Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Death Grips"

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

24. 6. 2014 - 14:36

Death Grips

Ein Hip Hop-Trio, das die Schallmauer zum Noise, noch in den Babyschuhen steckend, durchbrochen hat und uns dieser Tage das Doppelalbum "The Powers That B" beschert. Baby don't fear the reaper!

Albenrezensionen, Bandporträts und Konzertreviews auf

Manche meiner Mitmenschen finden Transzendenz, Ruhe, meditative Klärung, wenn sie in einem Isolierwassertank liegen, durch Hochmoore spazieren oder stundenlang auf eine Wasserfläche starren.
Bei mir funktioniert es, wenn mein Köpfchen, das ich manchmal schon im Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche-Verdacht habe, derart mit Lärm beschossen wird, dass es gar nicht anders kann als sich mit dem Hier und Jetzt zu beschäftigen.

death grips

Es entspannt mich sehr, wenn Lärm gekoppelt mit Wort und Bedeutungsfetzten so intensiv wird, dass man total damit beschäftig ist, sich durch das sonische Dickicht zu kämpfen, die Primaten-Fluchtinstinkte zu unterdrücken und keine semi-kongnitiven Parallelaktionen mehr laufen (also Fragen wie: Was ich wohl gerade essen, trinken oder rauchen wollen würde, wann die nächste GOT-Staffel anläuft, warum das Foster Wallace-Buch über Hip Hop noch nicht neuaufgelegt ist und wo meine Freunde eigentlich schon wieder sind.)

Die Death Grips heißen nicht umsonst so. Ein Konzertbesuch garantiert mir, dass ich völlig leer, entspannt aber auch verschwitzt und energetisiert wieder in diese Welt zurückkomme. Klingt nach Sex, ich weiß, hat aber nichts damit zu tun.

Blend my organs for juice

Wenn man auf die irre Idee kommen würde, die Death Grips im Walkman (man verzeihe mir den altmodischen Ausdruck, aber ich kann sie beim besten Willen nicht mit dem Wort iPod verbinden) mitzunehmen, dann würde man wahrscheinlich ständig über den Randsein stolpern, in Menschen auf den Weg zur Arbeit taumeln, kleine Kinder und Hunde verschrecken, den ganzen Katalog der unschönen sozialen Interaktion im öffentlichen Raum durchdeklinieren.

Aber genug der Beschreibungen der Wirkung, die eintritt, wenn man Death Grips einwirft, Musik ist ja nicht nur Droge, sondern auch Kulturgut.

Die Death Grips sind ein experimentales Hip Hop-Trio aus Sacramento. MC Ride schreit und spricht, Zach Hill spielt die Drums und Flatlander produziert. Die Death Grips gibt es seit 2010, sie haben einen konstant heftigen Output und sorgen im Zweifelsfall dafür, dass sie ihre Alben selbst ins Netz leaken, bevor Plattenfirmen irgendwas tun können, was ihnen Geld und den Death Grips und uns Missfallen bringt.

Die Band legt Wert auf konstant verstörende YouTube-Präsenz und beim SXSW Festival spielte der Drummer das Konzert via Skype, weil er gerade mit der Produktion seines ersten Kinofilms beschäftigt war.

"The Powers That B" heißt das neue Death Grips-Album. Es ist ein Doppelalbum. "Ns on the Moon" ist der Name des ersten Teils, "Jenny Death" der vom zweiten Teil, der noch bevorsteht. Eine zerstückelte Björk hört man verteilt über das Album, das man übrigens wieder als Download von den Death Grips geschenkt bekommt.

I dont wanna fuck you back

Die erste Nummer "Up My Sleeve" klingt wie ein hypnotischer Festplattenabsturz in der Tradition dessen, wofür ich Kid 606 vor zehn Jahren, als er Bikini Kill remixte, schon geliebt habe. Nur größer und weniger fröhlich. Möglicherweise politisch zu nennende Fragen nach der Kondition eines solchen Textes von sich gebenden Wesens schieben sich durch die Wortfetzen, die MC Ride von sich gibt, ins Bewusstsein.

Begehren, Selbstmord, Kontrolle: Wenn ihr Lust auf die psychischen Probleme anderer Menschen habt, lest euch die Foren durch, in denen die Texte von MC Ride filetiert werden.

death grips

"Have a Sad Cum" ist fast schon so was wie ein gescheitertes Liebeslied, Soziopathie, Isolation, Bevormundung, frühzeitiger Samenerguss in die falsche Richtung, und die unter allen liegende Geschichte der Sklaverei inklusive.

"Black Quaterback" ist eine identitäre Positionierung zwischen Rassismus und Verkaufsargumenten mit spezieller Berücksichtigung des Black Skinhead und Louis Vuitton-Don in Personalunion: Kanye West.

Pornographie für Feinde ist "Fuck Me Out". Hölle, würde ich gerne einen Review von dem Gott der "Ass n Titties -Fraktion" DJ Assault zu der Nummer lesen.

Irgendein Typ, der für Pitchfork die Welt vermisst und erklärt, wünscht sich für Jenny Death den zweiten Teil von "The Powers That B" einen modifizierten konzeptuellen und ästhetischen Ansatz. Weil immer nur in einen Haufen zerschlagener Zähne zu starren wird irgendwann genauso fad, wie in eine permanente Grinsefresse, meint der Kollege.

Ich wünsche mir das nicht. Der Kollege denkt und kategorisiert anstatt zu genießen, wenn die akustische Salzsäure angerührt von den Death Grips das Hirn umspült.