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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 6. 2014 - 16:35

Das Leben ist ein kurzer, sinnloser Fluss

Fiebertraum, Sex, Tod: Der schmale, weirde Roman "Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)".

Der Titel dieses 150 Seiten schlanken Romans "Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)" ist mehr als bloßes Indiz für dessen Grundstimmung: Das Leben des 25-jährigen Erzählers Bernardo ist geprägt von Krise, gepflegter Langeweile und Nihilismus. Er gefällt sich recht gut daran. Der aus Santa Cruz de La Palma stammende Autor Félix Francisco Casanova hat "Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)" 1974 im Alter von 17 Jahren geschrieben, der Legende nach in nur 44 Tagen.

Es treffen sich in dem dieses Jahr von Luftschacht neu auf Deutsch aufgelegten Buch also durchaus die erwartbare Teenager-Tristesse, Raserei und der Hang zu großen Geste mit teils überraschender Nüchternheit und Konzentration. Es ist ein weirder, berauschender Text, dem der Umstand, dass sein Autor Casanova mit nur 19 Jahren unter ungeklärten Umständen verstorben ist, eine zusätzliche tragische Aura verleiht.

"Es geht mir wirklich besser. Am Fenster verwischen Kommazeichen aus Wasser die Landschaft. Vielleicht sind es auch meine Augen, die diesen Regenvorhang um mich ziehen. Ich glaube, ich lächle wie glücklich Sterbende es tun. Aber auch dieses Mal bringe ich meinen Tod nicht zu Ende. Ich erreiche den Gipfel des Grotesken."

Félix Francisco Casanova

Felix Peniche

Félix Francisco Casanova (1956 - 1976)

Hauptfigur Bernhardo hat sich aus dem Fenster gestürzt, Tabletten geschluckt und sich an die Schläfe geschossen. Oft schon hat er versucht sich das Leben zu nehmen, aber: Er kann nicht sterben. So scheint es immerhin. Ob Bernardo tatsächlich unsterblich ist oder seine Versuche nur zu halbherzig gewesen sind, bleibt wie sehr vieles in diesem seltsamen Büchlein unklar. Nacherzählungen aus der Ich-Perspektive, Träume, Wahnvorstellungen und ungesunde Selbsteinschätzungen mischen sich zu giftigen Szenarien.

"Ich weiß, dass ich allen überlegen bin und aus Angst, dass sie meinetwegen an einem Minderwertigkeitskomplex leiden, spreche ich zu ihnen höflich und gelassen."

Bernardo verzweifelt nicht an der Schlechtheit der Welt oder an der Depression, sondern hält sich selbst schlicht für erhaben, zu gut, für den größten Poeten des Planeten. Plot gibt es kaum in "Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)": Bernardo streift ungerührt durch den Tag, hat Affären, die ihm nichts bedeuten, und sieht das Leben und Handeln seiner Mitmenschen als einzige Banalität. Das Buch ist durchsetzt von Fieberfantasien und surrealen Episoden. Besonders angetan haben es dem Autor Maskenbälle, Tierverkleidungen und ausufernde Orgien. Sex, Gewalt, Blut, Ziegenböcke, unheilvolle Insekten und der Teufel himself spielen keine unwichtigen Rollen.

Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)

Luftschacht

"Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)" von Félix Francisco Casanova ist bereits bei Luftschacht erschienen. Aus dem Spanischen übersetzt von Petra Polak.

"Riesengrillen tanzten mit Zwergelefanten, Fasane mit Tigern und Marta, als Ratte verkleidet, tanzte mit dem Ziegenbock. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden Lagerfeuer entzündet: Die Mäuler der Tiere voller Kirschgeschmack, Wildschweinstücke auf den Brüsten einer Leopardin, betrunkene Katzen schmusten mit dem grünen Hund, rätselhafte Greise waren Eulen mit Zuckerrohrstäbchen."

"Heute Ist Mein Letzter Tag Lebendig (Hoffentlich)" bewegt sich klar zwischen den absurden, schwer zu entschlüsselnden und dann kurz auch wieder merkwürdig witzigen Mysterien eines Knut Hamsun und der kalten, wenig zukunftsfrohen Welteinschätzung von Albert Camus – der im Buch auch mehrmals ausdrücklich genannt und gar als "Freund Camus" bezeichnet wird.

Ein beunruhigendes, über weite Strecken im besten Sinne, wie man so sagt, verstörendes Buch. Bisweilen merken wir dem jungen Autor und seinem Erzähler den mutwilligen Drang zur juvenilen Verstörung aber eben schon auch an. Ein Roman, in dessen Hauptfigur sich die Fragen über Sinn und Nutzlosigkeit des Lebens , über Gott, Himmel, Hölle und Tod schmerzlich wälzen.

"Den ganzen Abend lang hat sie mir wiederholt erzählt, dass sie meinetwegen Selbstmord begehen würde. Ich weiß, dass sie dazu nicht fähig ist. Unsterblich zu sein bedeutet Gott zu sein und Mut zum Guten und Bösen zu haben, die Moral wohnt in mir allein...Mein Urteil wird das richtige sein. Débora stört mich, stets verspüre ich Lust, ihr den Schädel einzuschlagen, aber das ist krank und unnötig."

Wir haben es hier mit einer ganz und gar unsympathischen Hauptfigur zu tun, die in weiterer Folge auch noch die eine oder andere grauenvolle Tat vollbringen wird. Und die - das versteht sich von selbst - keine Reue verspüren will oder kann, sondern sich lieber dem Wahnsinn zuwendet. Wir wissen nicht ob wir einander lieben, aber vermutlich ist es auch völlig unbedeutend.