Erstellt am: 24. 6. 2014 - 18:21 Uhr
Grenzen verschieben
Es schüttet beim Aufstieg und ein kalter Wind pfeift vom Berg runter, doch die sechzehn jungen Erwachsenen verziehen nicht einmal das Gesicht. Den Spruch, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung gäbe, hat hier jeder wohl schon dutzende Male gehört und das bisschen Regen wird wohl eine der geringeren Herausforderungen sein, die sie in den nächsten zwei Jahren erwarten wird.
Simon Welebil / FM4
Gut zwei Monate ist es her, dass sie Bewerbungen an den Alpenverein geschickt haben, inklusive Videovorstellung, Motivationsschreiben und Tourenbuch. Sie alle wollten Teil eines neuen Programms der Alpenvereinsjugend sein, das den Titel "Junge Alpinisten" trägt, und BergsteigerInnen zwischen 18 und 22 Jahren die Möglichkeit bietet, an ihrem alpinistischen Feinschliff zu arbeiten, vom Klettern im alpinen Gelände und im Eis bis zu Hochtouren. Zwei Jahre lang soll eine ausgewählte Gruppe von MentorInnen begleitet werden, die ihnen bei der Verwirklichung ihrer Projekte helfen soll, ihnen ihr Know How und ihre Leidenschaft für die Berge vermitteln.
Im August beginnen auch Angebote für die Youngsters, 14-18 Jährige.
Die Alpenvereinsjugend hat mit "Junge Alpinisten" auf viele Anfragen reagiert, die zu wenig klassisch alpinistische Inhalte im Programm gesehen haben, sagt Matthias Pramstaller, der das Projekt vorangetrieben hat. Ein wenig erinnert es an den Exped-Kader, mit dem der Deutsche Alpenverein das Expeditions- und Leistungsbergsteigen fördert, allerdings sind bei den Eingangskritierien keine Leistungsgrenzen definiert und es wird nicht knallhart ausgesiebt.
Simon Welebil / FM4
Dennoch haben es nur die Hälfte der BewerberInnen in das Team der "Jungen Alpinisten" geschafft, dreizehn Männer und drei Frauen. Zwanzig Jahre ist ihr Durchschnittsalter, in ihren Tourenbüchern befinden sich teilweise jetzt schon beeindruckende Routen und Gipfel, von alpinen Klettereien mit über vierzig Seillängen bis zu Expeditionen im Karakorum.
"Junge Alpinisten" unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht von anderen Kursen im Alpenverein. Es ist kein Anfängerkurs, die jungen Frauen und Männer beherrschen ihr Handwerk bereits. Es ist auch kein Ausbildungskurs mit einem festgelegten Kursprogramm oder Kursziel. Die Inhalte hängen stark vom Team selbst ab. Die TeilnehmerInnen sollen bei ihrem Wissensstand und Können abgeholt werden und darauf aufbauen.
Simon Welebil / FM4
"Mein erster Gedanke war, in einer lässigen Gruppe was zu unternehmen", sagt Vicky aus St. Gallen in der Steiermark über ihrer Motivation, sich bei den Jungen Alpinisten zu bewerben. Ähnlich kommt es auch von den anderen. Seit ihrer Kindheit sind sie in den Bergen unterwegs, für die nächsten Schritte im Bergsteigen fehlen ihnen aber vielfach die richtigen PartnerInnen. "Ich finde, dass Leben eigentlich Abenteuer heißt" meint Manuel und fühlt sich dafür bei den "Jungen Alpinisten" richtig. Hier in diesem Programm finden sich die Leute mit ähnlichem Können und hoher Motivation.
Beim ersten gemeinsamen Termin auf der Von-Schmidt-Zabierov-Hütte in den Loferer Steinbergen steht neben Klettertouren, die vom Regen und den kalten Temperaturen ziemlich eingeschränkt werden, das Kennenlernen auf dem Programm. Vertrauensübungen und Reflexionseinheiten sollen helfen, aus den sechzehn BergsteigerInnen eine Gruppe zu machen. Auf der Hütte lernen sie auch die ersten ihrer MentorInnen kennen.
Bei der Auswahl der MentorInnen sei es dem Alpenverein wichtig gewesen, gute und erfahrene AlpinistInnen zu finden, die auch von der persönlich-menschlichen Gruppe zum Programm passen, erzählt Matthias Pramstaller. "Nicht die wildesten 'Nordwand-Gesichter', wo nur das Ziel zählt, sondern wo ganz klar ist, die leben Bergsteigen und Bergsteigerei bis in die letzte Faser ihres Körpers und brennen für ihre Leidenschaft."
Zu den MentorInnen zählen SpitzenalpinistInnen wie Hansjörg Auer, Lisi Steurer oder die Eiskletterer Albert Leichtfried und Benedikt Purner, und erfahrene Bergführer wie Gerhard Mössmer. Sie sollen die jungen BergsteigerInnen in das Wesentliche des Bergsteigens einführen.
Was das sein soll, darüber sind sich die TeilnehmerInnen noch nicht ganz einig. Viel wird diskutiert über Abenteuer, Herausforderungen, Risiko, Absicherungen oder Ethik, wobei die Meinungen aufeinanderprallen. Haben Wandern oder ein Klettersteig was mit Alpinismus zu tun? Oder eine eingebohrte Kletterroute im zehnten Schwierigkeitsgrad? Konsens ist, dass man als AlpinistIn vielseitig sein und alle Disziplinen des Bergsteigens beherrschen sollte.
Von der Kletterhalle an den Fels8http://fm4.orf.at/stories/1701598/9 kommt man diesen Sommer übrigens auch mit Hilfe vom Alpenverein.
Genau bei dieser Feststellung gibt es bei vielen TeilnehmerInnen des Programms noch Defizite. In den Tourenbüchern stehen teils schwere Sportkletterrouten, aber gerade was alpines Klettern oder Touren im Eis angeht, fehlt noch einiges. Doch daran können sie jetzt arbeiten. 68 Kurstage stehen in den nächsten zwei Jahren am Programm, umgerechnet zweieinhalb Jahresurlaube, allerdings sind nur wenige Kurse vorgeschrieben. Die TeilnehmerInnen wählen selbst aus, was sie machen wollen und sich auch leisten können. Der Alpenverein übernimmt zwar die Kurskosten, die TeilnehmerInnen müssen aber noch immer Anreise und Verpflegung bezahlen.
Christian Leitinger
Bergführer Gerhard Mössmer will die NachwuchsalpinistInnen jedenfalls des öfteren an ihre Grenzen bringen, wenngleich sie zu Beginn eher zu bremsen sind, wie er meint, weil zwischen Wollen und Können doch noch eine Diskrepanz bestehe. Ein Programm wie die "Jungen Alpinisten" hätte er sich bei seinen Anfängen auch gewünscht, doch früher sei alles "Learning by Doing" gewesen. So hätten sie nur kleine Schritte und natürlich auch viele Fehler auf ihrem Weg zu AlpinistInnen gemacht. Da man aus Fehlern lernt, werden die auch bei den "Jungen Alpinisten" zugelassen, sofern sie keine schlimmen Konsequenzen mit sich bringen. Sonst müsse man aber "das Rad nicht neu erfinden". Das Programm könne den Jungen heute dabei helfen, schneller ein besseres Level zu erreichen.
Damit das Projekt für die Alpenvereinsjugend ein Erfolg wird, müssen die jungen AlpinistInnen in einigen Jahren nicht die Schlagzeilen dominieren, sagt Matthias Pramstaller. Sie sollen eine gute Zeit gemeinsam verbringen und auch andere für die Berge motivieren. "Für uns ist das Bedeutsamste, dass eine gemeinsame coole Zeit in einer grandiosen Berglandschaft möglich ist und gemeinsame Unternehmungen gelingen. Der Rest ergibt sich von selber. Sie wissen jetzt schon, was sie tun. Da ist einfach sehr viel Potential vorhanden, ohne dass man sagen muss, ihr müsst in den nächsten zwei Jahren einen Trainingsplan einhalten. Wenn die Motivation da ist, die Lust und Laune, dann kann da viel passieren, ohne dass man sagt, sie werden hingetrimmt um Schlagzeilen zu machen."
Christian Leitinger
Fragt man die TeilnehmerInnen nach Traumzielen, bekommt man von einigen schnell Antworten: Big-Wall-Klettern im Yosemite Valley, eigene, denkwürdige Routen schrauben, der K2, die hohen Berge im Himalaya; andere sind zurückhaltender. Die wollen abwarten, wie weit sie kommen, wollen sich keinen Druck machen. Sie lassen es auf sich zukommen.