Erstellt am: 21. 6. 2014 - 20:24 Uhr
The daily Blumenau. WM-Journal '14, Eintrag 47.
Das ist das WM-Journal '14, die einzige seit Jahren schon live unternommene strategisch-taktische Einschätzung der Matches in Österreich.
Gestern war zuerst Italien - Costa Rica dann Schweiz - FrankreichHonduras -Ecuador(fm4.orf.at
Tag 8: Kolumbien - Cote d'Ivoire und Japan - Griechenland sowie Uruguay - England
Tag 7 brachte Kamerun - Kroatien, Australien - Niederlande und Spanien - Chile.
Tag 6: mit dem ersten Spiel der 2. Runde, Brasilien - Mexiko, dann noch mit Belgien - Algerien und Russland - Südkorea.
Tag 5 hatte Deutschland - Portugal, die erste Nullnummer bei Iran- Nigeria und dann noch Ghana - USA.
Tag 4 brachte die Schweiz - Ecuador, dann Frankreich - Honduras und schließlich das denkwürdige Argentinien - Bosnien.
Das sind die Spiele von Tag 3: Kolumbien - Griechenland & Uruguay - Costa Rica & Italien - England & Cote d'Ivoire - Japan.
Das war die Eröffnung mit Brasilien gegen Kroatien und die Spiele von Tag 2: Mexiko - Kamerun, Spanien - Niederlande und Chile - Australien.
Vorab-Einschätzungen der 32 Teilnehmer: England, USA und Australien - Belgien und die Niederlande - Cote d'Ivoire, Kamerun, Ghana und Nigeria . Frankreich und Algerien - Deutschland - Argentinien und Uruguay - Russland, Kroatien, Bosnien, Griechenland - Iran, Japan, Süd-Korea - Mexiko, Costa Rica und Honduras - Brasilien - Italien und die Schweiz - Kolumbien, Ecuador und Chile - Spanien und Portugal
Das WM-Journal ist Teil des daily blumenau, das seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst hat. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Dem Halbzeit-Fazit ist nichts hinzuzufügen - außer der Tatsache, dass ich den ghanesischen Willen zum Wiederaufstehen als nicht so stark eingeschätzt habe, wie er dann war. Die Black Stars haben sich ein Finalspiel gegen Portugal verdient, zwar ohne Sulley Muntari, aber mit viel Hoffnung.
Deutschland habe ich genauso eingeschätzt wie sie dann waren: eine wegen eines zu hohen Resultats überschätzte, durch eine System-Umstellung im Vorfeld verunsicherte, ihre Mitte suchende und taktisch erstaunlich schwache Mannschaft ohne souveräne Anleitung von außen.
Weltmeister sehen anders aus. Die erkennen ihre Probleme schon im Sieg und nicht erst wenns brennt.
Das weitgehend pressinglose Spiel, das Lahm jetzt im Flash-Interview indirekt bestätigt, mag klimatisch bedingt sein - es aber so weit hinten und so matt anzuziehen sollte aber keine Option sein dürfen.
Ein wenig tragisch ist auch, dass Mehmet Scholl die durch seine Position bedingte Schwäche von Lahm mit der Banalität eines rabenschwarzen Tages erklärt. Macht Scholl vom Experten zum "Experten", einem der vielen populistischen Sprüche-Raushauer dieses Gewerbes.
In Anbetracht der schwachen Selbsterkenntnis, die aus den ersten Interviews des deutschen Camps (Ausnahme, wie oft: Hummels) rauszuhören war, ist auch sowas, diese Schulterklopf-Abwiegel-falsches-Bestätigen-Maschine des Umfelds, wirklich fatal, kann furchtbare Wirkungen entfalten.
High Drama und Handlungs-Nachbesserungen in Halbzeit 2
22:03, Anpfiff: 21 Mustafi, der Nachrücker, der Deutsche, den keiner kennt, der noch nie daheim gespielt hat, bei Sampdoria unter dem Radar flog und Löw trotzdem aufgefallen ist, ist da statt 20 Jérôme Boateng, als rechter Verteidiger wohl. Bei Boateng hat ein Muskel gezwickt.
Mich würde, fällt mir grad ein, eine Statistik zur Effektivität von Lahm interessieren, gelaufene Kilometer durch angekommene Passes etwa. Mir dünkt nämlich, dass der Mann für das deutsche Spiel in diesem System völlig überflüssig ist.
In der 50. dann das in der Pause besprochene Tor: Götze kriegt einen Cross aus dem rechten Halbraum und nickt ihn via Knie ins Tor - 1:0. Das hat sich tatsächlich nicht angebahnt, war aber erwartbar.
Nach dem Tor wechselt Coach Appiah 13 Jordan Ayew ein, für den in jeder Hinsicht enttäuschenden und strategisch nicht präzisen 9 Boateng.
In Minute 54 geschieht dann Unerwartetes: André Ayew erwischt einen Rechtscross aus dem Halbfeld mit dem Kopf und nickt direkt ein - 1:1. Diese schnelle Reaktion hätte ich den Black Stars so nicht zugetraut, vor allem nicht per Kopf gegen vier Innenverteidiger...
Müller gibt jetzt den agressive leader - so ist er mir lieber als als Schmierendarsteller in der Klamotte "Der Pepe hat mir Aua gmocht!"
Sein Gegenpart ist, nicht nur in aggressiver, sondern in jeglicher Leader-Hinsicht Sulley Muntari, der ein großes Spiel macht.
Deutchland wirft jetzt (zeitweise) fünf statt der nur drei in die vorderste Reihe. Nur um sich danach vor Rabiu und Muntari zu stellen, also den Aufbau dahinter zuzulassen - aggressives Pressing schaut echt anders aus. Auch das ist strategisch eher arm - was ist los mit Löw und Co?
Der teilivalide Bastian Schweinsteiger wird kommen, wird interessant in welcher Rolle und welcher Position.
In der Zwischenzeit (62.) macht Lahm genau das, was ihn schon in Spiel 1 zur Schwachstelle und auch hier austauschreif macht und Gyan zieht halbrechts los und trifft ins lange Eck - 1:2.
Der ARD-Kommentator meint: niemand hätte erwartet, das sowas auch Deutschland passieren kann: auch so ein Opfer der selbstmiterzeugten realitätsfernen Hysterie. Noch ärmer als Löws taktische Schwächen.
Wo bleibt der Schweini? Ghana kriegt die zweite Luft, und die brennt jetzt im Stadion, das sie unterstützt.
Doppeltausch (70.): 7 Schweinsteiger und 11 Klose kommen für 19 Götze und 6 Khedira (der eh nicht länger kann). Das heißt: Klose im Zentrum, Müller links. Und wo ist der Schweini? Übernimmt den Khedira-Part, bleibt ohne Bindung zu den offensive 3.
Zwei Minuten später würgt Klose am kurzen Eck einen von Höwedes verlängerten Corner irgendwie ins Tor - 2:2 und ein Salto. Direkt danach kommt 22 Wakaso Mubarak für 7 Atsu, ein Flügeltausch. Und dann in der 77. Minute 8 Badu für 17 Rabiu, ein Mittelfeldwechsel. Beide (Atsu und Rabiu) wurden auch schon in Match 1 getauscht, vielleicht fehlt da die Fitness.
Dass das DFB-Team jetzt eine gute Zeit hat, liegt an einer Maßnahme, die der Spieler wohl selber ergriffen hat: Philipp Lahm sucht die Offensive, setzt sich als Verbinder zunehmend zwischen Mittelfeld und Angriff, spielt also vor Schweinsteiger-Kroos. Schweinsteiger bleitbt wirkungslos. Ghana kommt in der Schlussphase wieder zurück, macht das Remis gerecht.
In der Nachspielzeit verdient Löw für Ballwegschießen die gelbe Karte. Wäre bei einer strategisch schlaueren Ausrichtung alles nicht nötig gewesen. Nach den Fehlern von 2012 der nächste Tiefschlag gegen das einstige Monument. Muntari holt sich noch eine Matchsperre fürs Portugal-Match - das kann sich noch auswirken.
Die Halbzeit-Botschaft, direkt an die bis dato Unbelehrbaren
Nochamal, und an alle, die jetzt ehrlich erstaunt sind über diesen scheinbaren Leistungsabfall des DFB-Teams: das ist keiner, weil die Leistung in Spiel 1 nicht so berauschend war, wie es Resultat, die Medienreaktionen und das sofort einsetzende Titel-Fieber (auch bei sonst besonnenen Freunden und Experten) alle Welt vermuten lassen wollte. Das 4:0 gegen Portugal war glücklichen Umständen geschuldet, das Match schnell erledigt und so gab es offenbar keine Notwendigkeit, die vielen Patzer, Fehler und Strukturprobleme anzusprechen.
Die (und ich hab sie eben ja ausführlich angesprochen, lest nach) werden jetzt, in einem Match ohne deutsche Begünstigung, schlagend. Und sorgen für Irritation unter den Realitätsflüchtigen. Eh gut so, aber schon auch ein wenig anstrengend festzustellen, dass allzu Offensichtliches nicht mehr zu den Menschen durchdringt; dass eigenes Sehen und Erkennen einem blinden Hinterherhoppel-Gehorsam hinter kollektiver Mainstream-Medien-Erregung samt lustvoller Aufgeilung daran geopfert wird.
Übrigens keine Sache, die allein den Fußball betrifft, sondern das bedeutendste mediale Alltags-Phänomen unserer deutschsprachigen Rezeptions-Kultur.
Dennoch rechne ich mit einem deutschen Führungstor in Halbzeit 2: entweder Löw stellt gut um, oder Ghana schafft den wichtigen Erstschlag einfach nicht (wie schon gegen die USA) oder beides.
Was nicht ein Jota des bislang Gesagten außer Kraft setzt.
Halbzeit 1 oder die Geschichte vom fehlenden Vierten
'tschland wie avisiert, Özil wieder rechts, Götze links, zumindest in der Grundformation - die drei vorne haben ja alle Freiheiten.
Dass Dauda spielt, der ja schon im letzten Afrika-Cup der Nummer 1-Keeper war, überrascht die Deutschen, zumindest die in der ARD. Ich war eher verwundert, dass in Match 1 der überbewertete Kwarasey den Vorzug erhielt.
Ghana hält sich, zumindest in der Defensive, nicht ans angebene System, sonder stört in einem 4-4-2. Andre Ayew interpretiert seine Linksaußen-Position ungleich vorsichtiger als Atsu die seine rechts. Prince Boateng hängt ein wenig halblinks herum, vielleicht deshalb, kommt dabei allerdings dem dann direkt hinter ihm postierten Muntari in die Quere: da hakt es noch im ghanesischen Mittelfeld.
Nach einer Vieertelstunde steht fest: Lahm ist da im Zentrum angekommen, nicht mehr unsicher. Aber: three's a crowd, es ist einer zuviel im deutschen Mittelfeld, und weil sich keiner wirklich vortraut, fehlt eine vierte Anspielstation vorne drin.
Das zeigt sich auch im 7-5-Grundmodus bei ghansischen Vorstößen - da nehmen die offensive Four immer irgendeinen mit (und sei es Afful rechts); der 5/6-3-Grundmodus auf der anderen deutschen Seite sieht da ärmer aus.
Das mag reichen, weil Müller sich gern John Boye als Gegenspieler sucht - strategisch/taktisch ist das aber ein wenig arm von Löw.
Es ist also wirklich der angesprochene Elchtest: statt wie gegen Portugal von Zufall, Glück und Schiri einen schnellen Sieg geschenkt zu bekommen, tut sich das deutsche Team in einem davon unbeeinflussten Match gegen einen Gegner, den man eigentlich besiegen müsste, also doch schwer genug. Man sollte sich eben nie durch schiere Resultate blenden lassen. Denn in dieser Verfassung ist Deutschland kein Weltmeister. Und diese Verfassung kann ein brauchbarer Gegner unter gleichwertigen Bedingungen recht problemlos herstellen.
Deutschland ist also nicht entzauberbar, weil es vorher nicht gezaubert, sondern eben Glück hatte.
Ich schätze trotzdem dass sich Ghana im Verlauf des Spiels ein Tor mittels Abwehrfehler, den der Dreierangriff exzellent ausnützen wird, einfängt. Deshalb wäre ein ghanesischer Führungstreffer also mehr als überlebensnotwendig.
Die Chancen, die die drei vorne herausspielen, sind strickmustermäßig übrigens recht simpel, also durchaus bekämpfbar - und nur durch die Klasse der drei Proponenten echt gefährlich. Rein taktisch ist das ein Witz.
Im übrigen reiht sich das deutsche 4-3-3, das eben auch in der eben besprochenen 7-3-Konstellation endet, unter die vielen enttäuschend umgesetzten Schein-Offensiv-Systeme einiger WM-Favoriten hier (Argentina, Holland, auch Brasilien...) ein.
Interessanterweise liegt das alles am allerwenigsten an Prince Boateng, der vergleichweise wenig bewirken kann: vor allem übt er keinen Druck auf Lahm aus.
Die Aufstellungen
Die der Deutschen ist unverändert. Wieder vier gelernte Innenverteidiger (die aber im Team oft genug auch schon außen angetreten sind), wieder Lahm hinter Khedira und Kroos, also das italienische oder portugiesische Modell und davor eine offensive Dreierreihe.
Deutschland in weiß mit
1 Neuer, 20 Jérôme Boateng, 17 Mertesacker 5 Hummels, 4 Höwedes; 6 Sami Khedira, 16 Lahm (K), 18 Toni Kroos; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 19 Götze
Ghana ändert in seinem 4-2-3-1 einiges, zuerst einmal schon bei der Tormann-Position. Dann ersetzt Harrison Afful 4 Opare rechts (überraschend, denn der war richtig gut; ich hätte ja eher John Boye im Zentrum ersetzt) - und dann kommt tatsächlich der andere Boateng, der Kevin - und ich denke er kriegt die von mir vermutete taktische Aufgabe gegen Lahm. Jordan Ayew muss raus.
Ghana in grün-rot mit
16 Dauda; 23 Afful, 21 Boye, 19 Jonathan Mensah, 20 Asamoah; 17 Rabiu, 11 Muntari; 7 Atsu, 9 Kevin-Prince Boateng, 10 Andre Ayew; 3 Gyan (K)
Man spielt in Estádio Castelão in Fortaleza. Ref: Sandro Ricci aus Brasilien. Nicht heiß, aber hohe Luftfeuchtigkeit.
Was vor dem Match zu sagen ist...
... steht, zumindest was Deutschland betrifft, bereits alles hier in Eintrag 45.
Das Portugal-Spiel bestritt Löw mit einem 4-3-3 mit 1 Neuer, 20 Jérôme Boateng, 17 Mertesacker, 5 Hummels, 4 Höwedes; 6 Sami Khedira, 16 Lahm (K), 18 Toni Kroos; 8 Özil, 13 Thomas Müller, 19 Götze.
Hummels ist dem Vernehmen nach fit - womit es sich anbietet das Modell zu wiederholen. Das wird dann interessant - denn die Solo-Sechser-Rolle von Lahm vor Khedira und klarerweise Kroos auf den Achter-Halbpositionen war in den ersten Minuten der Partie eine höchst holprige und noch anfälligere Sache, die Team Portugal aus Gründen einer womöglich schwachen Tagesform von Ronaldo (der sich eh übertrieben viel im Zentrum aufhielt) nicht ausgenutzt werden konnte.
Ghana hingegen könnte da gezielt eine Kraft, einen Störer hinsetzen, ich denke da an den bösartigen Kevin-Prince Boateng, der im ersten Match gegen die USA erst später ins Spiel kam.
Dort ächzten die Black Stars so lange einem nicht wirklich verdienten frühen Führungstor her, bis sie vor lauter vergebenen Halbchancen keinen Mumm mehr hatten, und der späte Ausgleich dann von einem weiteren Gegenschlag gefolgt wurde.
Unter James Akwesi Appiah war Ghana mit 12 Kwarasey; 4 Opare, 21 Boye, 19 Jonathan Mensah, 20 Asamoah; 13 Jordan Ayew, 17 Rabiu, 11 Muntari, 7 Atsu; 10 Andre Ayew, 3 Gyan (K) angetreten.
Also ohne Boateng und auch ohne Essien. Asamoah wird wieder den Linksverteidiger machen - eigentlich eine Verschwendung von Talent, auch Asamoah könnte den zentralen offensiven Mittelfeldspieler machen.