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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 6. 2014 - 23:31

The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 48.

Der Mitternachtstreff der Untergebutterten als Kampf um den zweiten Gruppenplatz: #NGAvsBIH

Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.

Die Gesamtübersicht.

Gestern war zuerst Italien - Costa Rica dann Schweiz - FrankreichHonduras -Ecuador(fm4.orf.at

Tag 8: Kolumbien - Cote d'Ivoire und Japan - Griechenland sowie Uruguay - England
Tag 7 brachte Kamerun - Kroatien, Australien - Niederlande und Spanien - Chile.

Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.

Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.

Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.

Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.

Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.

Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal

Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Die im Vorfeld nicht nur von der hiesigen Community, sondern auch von Fachleuten etwas dick aufgetragenen Erwartungen sind schon nach Spiel 2 nur noch Makulatur: Bosnien ist draußen, hat das direkte Duell um Platz 2 verloren.
Und das nicht unverdient.
Letztlich war die taktische Unordnung in Halbzeit 2 dann entscheidend dafür, dass die Mannschaft nicht mehr zurück ins Spiel finden konnte.

Nigeria hingegen hat sich nach dem geistigen Aussetzer gegen den Iran wieder so präsentiert, wie ich sie erwartet habe: schnelles, vertikales Spiel in die immens gefährlichen Spitzen, physische Präsenz und ein brauchbares Defensiv-System.
Argentinien ist jetzt übrigens fix durch (das war aber eh klar).

Halbzeit 2: Bosnien verliert die Ordnung und das Spiel

Anpfiff um 1:01, keine Veränderungen, wiewohl Lulić leicht angeschlagen ist und Ibišević brav aufwärmt.

Medunjanin rückt aus der Zentrale nach links, was Pjanić und Misimović frei fürs Zentrum macht und Lulić entlastet. Bleibt das so? Nein, war nur eine Variante.

Die bosnische Offensive probiert es jetzt durchdachter und mit mehr Personal als in Halbzeit 1, mit immer einem Außenverteidiger und einem zentral-defensiven dazu. Nigeria setzt jetzt auf Tempo-Gegenstöße gegen die manchmal etwas mürbe bosnische Abwehr. Die Duelle Emenike-Spahić werden zunehmend legendärer.

Und dann, 56., Stürmer 9 Vedad Ibišević für 20 Hajrović. Und dann zwei Minuten später auch noch 23 Salihović für 16 Lulić, wohl als Not-Linksverteidiger. Da muss jetzt ordentlich umgestellt werden.

Zuvor drängt Nigeria aber den Gegner plötzlich unerwartet in die Seile - Bosnien kommt minutenlang nicht aus der eigenen Hälfte. Emenike hat das 2:0 auf dem Fuß...

Bosnien steht jetzt auch im 4-2-4, wobei die Ordnung vorne noch keine sichtbare ist - dazu stößt Salihović links ohne Rücksicht auf hinterlassene Löcher vor.

Letzter bosnischer Wechsel (62.): Trainer-Neffe 14 Tino-Sven Sušić kommt für Medunjanin, ein offensiver für einen defensiven Mittelfeldmann, es wird also jetzt gar ein 4-1-3-2. Mit dem Neuen dort wo ihm Pjanić und Misimović, die zwei Egomanen, halt Platz lassen, hinter den beiden Spitzen Ibišević-Džeko. Sušić übernimmt deshalb die linke Seite vor/neben Salihović, keine gute Idee... Das ist taktisch äußerst schlampig. Bosnien verliert in dieser Phase die Ordnung.

In der 64. der erste Keshi-Tausch: 23 Ameobi für 7 Musa, ein Stürmerwechsel, alles im System. 18 Babatunde ist angeschlagen und will raus, Keshi zögert aber. Erst in Minute 75 kommt der nachnominiert 3 Uzuni, der absichern helfen soll - Nigeria jetzt wieder im handelsüblichen 4-3-3. Uzuni stellt sich hinter Onazi und Mikel auf, Odemwingie ist jetzt rechts zu finden, weil Ameobi fix links stürmt.

Mikel kriegt in Minute 81 die erste nigerianische Karte überhaupt. Sein Team nähert sich mit immer besser werdenden Fernschüssen eher einem weiteren Tor an als Bosnien dem Ausgleich. Deren agressive leader Muhamed Bešić tanzt in dieser Phase am Rande des Ausschlusses.

Den Schlusspunkt setzt Džeko per Handspiel und Drehschuss und Enyeama-Fußabwehr an die Stange. Es wäre aber auch nicht verdient gewesen.

Halbzeit 1: zwei hochmoderne Teams liefern das beste Nachtspiel seit einigen Tagen

Die bosnische Unsicherheit klärt sich: es wird ein 4-4-1-1, mit Hajrović rechts und Pjanić links, Misimović kommt übers Zentrum, wobei die beiden auch gerne rochieren. Hajrović rechts ist wie im 1. Spiel deutlich zurückhaltender. In der Defensive wirkts wie ein 4-4-1-1, offensiv ist's doch eher ein 4-2-3-1.

Dafür ist bei Nigeria doch Odemwingie am Flügel zu finden und nicht offensiv im Mittelfeld im Einsatz. Und überhaupt sieht das nach einem 4-2-4 aus. Emenike ist als Center gesetzt, rundherum tummeln sich Musa, Babatunde und Odemwingie. Dieses Überangebot ganz vorne zeigt Wirkung; Kapitän Spahić muss bei Musa die Notbremse ziehen, gelb in der 6. Minute und guter Freistoß von Odemwingie.
So, nach ein paar Minuten zeigt sich: Musa kommt am ehesten über links, Babatunde tendenziell über rechts. Und Odemwingie eher zentral. Und dabei sind sie mit Emenike auf einer Höhe. Ein lupenreines 4-2-4, erstaunlich. Das ist das Nigeria, das ich in den letzten Jahren derart schätzen gelernt habe; das ist ihr das gesamte Spielfeld so schnell überwindendes Spiel, das ihnen zuletzt den Kontinental-Titel gebracht hat.

Bešić zeigt, dass er ein ganz moderner Sechser mit allen Qualitäten, auch solchen nach vorne ist, weshalb er in Fachkreisen auch als einer der "to watch"-Tipps gilt. Kann ich jetzt nachvollziehen. Medunjanin, der neue neben ihm, fällt auch nicht nur durch seinen Taliban-Bart auf.

Gefällt mir alles gut bis jetzt - zwei Truppen, die überraschen können, eben auch taktisch.
Während die vier nigerianischen Angreifer ihre Abwehr ordentlich beschäftigen, hängt Džeko allerdings deutlich zu weit vorne herum, hinter ihm wird zu wenig druckvoll nachgerückt, zu tief ist der Ansatz. Džeko Onside-Offsidetor (21.) bestätigt diese Wahrnehmung - auch dem Linienrichter ist er einfach zu weit vornedrin.

Nigeria steht defensiv, wenn der Ball in Strafraumnähe kommt, gern einfach 6-4, mit einer dichten Sechser-Kette hinten.

In Minute 29 geht Emenike einmal rechts durch und zwar mitten durch Gegenspieler Spahić hindurch, als wäre der nicht da, bedient seinen Passgeber Odemwingie, der am 5er einschießt - 1:0.

Spahić hat heute merklich ein Problem. Das Problem von Bosnien ist, dass der Routinier unersetzbar ist - die Qualität im Kader ist dünn.
Die heute aus allen Poren dampfende extreme körperliche Präsenz von Emenike bereitet mittlerweile der gesamten bosnischen Abwehr Probleme, dazu kommt Musas Anlauftempo und Odemwingies Überblick - eine gute Mischung.

Die Aufstellungen

Nigeria in grün mit
1 Enyeama; 5 Ambrose, 2 Yobo (K), 22 Omeruo, 13 Oshaniwa; 17 Onazi, 10 John Obi Mikel; 18 Babatunde, 8 Odemwingie, 9 Emenike, 7 Musa

Neben Oboabona ist auch 5 Ramon Azeez raus, der wohl durch Odemwingie ersetzt wird. Babatunde kommt unerwarteterweise für 11 Victor Moses

Bosnien kommt in weiß mit
1 Begović; 13 Mujdža, 15 Šunjić, 4 Spahić (K), 16 Lulić; 7 Bešić, 18 Medunjanin; 20 Hajrović, 10 Misimović, 8 Pjanić; 11 Džeko

Das sieht, weil Ibišević schon wieder nicht spielt, eher defensiv aus, ist es aber nicht. Lulić etwa, diesmal Linksverteidiger, ist eher eine zusätzliche Flügelspitze. Raus ist neben 5 Kolašinac auf seiner Position auch Innenverteidiger 3 Bičakčić. Mit Medunjanin ist ein neuer Sechser neben Bešić drin.
Die Aufstellung lässt sowohl ein 4-4-1-1 (wie oben) als auch ein 3-4-2-1 zu - das so aussehen würde: 13 Mujdža, Spahić (K), 15 Šunjić; 20 Hajrović, 7 Bešić, 18 Medunjanin, 16 Lulić; 8 Pjanić, 10 Misimović; 11 Džeko.

Das geht deshalb weil Pjanić, Hajrović und Lulić eben praktisch alles spielen können. We will see...

Spielort ist die Arena Pantanal in Cuiabá, einen Rinderumschlagplatz, einem Business- keinem Fußball-Zentrum. Es ist echt heiß, die Spielleitung obliegt dem Neuseeländer O’Leary.

Was vor dem Spiel zu sagen ist

Die letzten Spätspiele waren harte Prüfungen: gestern Honduras gegen Ecuador, davor Japan - Griechenland, Kamerun - Kroatien oder Russland - Korea...

Warum es heute besser werden sollte? Vielleicht weil Nigeria dann doch einmal seine Qualitäten ziegen könnte; weil der Iran im Nachhinein, vor allem wegen des großen Kampfs gegen Argentinien, doch als härtere Nuss akzeptiert wird, als nach dem schwierigen Auftakt-Remis.

Vielleicht auch weil Bosnien sein WM-Premierenspiel noch einmal wiederholen will - gegen eine Mannschaft, die nicht jenseits einer seriösen Gerichtbarkeit steht.

Nigeria hat nämlich ganz irdische Probleme, unter anderem müssen sie schon den zweiten Ausfall in der Abwehr hinnehmen: nach Linksverteidiger Echijechile ist mit 14 Oboabona jetzt auch einer der beiden exzellenten Innenverteidiger draußen - weshalb jetzt Joseph Yobo ran muss, einer aus der alten Schule, die Stephen Keshi, der radikal wirkende Coach aus sehr guten Gründen aus der Nationalmannschaft verbannt hat. Und auch das Comeback von Peter Odemwingie sehe ich in einem ähnlichem Licht: da droht der Virus des alte Laissez-faire-Schlendrian einzureißen, der gerade für eine Affekt-Mannschaft wie Nigeria immens gefährlich ist.

Nigeria bestritt Spiel 1 im üblichen 4-3-3 mit 1 Enyeama (K); 5 Ambrose, 22 Omeruo, 13 Oshaniwa; 17 Onazi, 10 John Obi Mikel; 5 Ramon Azeez; 7 Musa, 9 Emenike, 11 Victor Moses

Bosnien hatte sich gegen Argentinien mehr als anständig verkauft. Safet Sušić hatte mit 1 Begović; 13 Mujdža, 3 Bičakčić, 4 Spahić (K), 5 Kolašinac; 20 Hajrović, 8 Pjanić, 7 Bešić, 10 Misimović, 16 Lulić; 11 Džeko eine eher vorsichtige Variante, ein 4-5-1, ganz ohne die zweite gefürchtete Spitze Ibišević gewählt - das wird jetzt anders sein.

Ich erwarte ein 4-3-1-2 mit Misimovic hinter den beiden Starangreifern. Damit kann Bosnien jedem Gegner weh tun.

So gesehen sollte sich in diesem quasi direkten Duell um Platz 2 ein Spiel auf Messers Schneide einstellen, das dringend einen Sieger sucht.