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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 6. 2014 - 21:20

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 60.

Das letzte Sechzehntelfinale und Afrika nützt die 2. Chance #ALGvsRUS

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Die letzten Gruppenspiele für E und F: was zu Nigeria - Argentinien, nix zu Iran - Bosnien, und dann eine Konferenz zu Ecuador - Frankreich und Honduras vs Schweiz.

Die letzten Gruppenspiele für C und D: zu Griechenland - Cote d'Ivorie und Italien - Uruguay gibt's was, zu Costa Rica - England und Japan - Kolumbien nicht.

Die letzten Gruppenspiele für A und B: Nederland - Chile und Kroatien - Mexiko hab ich gecovert, die Parallelspiele Australien - Spanien und Kamerun - Brasilien nicht. Vielleicht später noch, wegen mangelnder Bedeutung für den weiteren Verlauf, aber wohl eher nicht.

Tag 11 mit Belgien - Russland und Südkorea - Algerien sowie USA - Portugal

Tag 10: Argentinien - Idan, Deutschland - Ghana und Nigeria - Bosnia

Tag 9: Italien - Costa Rica dann Schweiz - Frankreich und schließlich Honduras -Ecuador.

Tag 8: Kolumbien - Cote d'Ivoire und Japan - Griechenland sowie Uruguay - England

Tag 7 brachte Kamerun - Kroatien, Australien - Niederlande und Spanien - Chile.

Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.

Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.

Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.

Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.

Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien

Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Algerien im Achtelfinale!
Gegen Deutschland!
Endlich die Möglichkeit zur Revanche für Gijon!
Ich freu mich!

Das Ende der Gruppe H:

Belgien hat ein ganzes Spiel lang gebraucht, um sich einmal mit der Situation, everybody's Geheimfavaorit zu sein, zurecht zu finden. Zudem hat sich Coach Wilmots verplant - erst sein Rückstieg in der Halbzeit gegen Algerien brachte die roten Teufel halbwegs auf Kurs. Es folgte ein okayes Match gegen Russland und ein wenig relevantes drittes mit nur halber Kraft. So ist der Co-Favoriten-Status zurecht weg, Belgien nur eine ganz normale europäische Mannschaft.

Dass es die Algerier werden würden, die Belgien ins Achtelfinale begleiten, war in Match 1 schon irgendwie abzusehen: zu gut war die Leistung, die die Wüstenfüchse sowohl offensiv als auch defensiv brachten, und das nicht nur in Relation zu den international kaum vorhandenen Erwartungen. Der Lohn: das Match des Jahrhunderts gegen Deutschland. Die Bilanz der beiden Nationen: zwei Spiele, zwei algerische Siege, einer 1964 und einer bei der WM 1982.

Die beiden anderen Teams zeigten schon in der direkten Begegnung, dass und warum es nicht reichen würde und auch durfte.
Südkorea hatte ein ähnliches Problem wie Japan: zu verhalten, zu statisch, zu höflich. Dass etwa Teamchef Hong in der 1. Halbzeit gegen Algerien stoisch bliebt und nichts unternahm, verhalf ihm zur schlechten Tordifferenz und der fast-schon-Chancenlosigkeit im 3. Spiel: das ist klassisches Vercoaching. Da bleibt die prinzipiell gute taktische Ausrichtung der Mansnchaft dann wirkungslos.

Russlands Mannschaft hat die von mir eingangs erwähnten Strukturprobleme zu einem Golem werden lassen, der ihr Spiel - vor allem im Zusammenhang mit der strikten Capello-Doktrin - lähmt und kaputtmacht.

Halbzeit 2: die Lässigkeit hat das rettende Remis gebracht

Nach der Pause (23:02) kommt 7 Denisov für 8 Glushakov, das ist ein reiner Positionswechsel. Feghouli hat weiter sein weißes Stirnband um den Kopf.

Nach zwei Minuten ist Samedov nach schlimmen Abwehrpatzern halbrechts durch und hat das 2:0 auf dem Fuß, lässt sich aber von Raïs M’Bolhi wegbluffen.

Die russischen Gegenstöße werden zunehmend selbstsicherer, ihre Abwehraktionen zunehmend robuster.
Algerien wird umgekehrt hinten unsicherer und vorne ungenauer. Interessanterweise ist der im Vorfeld zum russischen Hoffnungsträger hochstilisierte Kerzhakov sehr unaufällig.

Dann ziehen beide russische Außenverteidiger gelbe Karten - ein Zeichen, dass Algerien endlich den Druck erhöht?

Ja, denn in Minute 60 erwischt Slimani einen von Djabou gut herausgeholten Freistoß-Cross von Brahimi per Kopf, nachdem sich Akinfeev den zweiten großen Patzer beim Turnier leistet - 1:1.

Russland muss jetzt - eigentlich erstmals in diesem Spiel selbstständig vorgehen; etwas, was sie bis dato in Brasilien noch nicht vermochten. Dzagoev soll helfen das zu richten. Er kommt in Minute 68 für - wie immer - 17 Shatov. Er wird sich wohl zentral hinter Kerzhakov einreihen, Kokorin nach links rücken.

Halilhodžić bringt (73.) als Antwort 7 Hassan Yebda, einen bislang noch unterbeschäftigten Sicherheitsfaktor, für 11 Brahimi - er wird etwas mehr aus der Etappe kommen, das wird wohl auf ein 4-3-3 rauslaufen. Zeigt sich auf dem Feld schon in der Defensive.

Als nächster kommt 9 Ghilas, ein Konterstürmer, und zwar für 18 Djabou, den quicken Dribbler (77.). Ghilas geht nach rechts, dafür Feghouli auf die linke Seite.

Russland scheint sich zu fügen, bis auf Linksverteidiger Kombarov ist niemand wirklich an mehr interessiert. In Minute 81 nimmt Capello Kerzhakov runter und bringt 6 Kanunnikov. Ich schätze, dass jetzt Kokorin der Center sein wird und Kanunnikov die linke Seite bekommt, so wie im (misslungenen) Spiel 2.

Algerien steht defensiv jetzt 6-3-1, da ist schon Belgien fast dran verzweifelt. Und die haben deutlich mehr Qualität als Capellos blasse Truppe. Drei Minuten vor Schluss kriegt Ghilas noch gelb wegen eines Fouls an - eh klar - Kombarov, dem einzigen, der ... aber das sagte ich schon.

Trotzdem: kontertechnisch war das schwach von Algerien - kein einziger gefährlicher Vorstoß nach dem 1:1. Das geht sich nur aus, weil der Gegner eben noch schwächer ist. Letzter Tausch: 15 Soudani für 13 Slimani.

Die seltsame Passivität rund um Halbzeit 1

Algerien greift wie schon im letzten Spiel im 4-2-4 an und verteidigt dann mit einem dichten 4-2-3-1.

Russland steht genauso, baut mit den beiden Sechsern auf, die sich da noch hinter den ersten Weißen befinden, was die Anspielstationen schon einmal drastisch verringert. Medjani und Bentaleb auf der anderen Seite schieben schon deutlich weiter vor.

Feghouli blutet nach einem Luftduell am Kopf und muss draußen behandelt werden, seine Seite wird von Djabou erst spät zugemacht, Russland führt einen Konter und Kokorin verwertet eine Linksflanke perfekt ein - 0:1 in der 6. Minute.
Zwei Minuten später kommt er zurück - schlechter kann man so einen Ausfall nicht handeln; und kaum besser nutzen als die linke russische Seite (der bessere der Kombarov-Zwillinge hat geflankt).

Ohne Gekontere, im normalen Aufbau sind die Russen weiter eher schlecht, passungenau. Feghouli versucht jetzt den Rückstand im Alleingang aufzuholen, der Ehrgeiz geht mit ihm durch.

Djabou und Brahimi rochieren ununterbrochen von Zentrum nach links außen und umgekehrt.
Übrigens spielt Shatov diesmal links, während Kokorin hinter/rund um Kerzhakov herum im Zentrum agiert. Trotzdem sucht er auch weiter die Mitte, wie auch beim guten Schuss in Minute 27.

Meanwhile hat sich Algerien so eingerichtet, als würde dieses 0:1 für den Aufstieg reichen. Der letzte Pass bei ihren Versuchen, sich durchs Zentrum durchzudribbeln, klappt nicht - auch weil sie keine Überzahl-Situationen herstellen lassen. Das wiederum bindet Russland hinten, weshalb dann von ihnen nicht arg viel kommt. Die wenigen Angriffe, die klappen, sind allerdings gut gespielt, mit schönen Verlagerungen und sehr direkt, das zeugt von einer eleganten Trainer-Handschrift.

Das kann mich aber von der seltsamen Passivität dieses Spiels nicht ablenken.

Ausgangsposition in Gruppe H:

Belgien ist mit zwei Siegen durch, im letzten Spiel gegen Südkorea reicht ein Remis zum Gruppensieg, eine Niederlage aber womöglich nur zu Platz 2, also dem Achtelfinal-Ticket gegen Deutschland.
Wilmots schont zwar Kompany, Vermaelen, Witsel und Alderweireld, die Formation (erstmals mit Januzaj und auch Mirallas) sieht aber auch gut genug aus.

Südkorea hat nur bei einem (höheren) Sieg und einem gleichzeitigen knappen Sieg Russlands gegen Algerien eine Chance auf Platz 2; bei einem Remis der Kontrahenten müsste man mit drei Toren Vorsprung siegen - very unlikely. Coach Hong kommt mit neuem Tormann und neuem Center ins letzte Spiel.

Russland nützt nur ein Sieg gegen Algerien etwas, sofern er gleich hoch ist wie ein eventueller von Korea gegen Belgien.

Algerien ist bei einem Sieg weiter. Auch ein Remis kann reichen, sofern Korea nicht mit 3 Toren Unterschied gewinnt.

Die Aufstellungen

Algerien in weiß mit
23 Mbolhi; 20 Mandi, 4 Belkalem, 5 Halliche (K), 6 Mesbah; 12 Medjani, 14 Bentaleb; 10 Feghouli, 13 Slimane, 11 Brahimi, 18 Djabou

Kapitän 2 Bougherra, der im 2. Spiel gewechselt werden musste, fällt aus - er wird durch Belkalem ersetzt. Sonst setzt Halilhodžić auf die erfolgreiche 4-2-4-Formation aus dem Korea-Match, mit dem kleinen Djabou hinter Islam Slimane. Gefährdet ist nur Bentaleb.

Russland, heute in hässlichem Dunkelrot mit
1 Akinfeev; 2 Kozlov, 14 Vasili Berezutski (K), 4 Ignashevich, 23 Dmitri Kombarov; 8 Glushakov, 20 Faizulin; 19 Samedov, 9 Kokorin, 17 Shatov; 11 Kerzhakov

Capello riskiert eine zweite Spitze - auf dem Papier. Ich rechne mit der Versetzung von Kokorin auf den jedesmal neu (Zhirkov, Kanunnikov) neu besetzten linken Flügel oder zumindest ins 2. Glied bei einer Fortführung des 4-2-3-1. Glushakov und Shatov sind gelbgefährdet.

Die Partie in der Arena da Baixada in Curitiba pfeift der Türke Cüneyt Cakir.

Was vor dem Match zu sagen ist

Eine der wirklichen Überraschungs-Mannschaften trifft auf eine der Enttäuschungen, die aber mit Ansage und Anlauf unternommen wurden.

Algerien hatte sich schon im Auftakt-Match gegen Belgien wirklich gut verkauft; eine exzellente Defensiv-Organisation paarte sich mit solidem Gegenstoß-Fußball. Der Favorit brauchte lange um sich darauf einzustellen, in der Zwischenzeit hatte das herzhafte algerische Spiel (eine Mischung aus französischer Frischkäse-Attacke und nordafrikanischem Behauptungswillen) aber viele Sympathien erobert.

Die konnten dann in Match 2 ausgespielt werden: die zögerlichen Südkoreaner, die eine Halbzeit lang brav Bücklinge übten, ehe sie zur Gegenwehr ansetzten, wurden nachgerade überrollt durch pfeilschnellen Dominanzfußball - eine der eindrücklicheren Vorstellungen eines Außenseiter-Teams, dem man einen feschen letzten Platz zugetraut hatte, aber sicher nicht die Top-Ausgangsposition für Platz 2.

Der bosnische Coach Vahid Halilhodžić, der sein fast gesamtes Fußballer- und Trainer-Leben in Frankreich und dem frankophonen Raum verbacht hat und deshalb mehr Franzose ist als viele andere, hatte für Spiel 1 folgende Formation: 23 Mbolhi; 22 Mostefa, 2 Bougherra (K), 5 Halliche, 3 Ghoulam; 12 Medjani, 14 Bentaleb; 19 Taider; 10 Feghouli, 15 Soudani, 21 Mahrez.

Fürs zweite Spiel baute er massiv um und brachte: 23 Mbolhi; 20 Mandi, 2 Bougherra (K), 5 Halliche, 6 Mesbah; 12 Medjani, 14 Bentaleb; 10 Feghouli, 18 Djabou, 13 Slimane, 11 Brahimi. Also neue Außenverteidiger und eine bis auf seinen Star Feghouli völlig neue Offensive.

Halilhodžić setzt auf seine Mittelachse: Tormann, Innenverteidigung, zentrale Defensive. Den Rest kann er kadertechnisch fluktuieren lassen

Russland, oder besser die Mannschaft, die Fabio Capello für die Heim-WM 2018 aufbauen soll, präsentierte sich im Turnier wie - auch von mir - erwartet: mit erstaunlicher statischer Bewegungslosigkeit, wenig Finesse und deutlich zu wenig gedanklichem Einsatz. Das mag auch an der strengen Hand des old-school-Italieners liegen, hat seine Wurzeln aber in der obrigkeitshörigen Grundstruktur der russischen Gesellschaft und ihrer oligarchengetränkten Liga, aus der alle Spieler kommen.

Match 1, die mickrige Leistung gegen Korea bestritten: 1 Akinfeev; 22 Eshchenko, 14 Vasili Berezutski (K), 4 Ignashevich, 23 Dmitri Kombarov; 8 Glushakov, 20 Faizulin; 19 Samedov, 17 Shatov, 18 Zhirkov; 9 Kokorin. Torschütze 11 Kershakov war ebenso Wechselspieler wie die Altlast 7 Denisov.

Match 2, die verdiente Niederlage gegen Belgien, errang mit 1 Akinfeev; 2 Kozlov, 14 Vasili Berezutski (K), 4 Ignashevich, 23 Dmitri Kombarov; 8 Glushakov, 20 Faizulin; 19 Samedov, 17 Shatov, 6 Kanunnikov; 9 Kokorin eine strukturell nicht ernsthaft angetastete Mannschaft.

Ob Eshenko oder Kozlov rechts hinten, Ob Shatov oder sein Wechsel-Zwilling Dzagoev hinter Kokorin: Jacke/Hose. Man schiebt Dienst nach Vorschrift.

Nun eine absolute Rausreißer-Partie kann die Russen noch aus ihrem Trott in Richtung Heimflug befreien. Technisch und auch physisch hätten sie's ja drauf.