einwechsler kam meist 14 Javier Chicharito Hernandez zum Zug.