Erstellt am: 27. 6. 2014 - 16:15 Uhr
Der spornosexuelle Mann
Der spornosexuelle Mann, das ist der post-metrosexuelle Mann, denn beide Wortschöpfungen verdanken wir dem britischen Journalisten Mark Simpson, der seit 20 Jahren schon in der Männerforschung tätig ist und erfolgreich Konzepte männlicher Selbstdarstellung beobachtet, erfindet und etikettiert. Schon seit einigen Jahren versucht er seine neueste Schöpfung "Spornosexuells" (When Sport meets Porn) in den Medien zu lancieren – aber keiner wollte bislang so richtig einsteigen. Aber jetzt ist WM, Zeit des Körperkults und des Trikotwechsels, und so druckte der Telegraph vergangene Woche den Simpsonschen Essay zum Thema und endlich hat die Weltpresse angebissen.
APA/EPA/JOSE SENA GOULAO
Aber eigentlich ein alter Hut: Seit den Neunzigern haben sich Sport und Porno vermischt. Ob David Beckham als Unterwäschemodel posierte oder sich die italienische Nationalmannschaft in Dolce&Gabbana-Slips ablichten ließ - Sport wurde immer mehr zum visuellen Angebot, das auch pornografisch gelesen werden kann.
Aber was macht heute die Spornosexuellen aus? Es sind Männer, die die ästhetischen Standards von Sport und Pornografie zu verbinden wissen, Männer, denen ihr gestählter Torso über alles geht, Männer die ein selbstverliebtes Oben-Ohne-Selfie nach dem andern posten und twittern. Spornosexualität funktioniert nämlich nur mit Facebook und Co, sagt ihr Erfinder Simpson: "Für die heutige Generation sind Social-Media-Plattformen, Porno und Selfies die maßgeblichen Faktoren der männlichen Sehnsucht, begehrt zu werden."
Wer nun Zweifel an dem neuen Männerbild anmeldet, weil er den Metrosexuellen schon für ein recht ausgedachtes Phänomen gehalten hat, dass nur einen Vertreter, nämlich David Beckham hatte, kriegt vorgehalten, dass sich der gepflegte, modisch interessierte Metrosexuelle immerhin 20 Jahre in den Medien gehalten hat, bevor er vom körperbehaarten echten Kerl, dem retrosexuellen, eher wölfischen Mann à la Hugh Jackman, abgelöst wurde. Metro- und Retrosexuelle sind aber jetzt aus der Mode.
Aber steckt hinter diesen neuen Etiketten nicht nur die Konsum- und Werbeindustrie? Der Mann an sich war ja bis weit in die Neunziger hinein noch ein Problemkunde: Er kaufte ungern ein, kannte noch nicht mal die eigene Hosengröße und mied alle Pflegeprodukte, ausgenommen stinkendes Rasierwasser, wie der Teufel das Weihwasser. Männliche Eitelkeit galt als weibisch, schwul, pervers.
Dann kam die Erfindung des Metrosexuellen, der sich sogar für Accessoires, schicke Schuhe, Handtaschen (Manbags), Schmuck und Gürtel, aber auch hübsche Haarschnitte interessierte, der gerne einkaufen ging. Der Spornosexuelle hingegen ist kein allzu guter Konsument. Schließlich ist der Körper sein wichtigstes Accessoire, Cristiano Ronaldo oder Mario Balotelli als narzisstische, übersexualisierte Männerpersönlichkeiten, sind seine Role Models.
APA/LEONHARD FOEGER
Ihnen eifert der Spornosexuelle nach und modelliert seinen Körper täglich im Fitnessstudio. Er hat ein zärtliches Verhältnis zu seinen ausdefinierten Muskeln und nicht zu modischen Accessoires. Die braucht er nicht, er braucht nur sich selbst, seinen Körper, ein Fitnessabo und eine Handykamera.
Da es sein einziges Ziel ist, nackt gut auszusehen, und die Früchte seiner Körperarbeit, seine ausgeprägte Muskulatur samt – Bizeps-Trizeps-Sixpack auszustellen, ist er nicht süchtig nach Konsum, sondern danach, seinen Oberkörper zu entblößen. Das Selfie gibt dem Spornosexuellen die Möglichkeit, nicht nur live im Fitnessstudio oder am Strand, sondern überall bewundert zu werden.
Was sagt uns das alles? Wäre frau zur Häme veranlagt, würde sie mit Genugtuung sehen, dass der männliche Körper sich nun den gleichen Vermarktungsstrategien unterwerfen muss wie der weibliche. Dass der hypersexualisierte Mann sich aus freien Stücken zum Objekt der Begierde macht. Dass Männer sich jetzt auch anstrengen, abnehmen, an den richtigen Stellen zunehmen, Yoga machen, Gewichte stemmen, joggen, waxen, peelen und immer wieder selbst optimieren müssen...
Bevor wir uns aber großzügig darüber auslassen, das dies auch nicht der Sinn der Emanzipation und das Ziel des Feminismus sein kann, müssen wir auch einer Tatsache ins Auge blicken:
Bislang ist in Berlin noch kein einziger Sporno entdeckt worden, noch nicht mal in den In-Vierteln! Und bei Licht betrachtet ist in den letzten 20 Jahren auch kein echter Metrosexueller, außer Beckham, hier aufgetaucht. Im Gegenteil, die älteren männlichen Einwohner und Besucher tragen bei schönem Wetter unbeirrt kurze Hosen, dazu Sandaletten mit weißen Strümpfen. Auch jüngere Großstadtmänner zeigen äußerlich selten einen Hang zur Überpflegung und haben ein recht unverkrampftes Verhältnis zum eigenen unvollkommenen Körper samt Brust-, Achsel- und Beinbehaarung.
Gut, in den Berliner Freibädern hat man und frau schon immer gerne den tätowierten, definierten, gebräunten Körper gezeigt, Bauarbeiter machen sich im Sommer gerne mal obenrum frei, in den Parks und an den Ufern liegt man nach wie vor gerne unbekleidet herum – aber wenn das Sporno ist, ist es schon uralt.
Wir prophezeien also "Sporno" keine große Karriere, nicht zuletzt weil es ein unschönes Wort ist, das man nicht gerne ausspricht.