Erstellt am: 28. 6. 2014 - 08:50 Uhr
Dämon Superstaat, der harmlose Trip und die Autokorrektur
Geschrieben am Gate in Schwechat, auf der Rückfahrt nach Hause:
Jetzt bin ich wieder kurz in Wien gewesen und schon wieder geheilt von der Illusion, dass nationale Neurosen in Großbritannien schlimmer wären als anderswo. Oder zumindest als in Österreich (ja, ich mein das mit der Hymne, ehrlich, ihr hättet die deutschen Tourist_innen im Flughafenzug ihre Gratisausgabe von "Österreich" kommentieren hören sollen).
Gleichzeitig haben sich in der vorgestern hinter mir gelassenen Wahlheimat schlimme Sachen zugetragen. Der Premierminister gedemütigt, die schlechteste EM, an der er je teilgenommen hat, 26:2 verloren, weil die Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten entgegen seiner Erwartungen nicht erst nach Abgabe der Urnen ausgeboxt wurden (gemischte Sportmetaphern, ich sollte früher schlafen gehen).
Wo wir gerade beim Thema sind: Ist schon jemand aufgefallen, dass die Autokorrektur-Narretei in letzter Zeit auf allen möglichen Ebenen zunehmend rabiater geworden ist? Neulich zum Beispiel tippe ich "renationalisation" (Rückverstaatlichung, auf British Englisch) dahin, und mein Facebook macht glatt selbsttätig das Gegenteil, nämlich "denationalization" (Entstaatlichung, auf Amerikanisch) draus. Dann probier ich dasselbe auf meinem Twitter. Detto.
Noch kann ich das wieder zurück korrigieren. Noch. Aber die Autokorrektur hat bereits ideologisch prägendes Potential, da fragt man sich zumindest: Kann es sein, dass es das, was ich schreiben wollte, überhaupt gar nicht gibt?
Zumindest lässt mich die deutsche Version der Autokorrektur noch "Rückverstaatlichung" schreiben. Vom "Postfordismus" hat sie dagegen noch nie was gehört, genausowenig wie vom "Globalisierungsverlierer", und – wie unverschwörerisch banal – wenn ich "Ausdrucken" will, macht sie "Ausdrücken" draus. Kann also gut sein, dass sie geistig einfach nicht besonders weit gereist ist, die Autokorrektur. Man kommt sich vor wie in den ersten zehn Minuten von "Lego – The Movie", aber sowieso andauernd.
Wie viele verschiedene, simultane Versionen der Selbstgerechtigkeit vereint erreichen können, was keine_r will, haben wir nun schon vor hundert Jahren erlebt (nein, haben wir eben nicht, das ist ja offenbar gerade das Problem), aber die Doublespeak, die dabei hilft, wird immer wieder neu erfunden.
Die eingebaute Autokorrektur des politischen britischen Sprachgebrauchs zum Beispiel hat es so weit gebracht, dass das Wort "federalist" ungefähr gleichbedeutend mit "hirnverbrannter, totalitärer Weltbeherrschungsfantast mit verdächtig kontinentalem Akzent" verwendet werden kann.
Und kaum hast du dich's versehen, verwendet selbst der mit allen Wassern der institutionellen Ausgewogenheit gewaschene BBC-Reporter im Morgenradio in seinem Bericht, der Juncker elegant Alkoholismus unterstellt (er tut das, indem er sagt, dass niemand, mit dem er in Luxembourg sprach, diese Unterstellung bestätigen will – aha, verdächtig!), die von Premierminister Cameron geprägte Floskel des "parliamentary power grab".

Robert Rotifer
Zur Erklärung, weil man es fast nicht glauben mag: Wenn ein gerade gewähltes Parlament sich Macht anmaßt, ist das der Wahrnehmung der britischen Medien zufolge quasi ein autoritärer Putsch.
Dem gegenüber steht die offenbar viel demokratischere bisherige Praxis, dass die "elected heads of state" sich den Kommissionspräsidenten auszusuchen pflegten.
So spricht Cameron, der selber vor vier Jahren von 36 Prozent (von 65 Prozent der britischen Wahlberechtigten) gewählt wurde und seither von Gnaden eines pro-europäischen, liberaldemokratischen Koalitionspartners regiert (der ihm in seiner Anti-Juncker-Hysterie aber mittlerweile genauso recht gibt wie die Opposition, weil vor den britischen Medien niemand weich gegenüber Brüssel ausschauen will).
Völlig selbstverständlich wiederholt diese Formulierung dann der in seiner Welt der Doppelsprache gefangene Korrespondent einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die ihr Publikum vor den Wahlen über das Spitzenkandidatensystem genauso im Dunkeln ließ wie der politische Mainstream.
Unter lauter sturen foreigners, samt und sonders "insiders" von der "old guard", die alle komisch reden, steht man ganz allein da mit seinem Willen zur "Reform", von der man aus Prinzip nie sagt, welche.
Wenn man nicht das puterrote Gesicht, die indigniert flatternde Sturmfrisur, und die fest an seine Aktenmappe geklammerte Hand Camerons sähe, wenn man ihn nicht schäumen hörte, dass dieser Juncker eine "Katastrophe für Europa" sei und wüsste, dass der Typ nicht schauspielen kann, man könnte fast glauben, es wäre alles nur ein großes Täuschungsmanöver, um uns Deppen vorzugaukeln, dieser Kampf gegen den Dämon Superstaat sei mehr als nur ein Zank um die Straßenkarte an Bord eines Google-Maps-gesteuerten Self-drive-Autos, das unbeirrt in Richtung der Aufgabe politischer Souveränität an die Konzerne steuert.
Aus TTIP – eine internationale Partnerschaft, auf die sich interessanterweise Tories, Labour und Libdems ganz widerspruchslos einigen können, während UKIP dazu schweigt – macht die Autokorrektur übrigens einen ganz harmlosen "trip".