Erstellt am: 23. 6. 2014 - 18:37 Uhr
Griechenland sendet wieder öffentlich-rechtlich
Vor einem Jahr, am 11. Juni 2013, schloss die griechische Regierung nach 75 Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ERT. Die Begründung: Intransparenz und Verschwendung.
Mehr als 2.600 Mitarbeiter verloren damit von einem Tag auf den anderen ihren Arbeitsplatz. Mehrere von ihnen entschlossen sich allerdings, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben und via Internet ein Protestprogramm namens ERT Open zu senden.
Im Juli letzten Jahres wurde dann von der Regierung der Übergangs-Sender Dimosia Tileorasi geschaffen, im November 2013 räumten Polizei-Spezialeinheiten das ERT-Gebäude von den ehemaligen Angestellten und seit Anfang Mai sendet von dort aus der neue öffentliche Rundfunk mit den Namen NERIT ("Neues Griechisches Radio, Internet und Fernsehen"). Gleich gegenüber, in den Büros der Journalistengewerkschaft POSPERT, setzen die ehemaligen ERT-Angestellten das Projekt eines unabhängigen und selbstverwalteten Senders ERT Open fort.
Nikos Tsimpidas moderiert dort eine Radiosendung in einem kleinen Raum, der als Studio eingerichtet ist. Er war der Journalist, der die letzten Worte über den Äther sendete, als im vorigen November die Spezialeinheiten der Polizei ins ERT-Gebäude stürmten. Seit einen Jahr sendet er zusammen mit anderen ehemaligen ERT-Angestellten das Protestprogramm via Internet.
Das Team konzentriert sich darauf, Nachrichten zu senden, die kein anderer sendet, erklärt Tsimpidas. "Nachrichten, die direkt aus der Gesellschaft kommen. Unsere Zuschauer und Hörer schlagen uns täglich Themen vor und wir versuchen dann, diese zu verfolgen und darüber zu berichten. Wir möchten nah an der griechischen Gesellschaft sein, der immer wieder gesagt wird, sie komme bald aus der Krise raus, aber anstatt dessen geht sie immer tiefer in die Krise rein".
Am ERT Open-Programm beteiligen sich mehr als 500 Journalisten, Techniker und Verwaltungsangestellte in ganz Griechenland, die vorher bei ERT gearbeitet haben. Es wird von Athen, Thessaloniki und 16 regionalen Radiosendern produziert und gesendet. Ehrenamtlich. "Wir sind der einzige Sender in ganz Griechenland, der Korrespondenten im ganzem Land hat", sagt Tsimpidas stolz.
Juristisch konnten die ehemaligen ERT-Mitarbeiter inzwischen einen kleinen Sieg erreichen, als ein Gericht in Heraklion auf Kreta die Entlassungen der Angestellten dort als ungültig erklärte. "Es gab aber auch eine negative Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtes, der entschieden hat, dass es richtig war, uns alle zu entlassen. Wir müssen sehen, wie kompatibel beides ist und überlegen, an höhere Gerichte zu appellieren", sagt er.
Bei aller Begeisterung für das ERT Open-Projekt macht sich inzwischen aber sowohl geistige als auch körperliche Erschöpfung breit. Die Entschädigungen wurden noch nicht voll ausgezahlt, die Arbeitslosenhilfe dauerte nur ein Jahr. Die Journalistengewerkschaft unterstützt die Journalisten und Techniker mit Lebensmittelpaketen und Geldern aus Streikfonds.
Sehr wichtig sei auch die Unterstützung vonseiten der einfachen Bürger, insbesondere in den kleineren Städten, entweder durch Lebensmittel, oder durch Zahlung von Strom-und Telefonrechnungen der lokalen Radiosender, erklärt Nikos Tsimpidas. Dies macht Mut, weiterzumachen, sagt Tontechnikerin Margarita Kosma, die hinter der Sound-Konsole sitzt. "Die Unterstützung der Menschen gibt uns unglaublich viel Kraft. Wir haben Verantwortung gegenüber denjenigen, die uns die ganzen Monate unterstützen und wir wollen diese nicht enttäuschen", so Kosma.
Chrissi Wilkens
Viele ihrer ehemaligen MitarbeiterInnen bei ERT - ungefähr 600 - arbeiten aber mittlerweile im neuen öffentlichen Rundfunk. So auch die Journalistin Ordin Linardatou. 27 Jahre lang arbeitete sie bei ERT. Als die Regierung den Sender schloss, war sie schockiert, erzählt sie, und machte anfangs auch beim Protestprogramm mit. "Anfangs war das sehr spontan. Später haben ehemalige Mitarbeiter die schwierige Situation nach unserer Entlassung für politische Zwecke genutzt. Sie haben unseren Kampf in einen parteipolitischen Kampf verwandelt. Damit bin ich nicht einverstanden", so Linardatou. Sie hat sich für den Übergangssender Nea Tileorasi beworben und wurde angenommen. Heute arbeitet sie beim neuen Sender.
Wichtig für sie sei, dass es um einen neuen Anfang geht, obwohl dies unter schwierigen Bedingungen stattfand: "Ich hatte aber das Gefühl, wir gestalten was Neues. Etwas, das familiärer, kleiner und frischer ist und dass wir einen neuen, sehr guten öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaffen werden".
Nikos Tsimpidas sieht es anders. "Ich weiß, dass es für manche meiner ehemaligen Kollegen schwierig war, bis sie sich entschieden, sich schließlich bei NERIT zu bewerben. Mir war von Anfang an klar, dass ich es nicht tun werde, denn ich würde nie dieses Regime unterstützen. Wenn man bei NERIT arbeitet, dient man dem Regime, nicht dem Journalismus. Es ist nicht einfach ein Job", so Tsimpidas.
Der neue Sender wird unter anderem von der größten Oppositionspartei Syriza nicht anerkannt. Politiker und Mitglieder der Partei weigern sich, dort Interviews zu geben oder bei Sendungen mitzumachen. Das Haupttor des ehemaligen ERT-Gebäudes in der Mesogeion-Straße ist aus Sicherheitsgründen immer noch verschlossen. In die Büros von NERIT gelangt man über einen Seiteneingang. Die historische Inschrift "Elliniki Radiophonia Tileorasi ", die seit Jahrzehnten auf dem Dach des Gebäudes prangte, wurde vor kurzem demontiert.
Viele der Büros in den riesigen Gebäuden stehen leer. NERIT hat derzeit fast 2.000 Mitarbeiter weniger als die ehemalige ERT. Die meisten arbeiten noch mit einem zweimonatigen Arbeitsvertrag, den sie vom Übergangssender Dimosia Tileorasi hatten.
Das Gehalt bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie bei ERT, erklärt Linardatou. Sie ist zuversichtlich, dass der neue öffentlich-rechtliche Sender erfolgreich wird, wenn es keine Einmischung von Politikern gibt. "Die Angestellten sollen ganz objektiv und richtig ihre Arbeit machen können", betont sie. Die Tatsache, dass die Regierung den Aufsichtsrat des neuen Senders wählt, erschwert die Aufgabe einer unabhängigen Rundfunkanstalt. Der Rücktritt des NERIT-Vorstandschefs Giorgos Prokopakis ein paar Tage nach der Eröffnung des Senders und Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten, unter anderem bei der Einstellung von Personal, haben gleich zu Anfang das Bild des neuen Senders stigmatisiert.
Chrissi Wilkens
Die Delegation der Europäischen Rundfunkunion EBU hat vorige Woche den neuen Sender besucht. NERIT ist dort noch kein Mitglied. Trotz Neustarts hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Griechenland seit vorigem Jahr einen schweren Schlag erlitten, betont Giorgos Plios, Professor an der Abteilung für Kommunikation und Massenmedien der Athener Universität. Durch das ERT Open-Programm sind neue Themen, so wie viele der Probleme der griechischen Gesellschaft, an die Öffentlichkeit gekommen. Das hat viele Zuschauer angelockt.
"Nie erreichte ein privater Fernsehsender die Anzahl der Zuschauer, die ERT Open in diesem einen Jahr geschafft hat. Nur als Beispiel: Die erste Nachrichtensendung, die auf der Straße vor dem ERT-Gebäude stattgefunden hat, im November nach der Polizeioperation, haben 1,2 Millionen Zuschauer gesehen. In Griechenland oder einem anderen Land vergleichbarer Größe hat eine Nachrichtensendung unter normalen Bedingungen nie so eine Anzahl Zuschauer erreicht."
Dass auch die Bürger dem neuen Rundfunk misstrauen; sei unter anderem an der niedrigen Zuschauerzahl ersichtlich, meint Plios und skizziert wie folgt die heutige Situation: "Auf der einen Seite haben wir NERIT, einen kleinen vom Staat abhängigen Sender, der nicht gerade von Pluralismus gekennzeichnet ist. Und auf der anderen Seite haben wir ERT Open, wo wenige Menschen mit wenigen Mitteln versuchen, Nachrichtensendungen zu machen. Weder der eine noch der andere Sender ist so, wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa sein sollte."